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Ohne faden Beigeschmack

Der mecklenburgische Buchkünstler, Grafiker und Poet Horst Hussel, Jahrgang 1934, gehört zum alten subversiven Ostgestein. Dem bedeutendensten Buchgestalter der DDR widmet die Friedenauer Presse nun zum 75. Geburtstag eine Textesammlung.

Von Richard Schroetter | 09.12.2009
    Der Karlsruher Philosoph Peter Sloterdijk hat Rilkes pathetische Ermahnung: "Du musst dein Leben ändern" zum Ausgangspunkt seiner jüngsten spektakulären "anthropotechnischen" Studie gemacht. Allen denkenden und auch mitfühlenden Wesen empfiehlt er gegen die herrschende Krise Einübung in Askese, die Exerzitien des Verzichts. Nur so können wir die grassierenden Probleme lösen und nur so werden wir teilhaftig am "Unwahrscheinlichen".

    Viel zartfühlender und ganz ohne bombastische Weltrhetorik drückt sich da der in Berlin-Pankow lebende Maler, Poet und Buchkünstler Horst Hussel in seinen minimalistischen Prosaarbeiten aus. Das Unwahrscheinliche ist für ihn ebenso selbstverständlich wie die Exerzitien in Askese.

    "Man muss verzichten dürfen"."

    Geht es Franz (aus der "Neuronengeschichte") durch den Kopf, der "Im Haus der 100 Biere" mit einer "blutjungen Person" vergebens flirtet und nach einigen Bierchen vor unvorhersehbaren Komplikationen flüchtet, mit der unbezweifelbaren Erkenntnis, dass ein kurzer Glücksaugenblick nicht ewig währen kann.

    Glücksabbruch und Entsagung spielen in Hussels kurzen Stücken eine wesentliche Rolle. Verzicht als lebensbejahende Grunderfahrung, als aufgenötigte Praxis aber auch, konnte er ja in der DDR vollendet trainieren. Hussel selbst ist ein Fall produktiver Selbstkasteiung, opferte er doch sein malerisches Ingenium lange der angewandten Kunst.

    30 Jahre "schusterte" er, wie er es nennt, für die großen DDR-Verlage Buchumschläge, Illustrationen, Vignetten. Später kamen West-Verlage dazu wie Transit, Fischer, die Büchergilde Gutenberg, vor allem aber die Friedenauer Presse, deren Outfit seine künstlerische Handschrift trägt. Und Hussel malt wieder in allen Formaten, wie die vielen Ausstellungen nachdrücklich belegen. Und dann sind da eben noch diese kleinen fabulierenden Texte. Skurrile Prosaminiaturen, dadaistisch verspielte Dramolette, die irgendwie zwischen Scheerbart, Schwitters und Artmann vagieren, einige davon wurden auch vertont. In seinem künstlerischen Temperament ist Hussel durchaus ein versprengter Kunstjünger einer frühromantischen, subversiven Fantastik, die quer stand zum verordneten DDR-Realismus.
    Querköpfe sind auch Alkol und Bilior aus Hussels Dramolett "Abendunterhaltung".

    "Der Baum da, nicht der, sondern der andere, stört"

    ... erklärt Bilior seinem Freund Alkol. Der erwidert: "Denke ihn weg." Und so geht es weiter:

    "Ich lasse ihn dir. Was jetzt stört, ist das Haus neben dem Baum, den ich dir gelassen."
    "Denke es weg."
    "Jetzt, wo das Haus fehlt, stört der Hügel hinter dem Haus."
    "Denke ihn weg."


    Das Geplänkel könnte ad infinitum so weitergeführt werden. Denn "man mag sich wenden und drehen wie man will, immer steht was im Weg." Aber es kommt dann doch immer anders als es kommen soll. Es wird alles konsequent weggedacht, da ertönt plötzlich ein Schifferklavier und Bilior sieht ein Menschlein in weiter Ferne, das ihm aus der Einsamkeit zuzuwinken scheint.

