Freitag, 19. April 2024

Archiv


Offene Wunden im deutsch-polnischen Verhältnis

Historiker und Parlamentarier sehen zwischen den Ländern Polen und Deutschland ein gutes Nachbarschaftsverhältnis. In eine gesunde Beziehung wurde über die Jahrzehnte investiert. Aber längst sind nicht alle Wunden aus dem Krieg verheilt.

Von Sabine Adler | 22.01.2013
    Mit Deutschlands und Frankreichs Gewicht in Europa könne es Polen nicht aufnehmen, sagt der Historiker Lukasz Michalski vom Institut für das Nationale Gedächtnis in Warschau. Will man das Verhältnis vergleichen, dann seien Polen und Deutsche dort gestartet, wo Franzosen und Deutsche nach dem Ersten Weltkrieg standen. Wenn es eine Ähnlichkeit gibt, dann Deutschlands schwere Schuld. Aber sein klarer Umgang damit habe den Neubeginn ermöglicht.

    "Das wichtigste ist die Genugtuung. Die konnte erreicht werden, weil Deutschland seine Schuld anerkannt hat. Das deutsch-polnische Verhältnis basiert auf der Wahrheit und die hat es gewissermaßen geheilt. Deutschland ist mit acht Millionen Toten und dem Verlust eines Teils seines Territoriums schwer bestraft worden. Anders als Deutschland hat Russland seine Schuld nicht anerkannt. Russland ist Erbe der Sowjetunion, aber nur, wenn es um nette Sachen geht – Gas, Erdöl, Gold, Diamanten. Ungern möchte es die Verantwortung für die Schuld übernehmen, die die Sowjetunion verübte, wie die Deutschen für Nazis."

    Piotr Chmielowski von der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe bezeichnet die Beziehungen als vorbildlich, aber wenig ambitioniert. Kaum ein neues bilaterales Vorhaben sei in Arbeit.

    "Der größte Fehler der heutigen Regierenden, außer vorzüglichen kulturellen Kontakten, ist, dass grenzüberschreitende deutsch-polnische Projekte praktisch verschwunden sind. Aus Mangel an Visionen, oder Lust, etwas zu machen. Das betrifft den Hochwasserschutz und Transportmöglichkeit auf der Oder für Kohle aus Schlesien. Das hat Regierung vernachlässigt. Faulenzerei hat das durchgekreuzt."

    Auf das gute Nachbarschaftsverhältnis lässt der Abgeordnete des polnischen Parlaments aber nichts kommen und auch der Historiker Michalski bescheinigt beiden Ländern inzwischen gesunde Beziehungen, in die über Jahrzehnte investiert worden sei.

    "Von deutscher Seite gab es nach dem Krieg viele sehr gute Gesten. Das beste Beispiel ist die Unterstützung Westdeutschlands, Ostdeutschland war das ja nicht möglich, nach der Ausrufung des Kriegszustandes. Außer von Seiten der USA gab es niemanden, der Polen ebenso unterstützt hat, das dürfen wir nie vergessen. Diese Solidarität in einem so schweren Moment hat vieles verändert."
    Längst nicht alle Wunden sind geheilt. Der Historiker weist zum Beispiel jede polnische Verantwortung an der Vertreibung der Deutschen zurück. Die Alliierten, nicht Polen, hätten sie verfügt und schließlich seien die Vertriebenen nicht in Konzentrationslagern gelandet. Kritisch sieht er zudem, wie seiner Meinung nach in Deutschland noch immer die Rolle der Wehmacht beurteilt wird.

    "Für Deutschland gab es die böse SS, die sehr schlimmer Waffen SS und die sehr gute Wehrmacht, die aus Einberufenen bestand, die gingen, wohin sie gehen mussten. Schauen Sie den Stalingrad-Film an! Nette ehrenhafte Jungs in schrecklicher Lage. Nur: Warum waren sie bei Stalingrad, nicht bei Bremen. Die Wehrmacht benahm sich in Polen nicht besser als die SS. Manchmal auch schlechter."

    Wenn deutsche Verbrechen allein auf den Holocaust beschränkt werden, verweist der Historiker vom Institut für nationales Gedächtnis zusätzlich in aller Deutlichkeit auf verschiedene Kriegsverbrechen. Das schlimmste sei 1944 geschehen.

    "Während des Warschauer Aufstandes haben die Deutschen in knapp acht Tagen 50.000 Menschen ermordet. Das ist absolut beispiellos. Die deutschen Offiziere haben die Menschen in Kellern gejagt, in die sie Granaten warfen oder Flammenwerfer hineinhielten, weil das billiger war."

    Erst nach dem Aufstand wurde Warschau zerstört. 90 Prozent der Häuser in einer geplanten Abbruchaktion. 800.000 Menschen sind gestorben, 800.000 wurden vertrieben, von zwei Millionen Warschauern waren 3000 übrig.