Donnerstag, 28. März 2024

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Österreichische Sozialdemokraten
"Man muss sich der FPÖ nicht an die Brust werfen"

Der österreichische Schriftsteller hat die Haltung der SPÖ in der Flüchtlingskrise und gegenüber der FPÖ kritisiert. Aus Panik hätten die Sozialdemokraten die Losungen der FPÖ übernommen, sagte er im DLF, und sich damit auf einen "Todestrip" begeben. Er warnte vor kulturpolitischen Folgen, falls FPÖ-Politiker Staatsämter übernähmen.

Robert Menasse im Gespräch mit Karin Fischer | 10.05.2016
    Der Schriftsteller Robert Menasse , aufgenommen am 10.10.2012 auf der 64. Frankfurter Buchmesse in Frankfurt am Main.
    Der Schriftsteller Robert Menasse (dpa/Arno Burgi)
    Karin Fischer: Zuerst blicken wir aber nach Österreich, denn was dort gerade passiert, kommt uns hier in Deutschland schwer bekannt vor: Eine Große Koalition, die massiv an Zuspruch verloren hat, ehemalige Volksparteien, denen die Wähler verloren gehen, Politiker, getrieben von einer Partei, die mit nur einem Thema Wahlkampf macht, mit der Flüchtlingskrise. Hier wie dort fragt man nach den Gründen. Der österreichische Schriftsteller Thomas Glavinic hat im "Spiegel" von letzter Woche die Selbstgerechtigkeit österreichischer Linker kritisiert, die der FPÖ die Wähler erst in die Arme getrieben hätten. Auch die AfD-Wählerinnen und Wähler in Deutschland fühlen sich ja nicht richtig verstanden, ihre Sorgen abgekanzelt, in die rechte Ecke gedrängt. - Den Schriftsteller und Publizisten Robert Menasse habe ich vor der Sendung gefragt, ob Glavinic seiner Ansicht nach Recht hat.
    Robert Menasse: Thomas Glavinic ist ein guter Autor, aber kein politischer Kopf. Und ich fand es seltsam, weil in Wirklichkeit ist seine Wortmeldung eine Verdoppelung dessen, was die Sozialdemokratie in ihrem Todestrip ununterbrochen sagt: Nämlich wir müssen den Menschen zuhören, wir müssen die Sorgen der Menschen verstehen, wir dürfen sie nicht ausgrenzen und als Faschisten beleidigen und so weiter. In Wirklichkeit ist damit gemeint, wir müssen die Sorgen der Menschen ernst nehmen, dass man ihre Forderungen und ihre Wünsche erfüllt, und das hat die Sozialdemokratie jetzt über viele Jahre hinweg gemacht. Vor lauter Panik vor den Freiheitlichen haben sie deren Losungen übernommen, und das ist ja der Grund für ihren Niedergang, weil alle, die nicht freiheitlich gewählt haben, waren von dieser Regierungspolitik und von dieser Kanzlerpolitik frustriert, und die, die freiheitlich gewählt haben, denen konnte es ja diese Regierungspolitik auch nicht recht machen, weil die haben gesagt, das hat die FPÖ schon viel früher gesagt, die haben also recht gehabt, und wenn die Freiheitlichen regieren würden, hätten wir das alles schneller bekommen. Das heißt, eine solche Politik und eine solche Haltung hat dazu geführt, dass hundert Prozent der Population frustriert und unzufrieden waren. Man könnte auch sagen, wir wollen keinen Bundespräsidenten, der das Erkennungszeichen der Nationalsozialisten im Knopfloch trägt, die blaue Kornblume, das Erkennungszeichen der österreichischen Nationalsozialisten. Wir wollen das nicht! Wollt ihr das wirklich wieder haben? Diese Frage hätte man stellen können. Damit beleidigt man ja niemanden, sondern man stellt eine aufgeklärte Frage.
    "Wien hat gezeigt, dass eine klare Position belohnt wird"
    Fischer: Herr Menasse, Sie haben ganz kurz auf die Historie rekurriert. Ich möchte das auch noch mal. Das rote Wien ist eine Tradition, auf die die Österreicher normalerweise stolz blicken, nämlich eine sozialdemokratische Tradition von Anfang der 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts, deren Baupolitik zumindest auch heute noch das Stadtbild prägt. Zuletzt war der Begriff aber auch als Verunglimpfung eines SPÖ-Klüngels, würde man hier in Köln sagen, verwendet worden. Ist mit Bundeskanzler Faymann auch ein rotes Wien abgetreten?
    Menasse: Nein, weil Wien hat ja bei der letzten Gemeinderatswahl gezeigt, dass eine klare politische Position belohnt wird. Nur in Wien hat die Sozialdemokratie ja wieder gewonnen und das war der Tatsache zu verdanken, dass die Wiener Sozialdemokratie sich ganz klar gegen die Aggressionspolitik der Freiheitlichen ausgesprochen hat. Wien hat ja den Beweis erbracht, dass man nicht sich den Freiheitlichen an die Brust werfen muss, um politische Erfolge zu feiern.
    "Die Künstler in Österreich sind ein Hassobjekt der Rechten"
    Fischer: Um noch mal auf das Historische oder auch auf das Gesellschaftlich-Kulturelle zu kommen, Robert Menasse. Sind auch Deutschland und Österreich in ihren ja vorbildlich genannten Werteordnungen doch nicht so stabil, wie wir das in den vergangenen Jahrzehnten geglaubt haben, oder ist es wirklich so, wie Sie am Anfang geschildert haben, einfach nur die falsche Politik?
    Menasse: Ich glaube, dass Stabilität nie etwas ist, worauf man sich verlassen kann. Ich meine, das zeigt ja auch die Geschichte. Aber die brachiale Transformation der Zweiten Republik oder der politischen Situation, wie wir sie kannten, in einen autoritären Ständestaat, so wie es den Rechtspopulisten vorschwebt, das würde auch kulturell unglaubliche Probleme produzieren, weil wir dürfen eines nicht vergessen: Die Künstler in Österreich sind ein Hassobjekt der Rechten, immer schon gewesen. Die sind ein Hassobjekt der traditionell intellektuellen und kunstfeindlichen Rechtspopulisten, die genau wissen, dass sie nie die Unterstützung der Künstler bekommen werden oder die Zustimmung. Das heißt: In dem Augenblick, wo die wichtigsten Staatsämter, der Kanzler, der Bundespräsident, der Parlamentspräsident in der Hand der Freiheitlichen ist, wird das auch kulturpolitisch ganz dramatische Konsequenzen haben. Da geht es um die Zerstörung eines weltoffenen, kunstinteressierten, zivilisations- und aufklärungsinteressierten öffentlichen Lebens. Da wird Ressentiment und Hass und Verfolgung zumindest verbal und medial um sich greifen. Das wird eine ganz, ganz miese Stimmung in diesem Land produzieren, die dann - und da kommen wir zurück zur Politik - verstärkt werden wird vom Frust und der Enttäuschung der Wähler der Freiheitlichen, weil sie nie das bekommen werden, was sie von dieser Partei jetzt erwarten.
    Fischer: Der Schriftsteller Robert Menasse zum Abgang des österreichischen Bundeskanzlers und einer seiner Ansicht nach verfehlten Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.