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25. Todestag
Der Exilschriftsteller Hans Sahl

Vor den Nazis geflüchtet, lebte der Literat Hans Sahl lange Zeit ärmlich und meist unbeachtet im Exil. Erst als dieser in den 1980er-Jahren nach Deutschland zurückkehrte und von der Zeit der Verfolgung berichtete, erlangten seine Romane Anerkennung. Am 27. April 1993 starb er im Alter von 90 Jahren.

Von Christian Linder | 27.04.2018
    Der deutsch-amerikanische Schriftsteller Hans Sahl am 17.11.1992 in Tübingen. Er kehrte 1989 aus dem Exil in den USA nach Deutschland zurück. In den letzten Jahren trat er u.a. mit dem Gedichtband "Wir sind die letzten. Der Maulwurf" und mit "Die Wenigen und die Vielen. Roman einer Zeit" in Erscheinung.
    Erst im hohen Alter kehrte Hans Sahl New York den Rücken und ließ sich Ende der 1980er-Jahre in Tübingen nieder. (dpa / picture alliance )
    Plötzlich, wie hinter einem Vorhang gesprochen, hörte man diese leise, aber nachdrücklich vorgetragene Aufforderung: "Greift zu, bedient euch. Wir sind die Letzten. Wir sind zuständig. Fragt uns aus." Als die Person, die zu dieser Stimme gehörte, der Schriftsteller Hans Sahl, vom Applaus hinter dem Vorhang hervorgelockt wurde und die öffentliche Bühne der Bundesrepublik betrat, sah man einen schmächtigen, hochbetagten Mann, der den Liedermacher Wolf Biermann derart beeindruckte, dass er gleich ein Gedicht-Bekenntnis Sahls vertonte: "Ich gehe langsam aus der Welt heraus in eine Landschaft jenseits aller Ferne."
    Hans Sahl gehörte tatsächlich zu den letzten Zeitzeugen, die über die Gemetzel des
    20. Jahrhunderts authentisch Auskunft geben konnten. Geboren als Hans Salomon 1902
    in Dresden als Sohn einer jüdischen Bankiersfamilie, rebellierte er früh und erschrieb sich, politisch links stehend, im flirrenden Berlin der 1920er-Jahre hohes Ansehen als Theater-, Film- und Literaturkritiker. Buchstäblich in letzter Minute, im April 1933, flüchtete er vor den Nationalsozialisten nach Prag und von dort über Zürich nach Paris.
    "Das Einzige, was mich am Leben erhielt, war das Schreiben, denn solange ich schreibe, lebe ich noch, und solange ich schreibe, hat Hitler noch nicht gewonnen."
    Ein Exil im Exil
    Aber als Sahl einen direkten Hitler-Stalin-Vergleich zog, kam es zum Bruch mit einstigen Verbündeten wie Anna Seghers. Bertolt Brecht schmiss ihn sogar aus seiner Wohnung, mit den – von Sahl in einem Gedicht festgehaltenen – Worten:
    "Hören Sie zu, dieses Gespräch macht mich nicht glücklich, verlassen Sie augenblicklich mein Zimmer für immer. Ich dulde nicht, dass in diesem Appartement, welches mir sehr behagt, jemand etwas Schlechtes sagt über den Mann im Kreml."
    So erfuhr Sahl ein Exil mitten im Exil. Auch in New York, wohin er über Marseille und Lissabon weiter geflohen war, litt er so unter seiner Isolation, dass er Anfang der 1950er- Jahre nach Deutschland zurückkehrte. Aber da niemand sich für die angebotenen Auskünfte als Zeitzeuge interessierte und Schriftsteller-Kollegen ihn sogar wegen seiner Haltung im Exil mieden, zog er doch lieber wieder die Einsamkeit in New York vor und lebte bescheiden als Übersetzer Thornton Wilders, Tennessee Williams und Arthur Millers. Manchmal entstanden auch Gedichte:
    "Zum Zeichen, dass ich noch da bin, schicke ich euch von Zeit zu Zeit Vermischtes aus der Neuen Welt zum Abdruck, blank gescheuerte Prosa, wie man sie heute nur noch selten findet."
    Endgültige Rückkehr nach Deutschland
    Die vermischten Nachrichten aus Amerika fanden sich in kleinen Kulturberichten, die in Zeitungen in Hamburg, München und Zürich auch gedruckt, allerdings – wie die Übersetzer-Arbeit – nur kärglich honoriert wurden. Als deshalb die Lebenssituation auch wirtschaftlich in New York völlig aussichtslos geworden war, kehrte Sahl, im hohen Alter, doch noch einmal und endgültig nach Deutschland zurück, Ende der 1980er-Jahre, mit Wohnsitz in Tübingen.
    Nun, für Sahl selbst völlig unerwartet, kam dieser große späte Ruhm, das lebhafte Interesse vor allem junger Leute, die seinen Exilroman "Die wenigen und die vielen" entdeckten oder zu seiner zweibändigen Autobiographie griffen oder seinen Gedichten:
    "Wir tragen den Zettelkasten mit den Steckbriefen unserer Freunde wie einen Bauchladen vor uns her. Wir, die wir unsere Zeit vertrödelten, aus begreiflichen Gründen, sind zu Trödlern des Unbegreiflichen geworden."
    Er sei kein Held, bekannte Sahl, eher ein Schiffbrüchiger im Sinne Ortega y Gassets, dessen Hinweis, dass "die einzigen wahren Gedanken die Gedanken der Schiffbrüchigen" seien, er gern zitierte. Schon Klaus Mann hatte 1938 die Ratlosigkeit Sahls bemerkt und sich in seinem Tagebuch gefragt: "Was soll man den ratlosen Menschen raten?" Sahls spätere Antwort in seinem Exilroman: "Alle Menschen, die es ehrlich meinen, sind ratlos."
    Auch wenn Hans Sahl sich über die späte Anerkennung freute, gab er sich keinen Illusionen hin. Gegen Ende seines Lebens erblindet, hatte er schon vor seinem Tod am 27. April 1993 im Alter von 90 Jahren Abschied genommen. Er gehe "langsam" nicht nur aus der Welt, sondern auch "aus der Zeit heraus in eine Zukunft jenseits aller Sterne".