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"Offenlegung auf Heller und Pfennig"

Verschärfte Veröffentlichungspflichten für die Nebeneinkünfte von Parlamentariern verlangt Christian Humborg, Geschäftsführer von Transparency International Deutschland. Die Aussage des SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück, absolute Transparenz gäbe es nur in Diktaturen, sei dagegen "äußerst missverständlich".

Christian Humborg im Gespräch mit Gerd Breker | 08.10.2012
    Gerd Breker: Inzwischen mag sich so manch einer fragen, ob es klug war, den Kanzlerkandidaten der SPD, Peer Steinbrück, wegen seiner Nebenverdienste anzugehen. Seine erheblichen Vortragshonorare könnten am Ende dazu führen, dass die Nebenverdienstregeln aller Bundestagsabgeordneten auf den Prüfstand geraten und der gezielte Schuss den Weg ins eigene Tor finden könnte. Nun, wie transparent sollen die Politiker mit ihren Nebenverdiensten sein und ist ein Vortrag vor Bankenvertretern schon die Anbiederung an das Kapital? Am Ende enthält der Diskurs um den gefragten Redner Elemente einer sonst so gern zitierten Neiddebatte – klare Kante gegen runde Ecke. In Berlin begrüße ich nun am Telefon Christian Humborg, er ist der Geschäftsführer von Transparency International Deutschland. Guten Tag, Herr Humborg.

    Christian Humborg: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Reichen denn aus Ihrer Sicht, Herr Humborg, die derzeitigen Regeln über Nebenverdienste der deutschen Bundestagsabgeordneten aus, oder muss nachgebessert werden?

    Humborg: Nein, die reiche nicht aus. Wir brauchen dort mehr Transparenz. Seit Jahren schlagen wir vor: Offenlegung auf Heller und Pfennig. Und wenn man sich andere Länder anguckt wie Großbritannien oder Niederlande, wo das ja der Fall ist, dann fragt man sich, warum geht das eigentlich bei uns nicht.

    Breker: Welche Stellschrauben genau, Herr Humborg, sollten angezogen werden?

    Humborg: Ich glaube, es gibt verschiedene Aspekte, die hier besonders wichtig sind. Erstens, dass es genaue Zahlen gibt, oder zumindest ganz, ganz viele Stufen. Zweitens, dass man sich auch stärker mit der Frage der Rechtsanwälte auseinandersetzt und da überlegt, wie man zumindest erreichen kann, dass die Anwälte mal die Branchen angeben, aus denen ihre Mandanten stammen. Und drittens muss man sich natürlich dann auch noch überlegen, ob man das ein bisschen besser darstellen kann, aber das ist, glaube ich, das geringste Problem.

    Breker: Worum geht es dabei eigentlich? Geht es darum, die Höhe der Einkünfte der Abgeordneten zu erfahren, oder geht es um, na ja, sagen wir mal vorsichtig, Interessenkonflikte?

    Humborg: Ich glaube, es geht einfach darum, dass man sieht, ob es an bestimmten Stellen potenzielle Interessenkonflikte gibt, und das bezieht sich ja auch gar nicht nur auf die Wählerinnen und Wähler, sondern auch um die anderen Abgeordneten. Wir haben es in Kommunalparlamenten so, wenn man einen potenziellen Interessenskonflikt hat, dann stimmt man nicht mit. Das ist beim Bundestag nicht so und deswegen muss das kompensiert werden, und das sollte man machen, indem man diese potenziellen Interessenskonflikte zumindest sehr deutlich und klar offenlegt.

    Breker: Das ist jetzt nicht so? Also man weiß nicht, wer zum Beispiel im Aufsichtsrat der Bahn sitzt, oder wer irgendeine Geschäftsführerposition inne hat beim Industrieverband oder bei den Gewerkschaften?

