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Özils Rückzug
Ein Desaster für die Integration?

"Ich bin Deutsch, wenn wir gewinnen, aber ein Migrant, wenn wir verlieren", twittert Mesut Özil über seine Zeit in der Nationalmannschaft. Dass er das DFB-Trikot nun an den Nagel hängt, hat eine Debatte über Integration und Rassismus in Deutschland entfacht - nicht nur im Fußball.

Moderation: Marina Schweizer | 25.07.2018
    No To Racism Banner in einem Fußballstadion.
    Wie stark wird die "No-To-Racism"-Kampagne der FIFA mit Leben gefüllt? (imago sportfotodienst)
    Deckt der 92-fache Nationalspieler mit einem großen Knall noch immer vorhandene Mängel auf? Oder schadet Özil mit seinen Vorwürfen dem Integrationsprozess?
    Unter der Leitung von Deutschlandfunk-Redakteurin Marina Schweizer diskutieren:
    • Ferda Ataman, Politikwissenschaftlerin und Journalistin
    • Andreas Germershausen, Beauftragter des Berliner Senats für Integration und Migration
    • Thomas Kistner, Süddeutsche Zeitung
    • Christoph Niessen, Vorstandsvorsitzender des Landessportbundes NRW
    Christoph Niessen vom Landessportbund NRW sagte, man könne von Mesut Özils Rücktritt nicht auf ein Gelingen oder Misslingen von Integration im Sport schließen. Man müsse die sportliche Leistung, Özils Erdogan-Foto und das "unerträgliches Maß an Rassismus, das Özil ertragen musste", "sauber voneinander abschichten". Durch den Fall Özil sei aber nicht alles, was Sport bei Integration leisten könne, Makulatur geworden.
    Politik demoralisiert laut Christoph Niessen Menschen, die sich für Integration einsetzen
    Ehrenamtliche würden aus sich heraus aktiv, um einen Beitrag zum Zusammenleben in ihrem Ort zu leisten. Kleine Vereine würden auch in Zukunft nicht anders handeln. Aber das Umfeld werde durch den Fall und die Debatte der vergangenen Monate und Jahre schlechter. Ein Vokabular, das man nicht für möglich gehalten hätte, sei durch Ministerpräsidenten und Minister hoffähig geworden. Dadurch würden auch diejenigen, die sich vorher nicht getraut hätten, auch in Sportvereinen, dies nun aussprechen. "Diejenigen, die sich positiv für Engagement in Sportvereinen einsetzen, werden nicht unterstützt, sondern sogar angefeindet", so Niessen.
    Der Integrationsbeauftragte des Berliner Senats, Andreas Germershausen, sagte, die Wahrnehmung "wenn ich erfolglos bin, werde ich zum Fremden" mache ihn traurig. Damit gehe viel kaputt, was vorher positiv vom DFB signalisiert worden sei. Für ihn stehe die Frage nach Rassismus und Diskriminierung im Vordergrund, das sportliche Ausscheiden der DFB-Elf oder Özils Verhalten zu Potentaten sei nicht entscheidend, auch der DFB sei "voller solcher Kontakte".
    "Botschaft der Vielfalt wird gerade kaputt gemacht"
    In den vergangenen Jahren habe der DFB eine Botschaft gehabt, mit Özil, Boateng, Gündogan, Podolski sei ein positives Bild von Vielfalt vermittelt worden, und dass das gerade im deutschen Fußball angekommen war, sei eine Überraschung gewesen. Aber eben diese Vorbildfunktion und Botschaft der Vielfalt werde gerade kaputt gemacht.
    Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung sagte, die Werbepose Özils mit Erdogan während des Wahlkampfs in der Türkei stehe als Fehler am Anfang der Debatte. Sprengstoff gebracht habe aber der DFB "mit unfassbar dummen Äußerungen insbesondere von DFB-Präsident Grindel". Dazu komme, dass die "die irre Überhöhung des Fußballsports" von ganz oben begrüßt werde.
    Özildebatte laut Ferda Ataman kein Sportthema mehr
    Die Journalistin und Politikwissenschaftlerin Ferda Ataman sagte, für sie sei das Thema Özil kein Sportthema mehr. "Vor allem ist es etwas, was sich in die Köpfe von Menschen, die sich anders fühlen, einbrennen wird". Sie vergleicht die Diskussion mit Zäsuren wie die Anschläge von Mölln und Solingen und das islamfeindliche Buch von Thilo Sarrazin. Daraufhin hätten sich neue Organisationen von Migranten-Nachwuchs gegründet, die zwar keine Lust auf das Thema gehabt hätten, aber das Gefühl gehabt hätten: "Ich muss klarstellen, dass ich mich einbringen will."
    Andreas Germershausen betonte, eine Reaktion von Mitspielern und durch den Verband zum Rassismus Özil gegenüber sei zwingend erforderlich, aber auch das Zeichen der Gesellschaft, dass Menschen mit ausländischen Wurzeln auch mal einen Fehler machen dürften und sie trotzdem zu uns gehören.
    "Vielleicht geht es uns nach der Debatte besser"
    Ferda Ataman kritisierte, dass die Frage nach dem Integrationswillen sehr viel und sehr gehäuft komme. "Es fühlt sich an wie eine Klatsche." Daher sei die Özildebatte wichtig. Vielleicht müsse sie ausgetragen werden, sowohl was die "Rassismuskeule" als auch die "Erdogankeule" betreffe, und: "Vielleicht geht es uns danach besser."