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Oettinger: Lieber jetzt kürzen, statt wochenlang im Unklaren sein

Der deutsche EU-Kommissar für Energie, Günther Oettinger, befürwortet Kürzungen im EU-Haushalt - allerdings nicht in den Bereichen Infrastruktur, Kommunikation und Energie. Einsparungen dort verhinderten Wachstum.

Günther Oettinger im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.02.2013
    Christoph Heinemann: Die Ausgangslage beim EU-Gipfel in Brüssel ist klar, alle sagen: Wir wollen sparen, aber unsere Wählerinnen und Wähler müssen geschont werden. Der CDU-Politiker Günther Oettinger ist Mitglied der Europäischen Kommission, Ressortchef für Energie. Guten Morgen!

    Günther Oettinger: Guten Morgen!

    Heinemann: Herr Oettinger, Herr von Rompuy schlägt vor: minus zwölf Milliarden. Ist das ein Schnitt in die richtige Richtung?

    Oettinger: Ich würde eine Einigung heute bevorzugen. Das heißt: Wenn die Kürzungen vertretbar sind, wäre mir eine Einigung auf dem Niveau lieber als weitere Wochen der Unklarheit, und damit eines Zeichens, dass Europa kaum regierbar ist. Man muss nur sehen, wo gekürzt wird. Wenn Sie bei Agrar gar nicht kürzen, aber wenn wir bei Forschung und bei "Connecting Europe", also bei Infrastruktur für Kommunikation und Energie zu stark kürzen, dann haben wir exakt kein Wachstum eingelegt. Und wir reden ja immer von Wachstum. Wir müssen etwas tun, dass die Länder wieder wettbewerbsfähig werden, wir müssen unsere Infrastruktur stärken, und hinzu kommt folgender Punkt: Schauen Sie, von 100 Euro nehmen wir den deutschen Bürgern und den europäischen Bürgern im Schnitt 50 Euro durch Steuern, Abgaben, Gebühren, Beiträge ab. Das ist die Staatsquote, 50 Prozent. Von den 50 Euro, die der europäische Bürger zu zahlen hat, zahlen wir einen Euro nach Europa, und 49 Euro bleiben in Paris, Berlin, München, Stuttgart und den Sozialkassen. Zu glauben, dass man an dem einen von 50 Euro die Haushaltsprobleme Europas lösen könne, ist schlichtweg abwegig. Hinzu kommt, Sie sagten gerade eben, wir seien Nettozahler. Das stimmt und stimmt doch nicht. Das stimmt kameralistisch. Aber von den Geldern, die als Kohäsionsprogramme nach Polen gehen, kommen 70 Prozent in deutsche Aufträge zurück, in den Anlagenbau, den Maschinenbau, in Hochbau, den Tiefbau, die Ingenieurstätigkeiten. Das heißt: Gesamtwirtschaftlich ist Deutschland Profiteur, wenn es in anderen Ländern zu guten Programmen, Projekten und Infrastrukturen kommt.

    Heinemann: In letzter Konsequenz hieße das ja, dass wir möglichst viel netto zahlen sollten.

    Oettinger: Nein, man kann schon sparen. Nur zu glauben, dass gerade jetzt mit diesem Haushalt alle Staatsschuldenprobleme lösbar sind, ist abwegig. Es kommt hinzu: 1000 Milliarden sind viel Geld - aber das sind sieben Haushaltsjahre. Es sind pro Jahr 140 Milliarden, das ist etwa das Doppelte des Jahreshaushalts von Nordrhein-Westfalen. Auch dies zeigt die relative Überschaubarkeit der europäischen Budgets auf.

    Heinemann: Wieso muss denn Deutschland mehr zahlen?

    Oettinger: Weil wir solidarisch sind. Baden-Württemberg und Bayern bezahlen mehr als Berlin und Brandenburg. Ist ja auch richtig so. So wie wir einen inneren Finanzausgleich zwischen starken und schwachen Gemeinden, starken und schwachen deutschen Ländern haben.