    Humborg: Wir haben im Moment eine Regelung, wo man das in vielen Teilen bereits sieht, und da zeigt sich ja auch schon, wie viel diese Transparenz bewirkt hat. Ich finde, diese aktuelle Debatte zeigt ja auch schon, wie vernünftig es war, das damals überhaupt einzuführen vor einigen Jahren. Sonst könnten wir gar nicht darüber reden, sonst wäre das immer noch im Verborgenen. Aber es gibt natürlich manche Dinge, die man immer noch nicht sieht, nämlich wenn bestimmte Akteure dazwischen geschaltet sind, zum Beispiel Redneragenturen. Dann sieht man im Moment auch noch nicht den Auftraggeber. Das ist sicher nicht vernünftig. Und hier und da mag vielleicht auch die Höhe eine gewisse Rolle spielen.

    Breker: Nun sind Vorträge, die man hält, nicht unbedingt das Verfänglichste. Da kann ja zuhören wer mag, und wenn man vor Bankenvertretern spricht, muss das ja nicht zwingend heißen, dass man das Kapital vertritt, sondern man informiert diese Leute. Sind Vortragshonorare aus Ihrer Sicht eigentlich schon mal Alibi gewesen, um überhaupt Geld zu zahlen? Also der Vortrag war es nicht wert, aber das Geld ist geflossen.

    Humborg: Das vermag ich jetzt nicht zu beurteilen, zumal ich, glaube ich, noch nie in meinem Leben einem solchen Vortrag, für den ein Bundestagsabgeordneter Geld kassiert hat, je gelauscht habe. Dann müsste man sich ja wahrscheinlich erst mal einige anhören, um das bewerten zu können. Aber allgemein kann man natürlich schon darüber diskutieren, ob das so vernünftig ist. Aber grundsätzlich finde ich das Wichtigste, man macht es transparent, und dann wird es Wähler geben, die das goutieren und sagen, da habe ich kein Problem mit, das ist dann ja auch okay, und es gibt manche, die sagen, das finde ich eigentlich nicht in Ordnung. Ein Abgeordneter sollte nicht Vorträge halten, wenn er ein voll alimentiertes Mandat hat. Und dann können auch diese Wähler ihre Schlussfolgerungen ziehen. Das ist, glaube ich, hier der Charme der Transparenz, dass jeder, je nachdem wie er das beurteilt, dann seine eigenen Schlussfolgerungen daraus ziehen kann.

    Breker: Hat denn Transparenz, Herr Humborg, aus Ihrer Sicht Grenzen? Steinbrück sagt ja, völlige Transparenz gibt es nur in Diktaturen.

    Humborg: Ich fand die Aussage, so absolut und pauschal, wie er sie getroffen hat, auch äußerst missverständlich, denn Transparenz ist natürlich ein wichtiges Instrument zur Kontrolle von Macht in Diktaturen [Anmerkung der Redaktion: Der Interviewte hat sich versprochen und meint Demokratien und nicht Diktaturen]. Wir haben gerade vor kurzem gesehen, dass in Hamburg ein Transparenzgesetz verabschiedet wurde. Wo man natürlich aufpassen muss ist, den Schutz der Privatsphäre zu sichern, aber da müssen sich natürlich die Menschen und die Institutionen, die Macht haben, auch damit abfinden, dass bei ihnen möglicherweise die Grenze der Privatsphäre an manchen Punkten etwas anders gezogen wird als bei den Menschen, die keine Macht haben. Es gibt ja auch andere Beispiele, man denke an den Adresshandel, der gerade diskutiert wird, wo ja dann auch Adressen von Bürgern, die eigentlich keine Macht haben, verkauft werden. Insofern haben wir eine sehr differenzierte Transparenzdebatte und ich glaube, dass dieses Zitat nicht dazu beigetragen hat, diese Debatte mit der notwendigen Differenzierung zu führen.

