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Österreichs größtes Sperrgebiet

Die Fläche entspricht der Größe Liechtensteins: 15.700 Hektar umfasst der Truppenübungsplatz Allentsteig im österreichischen Waldviertel. Einmal im Jahr, zu Allerseelen, wird am Rande des militärischen Sperrgebiets ein Gottesdienst gefeiert. Dann wird der 7000 Bewohner gedacht, die ab 1938 zwangsumgesiedelt wurden, weil die deutsche Wehrmacht hier, an der Grenze zum heutigen Tschechien, einen Schießplatz anlegen ließ. 1957 übernahm das österreichische Bundesheer das Gelände. und nutzte es weiterhin militärisch. Bis heute trainieren hier Soldaten für den Ernstfall. Alexander Musik berichtet aus dem österreichischen Waldviertel.

Von Alexander Musik | 02.11.2007
    Der Jeep holpert über das durch Panzerketten brüchig gewordene Kopfsteinpflaster am Ortsrand von Allentsteig und biegt dann ins Sperrgebiet ein. Temperaturen um den Gefrierpunkt, schneidender Wind. Der Tüpl - so sagen sie hier kurz zum Truppenübungsplatz - liegt unter einer dünnen Schneedecke. In den Farben Österreichs bemalte Fässer, auf lange Stangen montiert, markieren seine Grenze, beschrankte und unbeschrankte Postenhäuschen, Schilder: "Betreten verboten! Lebensgefahr! Fotografieren, Filmen und Zeichnen gesetzlich verboten und strafbar!"

    Verboten wegen der Truppenübungen, die hier an 220 Tagen im Jahr stattfinden und wegen der Blindgänger, die sie hinterlassen.

    Braucht ein kleines Land, immerwährender Neutralität verpflichtet, das die Zahl seiner Soldaten abbaut, ein Sperrgebiet von 157 Quadratkilometern? Braucht es Bombendetonationen, Panzermanöver, Schießübungen, Luftangriffe genau auf dem Gebiet, dessen Bewohner ab 5. August 1938 von der Wehrmacht vertrieben wurden, weil von nun an deutsche Soldaten hier trainieren sollten? Warum dienen bis heute Ruinen von Sakralgebäuden und Friedhöfen als militärische Ziele?

    Fragen wie diese stellt sich Pfarrer Johannes Müllner. Seit 25 Jahren erforscht er die Geschichte des Tüpl. Schaut unbeirrt nach Grabsteinen, Kapellen, Materln.
    "Ich weiß noch die Schießübungen der Wehrmacht, die hamma in Schweikert genau so gehört, wie man sie heute hört. Ich hab dann den Ausspruch geprägt: Auf diesem Truppenübungsplatz ist der Zweite Weltkrieg noch immer nicht zu Ende! Weil's heute genau so wild schießen wie damals ab 40. Da war ich damals doch schon 12 Jahr alt, man denkt a bissel mehr."

    Roggendorf, Waldviertel, das Haus gegenüber der Kirche. Pfarrer Müllner, 73 Jahre, kämpferisch, stur, liegt im Clinch mit dem österreichischen Bundesheer, dem Denkmalamt und nicht zuletzt mit so manchem Kirchenoberen. Er hat viel Feigheit erlebt. Das kann man in seinem Buch nachlesen: "Die entweihte Heimat". Entweiht deshalb, weil das Militär noch heute die verbliebenen Sakralbauten auf dem Tüpl beschieße. Was die rote Armee verschont habe, lassen Tüpl-Kommandant Leopold Cermak und seine Vorgänger verfallen oder zerstören.

    Auf Anfrage wird das beim Verteidigungsministerium dementiert. Und auch Kommandant Cermak selbst winkt ab.

    "In der Zeit des Bundesheeres wurd' auf ehemalige Kirchen nicht geschossen, und wenn Sie schauen, weit und breit keine Kirche...es ist kein Friedhof, es ist keine Kirche, es ist ein militärischer Übungsplatz, der 1938 profaniert wurde."

    So was kann Johannes Müllner auf die Palme bringen, auch wenn er seit einigen Jahren nicht mehr auf den Tüpl geht. Er hat genug von den Lügen, die er sich anhören musste, sagt Müllner.
    "Das erzähl'n sie immer. Weil sie schon alles zusammen geschossen haben! Die Kommandanten wechseln ja immer. Der jetzige sagt, es lasst ihn vollkommen kalt. Die Kirchen, die Friedhöfe, die Ruinen, das ist alles nicht mehr existent."

    Bis 1942 wurden 7000 Menschen aus 42 Dörfern und einzelnen Gehöften umgesiedelt; entschädigt wurde nur so lange, wie der Kriegsverlauf für Deutschland günstig war. 1945 beschlagnahmten die Russen das Gelände und nutzten es selbst als Übungsplatz und Durchgangslager für Kriegsgefangene. Zehn Jahre später zogen sie ab, das Gebiet ging in den Besitz der Republik Österreich über. Dann meldete das Bundesheer Ansprüche an. 1957 wurden alle Rückerstattungsansprüche der Vertriebenen für nichtig erklärt.

    Staatssekretär Hermann Withalm, mittlerweile verstorben, versuchte damals, den Geländehunger der Militärs einzuschränken. Vergebens, wie er in Manfred Neuwirths Dokumentarfilm "Erinnerungen an ein verlorenes Land" bekennt.

    "Das Bundesheer hat damals massiv ins Treffen geführt, dass es absolut notwendig sei, den gesamten Truppenübungsplatz, wie die Deutschen ihn hatten, wieder zum Leben zu erwecken beziehungsweise ihn bestehen zu lassen. Auf der anderen Seite das massive Verlangen derer, die vertrieben worden sind, zurückkehren zu können - gesiegt hat dann im Großen und Ganzen das Bundesheer."