    Heinemann: Also diese Form des Länderfinanzausgleichs, die befürworten Sie?

    Oettinger: Ich befürworte, dass wir in Europa solidarisch sind und schwächeren Ländern, auch neuen Mitgliedsstaaten, die 40 Jahre unter der Sowjetunion gelitten haben, Bulgarien, Rumänien, Estland, Lettland, jetzt die Chance geben, in den nächsten Jahrzehnten aufzuholen, so wie der Aufbau Ost auch ein Zeichen war in Richtung neue Länder.

    Heinemann: Wer sagt es den Kollegen, den früheren Amtskollegen Bouffier und Seehofer, die jetzt in Deutschland, kleine Klammer auf, gegen den Länderfinanzausgleich klagen wollen?

    Oettinger: Die müssen ja ein Vielfaches von dem zahlen, was Deutschland in Europa bezahlt. Die sind ja bereit zu bezahlen. Die sagen nur Folgendes: Wenn nur noch zwei oder drei Länder bezahlen und 13 nicht mehr, dann stimmt was nicht. Das heißt, die wollen die Balance ändern. Die sind nicht in einer generellen Form gegen einen solidarischen Ausgleich zwischen starken und schwachen deutschen Ländern.

    Heinemann: Herr Oettinger, Klammer wieder zu, zurück nach Europa: Die Landwirtschaft, das haben Sie eben schon zu Beginn gesagt, frisst ungefähr 37 Prozent des Etats. Landwirtschaft und Strukturhilfe zusammen gar rund drei Viertel der Unionskasse. Stimmen in Brüssel die Prioritäten?

    Oettinger: Die Interessen der Mitgliedsstaaten sind demgemäß, dass diese Förderung fortgeführt wird. Namentlich Frankreich kämpft dafür.

    Heinemann: Ist das richtig?

    Oettinger: Der Vorschlag der Kommission war ja immerhin gewesen, dass wir die Mittel einfrieren. Das heißt, wir haben einen Deckel draufgemacht, und indem dann neue Länder hinzukommen, sind dies indirekt Kürzungen für Deutschland und andere. Diesen Weg könnte man beschleunigen, aber er ist in die richtige Richtung, und den wollen wir fortführen, und deswegen glaube ich, dass man im Agrarhaushalt einen Kompromiss hinbekommt.

    Heinemann: Welcher Prozentsatz für die Landwirtschaft wäre denn aus Sicht des Energiekommissars angemessen?

    Oettinger: Das hängt davon ab, ob es Agrarförderung ist oder Umweltförderung ist. Je mehr wir den Landwirt unterstützen, der schlechte Böden pflegt, der Steillagen im Weinbau weiter betreibt, der also Aufgaben wahrnimmt, die mit einem Stundenlohn aufgrund des Verkaufs der Produkte nicht zu rechtfertigen sind, desto mehr sind Agrarfördermittel berechtigt. Im Grunde sind das längst Agrar-Umwelt-Mittel geworden.

    Heinemann: Genau das, was Sie vorschlagen, das schlägt auch Ihr Landwirtschaftskommissarskollege Dacian Ciolos vor, und genau das wird von der Bundesregierung ausgebremst. Ist Frau Aigner, die Ministerin, aus Brüsseler Sicht Gefangene der deutschen Bauernlobby?

    Oettinger: Wir nennen das Greening, die Frage also, wie viel Prozent der Flächen denn aus der intensiven Landwirtschaft herausgenommen werden sollten. Da schlagen wir sieben Prozent vor. Ich könnte auch mit fünf Prozent leben. Aber ohne Greening würden wir unseren Aufgaben zu Landschaftsschutz und für das Klima, für Lebewesen nicht gerecht. Deswegen glaube ich, dass ein erster Einstieg in Greening notwendig ist.

