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Oettingers neuer Posten
"Diese Beförderung hat ein Geschmäckle"

Seit dem 1. Januar ist Günther Oettinger neuer EU-Haushaltskommissar. Der Grünen-Abgeordnete im Europäischen Parlament, Sven Giegold, sieht das nach den umstrittenen Äußerungen Oettingers kritisch. "Natürlich hat diese Beförderung ein Geschmäckle", sagte Giegold im Deutschlandfunk. Auch die Nähe zu Wirtschaftsvertretern sei bedenklich.

Sven Giegold im Gespräch mit Dirk Müller | 10.01.2017
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    Günther Oettinger hatte sich während einer Anhörung im Europaparlament gestern für seine umstrittene Äußerungen vom Oktober entschuldigt. Der CDU-Politiker sagte in Brüssel, es sei nicht seine Absicht, irgendjemanden mit Bemerkungen zu verletzen. Der frühere baden-württembergische Ministerpräsident hatte Ende Okober mit einer Rede vor Unternehmern in Hamburg massive Kritik hervorgerufen. Mit Blick auf die Konkurrenz aus China hatte er von "Schlitzohren und Schlitzaugen" gesprochen. Zudem spottete er über eine Zwangs-Homo-Ehe und über Frauenquoten.
    "Ein Schlag ins Gesicht"
    Vor diesem Hintergrund könnten viele Bürger die Einsetzung Oettingers als EU-Haushaltskommissar nicht verstehen. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hätte deshalb mit der Ernennung Oettingers warten sollen. "Das empfinde ich als einen Schlag ins Gesicht des EU-Parlaments", sagte Giegold.
    Zugleich kritisierte der Grünen-Politiker Oettinger für seine Nähe zu Wirtschaftsvertretern. Dieser habe ein problematisches Verhältnis zu Lobbyisten und müsse solche Treffen deklarieren. Es gebe in Brüssel Regeln zur Offenlegung. Hintergrund ist eine Reise Oettingers im Mai 2016 im Privatjet eines Kreml-nahen Geschäftsmanns nach Budapest, wo er auch den ungarischen Regierungschef Viktor Orban getroffen hatte.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Günther Oettinger gehört seit Jahren zu den wichtigsten deutschen Politikern in Brüssel. Zum ersten Januar gab es dann auch eine echte Beförderung für den CDU-Mann aus dem Musterländle. Oettinger wechselt den Kommissarstuhl am Kabinettstisch und wird Haushaltskommissar, also ein Wolfgang Schäuble der Europäischen Union, der zweitwichtigste Posten überhaupt in Brüssel. Zahlreiche Parlamentarier sprechen von einer inakzeptablen Machtdemonstration von Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Schließlich gilt Günther Oettinger als höchst umstritten, als angeschlagen. Jüngst die Schlitzaugen-Rede vor Unternehmen in Hamburg und dann auch noch die Flugaffäre um einen russischen Honorarkonsul auf dem Weg zu Viktor Orbán nach Budapest. Günther Oettinger hat sich gestern dafür entschuldigt:
    O-Ton Günther Oettinger: "Es war und ist nicht meine Absicht, irgendjemanden mit Bemerkungen zu verletzen. Und ich bedauere diese Ausdrücke von damals ausdrücklich."
    Müller: Günther Oettinger gestern Abend in Brüssel. Er musste Rede und Antwort stehen vor dem Haushaltsausschuss des Europäischen Parlaments und der Europaabgeordnete Sven Giegold war mit von der Partie. Er ist Sprecher der deutschen Grünen im Europäischen Parlament und er war bei der Fragerunde mit dabei. Guten Morgen!
    "Zu Lobbyismus ein wirklich problematisches Verhältnis"
    Sven Giegold: Ja, guten Morgen Herr Müller.
    Müller: Herr Giegold, Entschuldigung akzeptiert?
    Giegold: Ich finde, auch in der Politik gilt, Entschuldigungen muss man akzeptieren. Gestern in der Anhörung hat er dazu klar Stellung genommen, klarer als bisher, wo die Entschuldigungen immer eher so indirekt waren. Er wollte niemanden verletzen. Hier hat er jetzt klar gesagt, dass er diese Ausdrücke falsch fand. Darüber hinaus aber hat sich in der Anhörung schon gezeigt, dass er gerade zu dem Thema Lobbyismus ein wirklich problematisches Verhältnis hat. Ähnlich wie die CDU/CSU im Bundestag versteht er einfach nicht, wie groß die Bedenken der Bürgerinnen und Bürger gerade gegenüber Brüssel sind, dass es eine Übermacht von Lobbyisten gibt, und dass er diesen Flug, den er ja zusammen mit einem Lobbyisten angetreten hat, nicht als Lobbytreffen deklariert hat, wie es eigentlich sich gehört hätte, dass das ein wirkliches Problem ist, das hat er bis zum Schluss nicht eingestanden. Das fand ich bedauerlich.
