Freitag, 19. April 2024

Archiv


"Offenbar sind die Iraner bereit, einen Deal zu machen"

Die nukleare Frage ist auch ein Mittel zum Zweck, um die Rolle des Iran neu zu definieren, sagt Publizist Michael Lüders vor dem Beginn der Atomgespräche mit dem Iran in Genf. Er hält einen Kompromiss im Streit um das iranische Nuklearprogramm für denkbar.

Michael Lüders im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 06.12.2010
    Dirk-Oliver Heckmann: Mehr als ein Jahr ist es jetzt her, dass die UNO-Vetomächte und Deutschland Gespräche mit dem Iran über den Stopp seines Nuklearprogramms geführt haben. Heute sollen die schwierigen Verhandlungen in Genf wieder aufgenommen werden. Pünktlich zum Auftakt vermeldet Teheran neue Erfolge bei der Anreicherung von Uran, das zur Stromerzeugung, aber auch zum Bau von Atomwaffen benötigt wird, und der Iran bezichtigt die USA, Israel und Großbritannien, hinter dem jüngsten Mordanschlag an einem iranischen Nuklearphysiker zu stecken.
    Am Telefon begrüße ich jetzt den Publizisten Michael Lüders. Guten Morgen, Herr Lüders!

    Michael Lüders: Schönen guten Morgen!

    Heckmann: Gestern kündigte die iranische Atombehörde an, zum ersten Mal im Iran hergestelltes Urankonzentrat zu verwenden. Das hört sich nicht danach an, als würde Teheran auf sein Nuklearprogramm verzichten wollen.

    Lüders: Nein, das auf gar keinen Fall. Der Iran wird auf sein nukleares Programm nicht verzichten, das ist ein nationaler Konsens, der weit über die Regierung hinausgeht, dass Iran das Recht habe, die Atomenergie friedlich zu nutzen, und der Iran versichert, ohne dass man dies in der übrigen Welt glauben würde, dass man keine militärischen Zwecke mit dieser nuklearen Energie verfolge. Auf jeden Fall geht die Entwicklung der Uranbrennstoffe im Iran weiter, aber das Selbstbewusstsein der Iraner ist mittlerweile so groß, dass man bereit ist, jetzt in Genf mit dem Westen zu verhandeln und möglicherweise die Urananreicherung bei 20 Prozent belässt. Das reicht, um Atomkraftwerke zu betreiben, aber es reicht nicht, um Atombomben herzustellen. Und offenbar sind die Iraner bereit, einen Deal zu machen, dass die weitere Anreicherung ausgesetzt wird, unter Kontrolle westlicher oder anderer Staaten, beispielsweise Russlands, um auf diese Art und Weise den Konflikt zu entschärfen.

    Heckmann: Und das wäre dann auch ein möglicher Weg, den die westlichen Staaten, die fünf Vetomächte und Deutschland, mitgehen könnten?

    Lüders: Das ist die entscheidende Frage. Es hat in der Vergangenheit immer wieder Angebote gegeben beider Seiten, mal ist der Westen dem Iran entgegengekommen, mal ist der Iran dem Westen umgekehrt entgegengekommen, und nie hat es so richtig geklappt. Man muss sich vor Augen führen, dass es in der nuklearen Frage nicht allein darum geht, ob der Iran nun in der Lage sein mag, die Atombombe zu entwickeln oder nicht; diese ganze nukleare Frage ist auch ein Mittel zum Zweck, um die Rolle des Iran neu zu definieren. Der Iran sieht sich als eine Mittelmacht im Nahen und Mittleren Osten, diese Rolle wollen die westlichen Staaten und Israel aber dem Iran nicht einräumen, und somit ist die nukleare Frage auch ein Mittel zum Zweck, um den Iran klein zu halten mit Hilfe von Boykottmaßnahmen und natürlich auch zur Demokratisierung im Lande selbst beizutragen.

    Heckmann: Aber im Endeffekt muss dem Iran diese Rolle zugestanden werden? Verstehe ich Sie da richtig?

    Lüders: Man wird nicht verhindern können, dass der Iran den nuklearen Weg geht, und es ist auch nicht möglich, die Rolle des Iran zurückzudrängen. Es ist eine bedeutende Macht, eine sehr undemokratische, die zudem viele Probleme verursacht, nicht nur im Verhältnis zu Israel, sondern auch im Verhältnis zu den arabischen Nachbarstaaten, allen voran Saudi-Arabien, und die kleinen Golf-Staaten sind sehr besorgt, dass der Iran über eine Atombombe verfügen könnte.

    Heckmann: Herr Lüders, ein enger Berater des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad hat in der "FAZ" am Sonntag gestern die Freilassung der beiden "Bild"-Reporter angedeutet. Die beiden waren ja mit Touristenvisa offenbar eingereist und wollten den Sohn der wegen Ehebruchs zum Tod verurteilten Sakineh Ashtiani interviewen und wurden Mitte Oktober festgenommen. Ist die Sorge unberechtigt, dass der Iran die beiden als Faustpfand benutzen will?

    Lüders: Das hat der Iran auch in der Vergangenheit schon getan. Es gab immer wieder Ausländer, Journalisten und andere, die im Iran festgenommen worden sind unter dem Vorwurf der Spionage. In der Regel sind diese westlichen Ausländer über kurz oder lang wieder freigelassen worden, zum Teil nach einem Scheinprozess, aber es gibt keine westlichen Ausländer, die nun wirklich langjährige Haftstrafen im Iran abbüßen würden. Ich denke, dass auch diese beiden "Bild"-Reporter wieder freikommen werden, aber der Iran wird sich dieses Entgegenkommen aus seiner Sicht bezahlen lassen. Es wird also Zugeständnisse auch westlicher Staaten beziehungsweise Deutschlands geben müssen, zum Beispiel die Freilassung von Iranern, die dem Regime nahestehen und die in Deutschland inhaftiert sind.

    Heckmann: Noch ganz kurz, Herr Lüders, zu den Dokumenten, die Wikileaks veröffentlicht hat. Demnach soll der saudische König Abdullah die USA aufgefordert haben, der iranischen Schlange den Kopf abzuschlagen. Teheran spricht von Fälschungen und sagt, das habe keine Auswirkungen auf die Beziehungen zur arabischen Welt. Ist das so?

    Lüders: Doch, es wird Auswirkungen haben auf die arabische Welt, auf die Beziehungen des Iran zu den arabischen Nachbarstaaten, vor allem zu Saudi-Arabien, und natürlich lacht man sich in Teheran ins Fäustchen, weil natürlich die saudische Führung sich sehr stark desavouiert hat durch diese Ausführung, denn nun steht der Iran als ein Land da, das den Frieden sucht angeblich, während Saudi-Arabien als Kriegstreiber dasteht, und das ist natürlich aus der iranischen Selbstwahrnehmung durchaus ein positiver Effekt.

    Heckmann: Heute finden in Genf Atomgespräche mit dem Iran statt. Wir haben gesprochen mit dem Publizisten Michael Lüders. Herr Lüders, ich danke Ihnen für das Gespräch.

    Lüders: Vielen Dank!