    Heinemann: Genau, und die Bundesverbraucherschutzministerin hat vorgeschlagen, Frau Aigner hat vorgeschlagen, das sollte man doch freiwillig machen.

    Oettinger: Es wird schon viel freiwillig gemacht, aber ich halte eine verbindliche erste Quote für die Mitgliedsstaaten für notwendig, weil das Bewusstsein zum Beispiel in einigen anderen Mitgliedsstaaten Europas noch nicht so ausgeprägt ist wie in Deutschland im Hauptberuf und Ehrenamt.

    Heinemann: Herr Oettinger, wir wollen kurz ein anderes Thema noch anschneiden: Annette Schavan kehrt heute von einer Reise aus Südafrika zurück, sie ist, wie Sie selbst auch, politisch in der Südwest-CDU zu Hause. Wie bewerten Sie das aus Brüsseler Sicht: Schadet die Bildungsministerin, die als Wissenschaftlerin getäuscht hat, dem Ansehen Deutschlands und der Bundesregierung?

    Oettinger: Nein, das glaube ich nicht. Das Ansehen bemisst sich an ihrer Leistung. Ich war ja einmal im Wettbewerb mit ihr, als es um die Nachfolge für Erwin Teufel ging. Aber ich habe vor ihrer jetzt immerhin siebenjährigen Amtszeit als Ministerin für Forschung und auch für Bildung großen Respekt und ich habe sie in diesem Amt als überzeugend, stark, anerkannt und auch von anderen Regierungen in den Ländern als kompetent erlebt.

    Heinemann: Das stellt ja keiner in Abrede, es geht um was ganz anderes: Kann jemand, der in einer wissenschaftlichen Arbeit getäuscht hat, Wissenschaftsministerin bleiben?

    Oettinger: Da der Vorfall strittig ist, da er von einem Gericht geklärt werden muss, da er 30 Jahre zurückliegt, glaube ich, ja, dass sie im Amt bleiben kann.

    Heinemann: Kann Annette Schavan denn im Ausland, zum Beispiel bei Ihnen in Brüssel, Deutschland angemessen noch vertreten?

    Oettinger: Wenn ich ganz offen bin: In Brüssel war das bisher kein Thema, das hat in Brüssel bisher noch keinen interessiert. Wir haben in den letzten Tagen oft über das Forschungsetat beraten, die Kollegin aus Irland, Geoghegan-Quinn ist die Forschungskommissarin, da ging es um Schwerpunkte der Bundesregierung, Projekte der Ministerin, aber nicht um ihre Doktorarbeit.

    Heinemann: Herr Oettinger, wir befinden uns in einem Wahljahr. Was raten Sie Annette Schavan?

    Oettinger: Habe ich keinen Rat zu geben, ich glaube, sie ist trifft heute Kanzlerin, und das sollten wir einfach in Gelassenheit abwarten, zu welchem Ergebnis sie kommen. Noch mal, wenn es nach mir ginge: Ich habe Vertrauen, dass sie das Amt weiter kompetent und mit Autorität ausfüllen kann.

    Heinemann: Günther Oettinger, EU-Kommissar für Energie. Danke schön für das Gespräch, eine schöne fünfte Jahreszeit wünschen wir Ihnen. Feiern Sie Fasching, Karneval oder Fastnacht?

    Oettinger: Nein, ich habe in Brüssel damit gar nichts zu tun. Ich war letzten Samstag in Baden-Württemberg ein bisschen, aber das fällt in diesem Jahr aus, ich habe nächste Woche eine volle Arbeitswoche, also keinen Faschingsdienstag, keinen Rosenmontag, keine Krawatten werden abgeschnitten. Ganz normale Arbeitstage stehen vor mir.

    Heinemann: Dann wenigstens ein schönes Wochenende. Danke schön und auf Wiederhören!

    Oettinger: Auf Wiederhören, Ihnen auch ein schönes Wochenende!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.