    Müller: Was hat er denn dazu gesagt?
    Giegold: Ja er hat gesagt, die Regeln, was denn formal ein Treffen sei mit einem Lobbyisten, seien nicht erfüllt gewesen, weil in diesem Fall der Lobbyist gar nicht danach gefragt hat. Trotzdem gebührt so ein Kalender doch Vollständigkeit, sonst ist er witzlos. Und wenn man zu Viktor Orbán fliegt und da auch über Digitalthemen redet, dann sollte man das auch deklarieren. Aber das eigentliche Problem ist nicht dieser einzelne Flug, sondern das Problem ist: Viele Bürgerinnen und Bürger fragen sich, angesichts von über 20.000 Lobbyisten rund um die Brüsseler Institutionen, die im Wesentlichen von Unternehmen und Unternehmensverbänden kommen, ist die Politik hier wirklich dem Gemeinwohl verpflichtet? Deshalb haben wir in Brüssel Regeln zur Offenlegung und gehen dabei weiter als zum Beispiel der Bundestag oder die Landtage. Aber das war auch dringend nötig. Aber ich habe dort kein Problembewusstsein gesehen und das gilt auch für viele öffentliche Äußerungen, die er dazu in der Vergangenheit gemacht hat.
    Nur zehn Prozent von Oettingers Treffen "mit Gewerkschaften und NGOs"
    Müller: Da hat er aus Ihrer Sicht ganz klar gegen verstoßen, gegen diesen Comment?
    Giegold: Nein! Die Regeln sind wirklich ein Stück unklar und erst auf Nachfragen eines Abgeordneten einer vierten politischen Fraktion hat er dann eingeräumt, dass er mitarbeiten wird, diese Regeln zu verändern. Aber vor allem hat er die Flucht nach vorne angetreten und verteidigt, dass 90 Prozent seiner Treffen als Digitalkommissar mit Lobbyisten von Unternehmen waren und nur zehn Prozent mit Gewerkschaften, NGOs oder unabhängigen Wissenschaftlern, und das ist ein Problem, weil die Bürger doch, finde ich, … Natürlich muss er mit der Wirtschaft sprechen. Das hat er verteidigt. Aber es ist nicht in Ordnung, dass das so einseitig ist.
    Müller: War das problematisch bei diesem Flug - es ging ja um einen Flug zu einem Gespräch nach Budapest mit dem ungarischen Regierungschef Viktor Orbán -, dass es ein russischer Honorarkonsul war, ein Deutscher, der im Auftrag Russlands versucht, ja politisch in irgendeiner Form Werbung zu machen? Warum ist das denn so problematisch?
    Giegold: Der Lobbyist war Klaus Mangold, der ja eine ganz wichtige Rolle gespielt hat gerade auch für den BDI und die Institutionen, die Bildung von wirtschaftlichen Beziehungen nach Osteuropa und nach Russland, und natürlich ist das in Ordnung, dass sich ein EU-Kommissar mit Klaus Mangold trifft.
    Mangelndes Verständnis für die Bedenken der Bürger gefährde Europa
    Müller: Also ein kompetenter Mann?
    Giegold: Ja, aber er soll es registrieren, das ist der entscheidende Punkt, und sich nicht dahinter verstecken, dass vielleicht ja die ungarische Regierung nach dieser Flugmöglichkeit gefragt hat. Mir geht es nicht darum, wie das im Einzelnen mit dem Flug gelaufen ist. Mir geht es darum, dass er ja als Budget-Kommissar und Personal-Kommissar in einer Schlüsselstellung in der Kommission ist, und dann sollte er verstehen, dass diese enge Beziehung zu einseitigen Wirtschaftsinteressen, dass das für die Bürger ein Problem ist und Europa gefährdet, und deshalb fordern …
    Müller: Das werfen Sie ihm vor!