    Alkol und Bilior sind Kippfiguren. Sie könnten eben so gut auch Max, Fritz, Karl oder bloß A und B abgekürzt heißen. Aber eigentlich haben sie alle nur einen Namen: Franz. Franz ist Hussels Abgesandter/Stellvertreter, der sich halsstarrig der gewöhnlichen Welt verweigert, deren Herrschaft bekanntlich schon mit dem Aufstehen beginnt.

    ""Würde er aufstehen wollen, sich aus dem Bett erheben, würde er es tun. Er aber lacht, weil er will, und auch wenn er nicht will, bleibt er im Bett, weil die Zeit noch nicht reif ist."

    Franz liebt das Leben, solange es nichts von ihm will und die Spatzen fröhlich in den Bäumen tschilpen. Er fühlt sich hingezogen zu einem Wesen, einer fernen Geliebten, die mal Agathe, Gerda oder Elvira heißt, und die so befremdlich, flüchtig und unfassbar ist wie die anspielungsreiche Musik, die in diesen Prosastücken immer wieder erklingt.

    "Ein Archaeopteryx lässt sich auf dem Ast eines Schuppenbaumes nieder, um ein süßes Lied zu flöten. Wiegenlieder ertönen in den überheizten Zimmern. Nach 'Campanella' klimpert das Welt-Mignon-Piano den 'Diner-Walzer' im Hotel Waldhaus in Sils-Maria."

    Die Musik und all die anderen luftigen Töne machen Franz kindlich und weich, dagegen verdrießen ihn langatmige Rhetorik und Vernünftelei, all die zweckorientierten Wissenstechniken der Rationalität, die 'Worte aus der linken Hälfte des Kopfes', 'Worte die alles verändern', die er listig unterläuft.

    A : Hammer- und Sichelworte, ... Schlag- auf Schlagworte, .... Faustrollworte
    B : Worte des Adlers, der Schlange, ... Worte für Nachtgedanken, Bet- und Bittworte, Wortschlacken, ... Wörter wie Blütenträume, .... Traumworte
    A : Wund und Wehworte ....Wörter für den alsbaldigen Gebrauch bestimmt ..
    B : Scheißwörter! ... merde!


    Wie kann man der Welt der Unworte, des Nutzens und des Gebrauchs entgehen. Franz versucht es durch strenge Exerzitien. Aber auch da gibt es Grenzen.

    Zum 463sten Mal wohl fragt Franz die Frage, was er tun soll. Soll er bis 500 zählen? Das tut er nicht. Wenn Paganini die vierte Saite genügt, genügt Franz eine Baumsäge. Kurz entschlossen greift er zu einer Baumsäge und verlässt das Haus in Richtung Wald.

    Man mag in diesen teils morgensternisch-korfisch, teils dadaistisch orphisch verschwitterten poetischen Koboldiaden den rechten Sinn und den großen Handlungsbogen vermissen. Doch darum geht es gerade. "Die Welt erobern wollen durch Handeln", heißt es bei Laotse, einem der sieben oder acht Hausheiligen Horst Hussels,

    "habe ich erlebt, dass das mißlingt.
    Die Welt ist ein geistiges Ding,
    das man nicht behandeln darf.
    Wer handelt, verdirbt sie.
    Wer festhält, verliert sie."


    Wer danach lebt, verlangt von dieser Welt mit Ausnahme des Nichts nichts. Hussel offeriert diese unmögliche Lehre ganz ohne den faden Beigeschmack unterschwelliger Didaktik. Im Gegenteil, er feiert ganz unartig und frech die surrealen Momente des Glücks.

    Gabriele Killert hat in ihrem trefflichen Nachwort das ironisch auf den Punkt gebracht, wenn sie davon spricht, dass die Geschöpfe dieses so heiteren Malerpoeten am liebsten "die leere Zeit mit ontologischen Gottesbeweisen des Nichts und der schalkhaften Verballhornung schöngeistigen Erbes vertreiben".

    Oder um es mit Hussel zu sagen:

    "Wenn es vorbei ist, das Nichts, unterhalten wir uns."

    Horst Hussel : Aprillenwetter. Frühlingsgeschichten und Dramolette.
    Herausgegeben und mit einem Nachwort von Gabriele Killert.
    Friedenauer Presse, Berlin 2009. 120 Seiten, 18 Euro.