    Breker: Wir wünschen uns ja, Herr Humborg, in unseren Parlamenten sozusagen einen Querschnitt der Bevölkerung. Doch das wissen wir ja, das ist eigentlich Illusion, denn die Zahl an Beamten, die sich in unseren Parlamenten wiederfinden, ist horrend hoch und höher als der tatsächliche Anteil in der Bevölkerung. Fängt es da nicht schon an, seltsam zu werden, Interessenskonflikte zu geben?

    Humborg: Also ich bin mir nicht so sicher, ob es möglich ist, alle Bevölkerungsberufe oder alle Berufe da perfekt wiederzuspiegeln. Es gab ja auch, als damals die Transparenzregelung kam, dieses "oh Gott, jetzt kommen überhaupt gar keine Freiberufler, die lassen sich nicht mehr wählen". Wir müssen feststellen, nach vielen dieser Transparenzregel haben wir nach wie vor deutlich mehr Rechtsanwälte im Deutschen Bundestag, als sie Anteil in der Bevölkerung haben. Insofern habe ich den Eindruck, dass es hier dann doch keine Verzerrung gibt. Und was Interessenskonflikte angeht, weil Personen bestimmte Berufe haben, muss man sagen, dass der Beamte ja zumindest vom Staat sein Geld bekommt, beziehungsweise dann ist es ja unterbrochen während des Mandats, und dass hier die Möglichkeit von Interessenskonflikten, würde ich sagen, doch etwas geringer ist als wenn man aus einem Privatunternehmen kommt, das sehr spezifische Privatinteressen verfolgt. Aber allgemein glaube ich, man sollte hier jetzt auch nicht den Abgeordneten vorwerfen und hier eine allgemeine Debatte losbrechen, die würden alle permanent kaum ihre Interessenskonflikte managen können. Also das entspricht nicht der Realität.

    Breker: Wir hatten dieser Tag, Herr Humborg, die seltsame Situation, dass die Industrieverbände die Bundesregierung aufgefordert haben, doch endlich der Anti-Korruptions-Konvention der Vereinten Nationen beizutreten. Das scheitert an den Abgeordneten!

    Humborg: Das ist ein ganz wichtiges und dringendes Thema, und insofern haben wir ja nächste Woche sogar zwei große Themen auf der Agenda. Am Donnerstag – das wurde ja schon im Beitrag gesagt – tagt die Rechtsstellungskommission und am Mittwoch zuvor gibt es eine öffentliche Anhörung genau zu diesem Thema. Es ist skandalös, dass Deutschland immer noch nicht die UN-Konvention gegen Korruption ratifiziert hat und sich einreiht mit Saudi-Arabien, mit Syrien, und da kann man den Abgeordneten nur zurufen, 'Regelt euch endlich selbst!'. Inzwischen ist die Opposition wohl hinreichend aufgewacht und alle Oppositionsfraktionen haben eigene Gesetzentwürfe vorgelegt. Insofern wünscht man sich, dass jetzt auch endlich die Regierungsfraktionen merken, dass es doch wenig glaubwürdig ist, international gegen Korruption ins Feld zu ziehen, aber dann im eigenen Haus seine Hausaufgaben nicht zu machen.

    Breker: Und wir können dem SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück dankbar sein, dass dieses Thema hoch gekocht ist.

    Humborg: Also ich glaube, man sollte eher denen dankbar sein, die das auch beobachtet haben, und nicht denen, die es dann irgendwie befördern, und man sollte auch denen dankbar sein, die jetzt immer wieder das Thema voranpreschen und damit darüber reden. Es gibt ja im Land viele Menschen, das erlebe ich auch, die sich sehr darüber wundern, dass die Abgeordnetenbestechung in Deutschland so schwach geregelt ist, und ich finde, denen man sollte man noch eher danken.

    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Meinung des Geschäftsführers von Transparency International Deutschland, von Christian Humborg. Herr Humborg, danke für dieses Gespräch.

    Humborg: Bitte sehr!


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