    Giegold: Ich werfe ihm vor, dass er als Kommissar nicht klar sagt, so wie es übrigens Frans Timmermans, der Vizepräsident, immer wieder gesagt hat. Der Lobbyismus in Brüssel ist einseitig, er muss transparenter werden, ich arbeite mit, dass er noch transparenter wird, ich bin sensibel und sorge dafür, dass Akteure, die nicht so oft an meine Tür klopfen, dass die genauso Gehör finden wie diejenigen, die drängeln. Das ist die Erwartung der Bürger.
    Müller: Günther Oettinger hat doch gestern auch ausdrücklich gesagt, dass er sich für diese Transparenzoffensive einsetzen will, und eben haben Sie im Grunde ja eingeräumt, im Grunde war das legitim, was er gemacht hat, weil die Regeln nicht klar definiert sind. Da habe ich Sie richtig verstanden? Es war kein Regelverstoß?
    Giegold: Nein, ich habe nicht gesagt, dass es legitim war. Ich habe gesagt, dass formal die Regeln unklar waren.
    Müller: Also kein Regelverstoß?
    Giegold: Trotzdem sollte er so Interessen deklarieren. Viele deklarieren ihre Treffen leider nicht. Die EU-Kommission mit den Spitzenvertretern tut das, im Gegensatz zum Beispiel zu den Ministern im Bundestag, die sich regelmäßig einem Lobbyregister verweigern, haben wir das in Brüssel. Aber er hat das unvollständig gemacht und da gibt es ein Problem. - Ich will darüber hinaus aber noch jenseits dieses Fluges sagen:
    "Überzogen, Herrn Oettinger die Personalverantwortung zu übergeben"
    Müller: Ich will darüber hinaus Sie auch noch was fragen, Herr Giegold. Sind Sie so nett, bitte. Sie haben gesagt, okay, bei dem Lobbyismus bleibt das alles virulent, das ist nicht befriedigend aus Ihrer Sicht. Beim Thema Schlitzaugen-Rede Entschuldigung akzeptiert, damit ist das für Sie vom Tisch. Jetzt wird er Haushaltskommissar. Das ist ja auch Ihr Metier. Das heißt, er wird der zweitwichtigste Mann in Brüssel. Er muss konsequent über die Haushaltspolitik entscheiden, er muss auch in Kooperation beziehungsweise enger Absprache mit den anderen Mitgliedsländern stehen. Kann er ein guter Haushaltskommissar werden? Kann er konsequenter sein als die davor?
    Giegold: Zunächst mal: Für die Finanzen der Mitgliedsländer ist Herr Moscovici zuständig. Mit dem Stabilitätspakt und die ganzen komplizierten Fragen ist er nicht befasst. Er ist auch nicht der zweitwichtigste Mann, das ist Frans Timmermans als Vizepräsident, Sozialdemokrat aus den Niederlanden. Und dann gibt es die Vizepräsidenten und danach protokollarisch kommt Herr Oettinger. Natürlich hat diese Beförderung nach diesen Skandalen, muss man sagen, ein Geschmäckle und viele Bürger verstehen das nicht. Man muss aber klar sagen: Unsere Rolle als Parlament ist zu prüfen, ob er geeignet ist, dieses Amt auszuführen, und für den Budget-Teil muss ich sagen, ist das nach diesem Hearing, das in der Sache solide war in diesem Bereich, kann das Parlament das kaum infrage stellen.
    Zudem ist es auch so, dass die Entscheidung durch Herrn Juncker bereits getroffen ist, was ich einen Schlag ins Gesicht des Parlaments empfinde. Er hätte mit der Ernennung warten müssen. Insofern war es ein Meinungsaustausch und er war auch deshalb zahmer, als viele ihn erwartet haben, weil die Entscheidung selbst eigentlich durch Herrn Juncker schon getroffen war. Was wir allerdings finden ist, dass es überzogen ist, Herrn Oettinger auch noch die Personalverantwortung zu übergeben, nach all dem, was passiert ist, und gestern Abend in den Sitzungen der Koordinatoren haben mehrere politische Fraktionen auch gesagt, dass sie genau das nicht möchten, und das entscheidet sich am Donnerstag in der Runde der Konferenz der Präsidenten.
    Müller: Aus Ihrer Sicht bleiben noch viele Fragen zu klären. - Vielen Dank an den Grünen-Politiker Sven Giegold. Er sitzt im Europäischen Parlament und dort auch im Haushaltsausschuss. Danke, dass Sie Zeit für uns gefunden haben, und einen schönen Tag noch.
    Giegold: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.