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Österreichischer Bundeskanzler Kern
In den Mühen des politischen Alltags angelangt

Vor einem Monat trat der frühere Bahn-Manager Christian Kern mit viel Elan sein Amt als österreichischer Bundeskanzler an. Eine erste Bilanz des Sozialdemokraten fällt dabei durchwachsen aus. Kern ist zwar weiter deutlich beliebter als sein Vorgänger Werner Faymann, seine Partei, die SPÖ, hat er bislang aber noch nicht aus dem Tief holen können. Aber die Zeit drängt.

Von Ralf Borchard | 17.06.2016
    Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern nach seiner Vereidigung.
    Der österreichische Bundeskanzler Christian Kern nach seiner Vereidigung. (AFP / DIETER NAGL)
    Christian Kern hatte fulminant begonnen. Am Tag der Vereidigung versprach er neue Arbeitsplätze: "Wir schlagen der ÖVP und der Wirtschaftsseite einen New Deal für Österreich vor."
    Kern formulierte einen Führungsanspruch für ein ganzes Jahrzehnt: "Für mich ist das ein Projekt, das auf zehn Jahre angelegt ist. Das ist mein Commitment. Ich möchte an der Restaurierung der Sozialdemokratie mitwirken."
    Und Kern versprach ein Ende des Dauerstreits in der Großen Koalition: "Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden – und wahrscheinlich völlig zurecht."
    Die Begeisterung war groß. SPÖ-Landesparteichef Michael Schickhofer aus der Steiermark schwärmte: "Man spürt richtig sein Leadership, seine Teamfähigkeit, die hohe Professionalität, die Lust daran, Österreich absolut positiv in die Zukunft zu führen."
    Erste Bilanz durchwachsen
    Und heute? Die Bilanz fällt durchwachsen aus. Die erste Verwirrung entstand durch neue Asylbewerberzahlen. Kern sprach von 11.000 Anträgen seit Jahresbeginn, zuvor war von doppelt so vielen die Rede gewesen. Der Wiener ÖVP-Chef Gernot Blümel lästerte: "Wenn der neue Bundeskanzler die Obergrenzen aufweichen möchte bei Asylbewerbern, kann er gleich wieder abdanken."
    Verwirrung Nummer zwei entstand durch Kerns Überlegung, eine Maschinensteuer einzuführen, Unternehmen nicht nur Sozialabgaben für Beschäftigte zahlen zu lassen, sondern auch Abgaben auf die Wertschöpfung durch Roboter und andere Maschinen. Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl empört: "Das ist gegen Investitionen, damit ist es gegen Modernisierung und damit ist es kontraproduktiv."
    Enttäuschung Nummer drei: Die Wahl der neuen Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker war Ergebnis eines parteipolitischen Postengeschachers – wie gehabt. Schließlich provozierte viertens ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz mit der Forderung, Flüchtlinge auf Inseln im Mittelmeer zu internieren - das widersprach Kerns Bemühen, die Flüchtlingsdebatte zu entschärfen. Der Politikwissenschaftler Peter Filzmaier sagt: "Egal, wie gut der Stil ist, egal wie gut sich die Personen verstehen – das passt oft nicht zusammen."
    In Umfragen deutlich besser als sein Vorgänger
    Kern ist bei den Mühen der politischen Ebene angelangt. Zwar bescheinigen ihm Social Media-User einen hohen Coolness-Faktor - vor allem ein Bild mit Sonnenbrille in James Bond-Manier war tagelang ein Hit im Netz. Der 50-Jährige schneidet auch in Umfragen deutlich besser ab als sein Vorgänger Werner Faymann. Bei einer Direktwahl des Kanzlers käme Kern auf 45 Prozent, Faymann war auf 18 Prozent abgestürzt, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache liegt bei 31 Prozent. Doch Kerns Partei, die SPÖ, konnte nur ein kleines Plus verbuchen und steckt bei 25 Prozent fest - hinter Straches FPÖ.
    Kerns neuer Kanzleramtsminister Thomas Drozda meint, es sei absurd, schon nach wenigen Wochen ein Urteil zu fällen: "Ich glaube, wir sind sinnvollerweise nach drei bis sechs Monaten zu beurteilen und wir sind anhand unserer Arbeit zu beurteilen." Spätestens im Herbst muss Kern aber liefern, sagt Politikwissenschaftler Filzmaier:
    "Gibt es hier ein Gesetzespaket und andere Maßnahmen, die greifbar sind, dann kann die Koalition noch länger überleben. Ist das nicht so, dann helfen auch keine Bekundungen eines neuen Stils, dann wird es früher oder später in Neuwahlen münden."
    Parlamentsneuwahlen stehen spätestens 2018 an. Nächste Woche hat Kern europapolitisch Premiere. Am Mittwoch ist er in Brüssel, am Donnerstag zum Antrittsbesuch in Berlin.