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Ohne Grenzen

Ab 1. Mai gilt für Arbeitnehmer aus Polen, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und aus Slowenien Arbeitnehmerfreizügigkeit. Sie haben dann das Recht auf freien Zugang zu einer Beschäftigung in Deutschland. Eine Bestandsaufnahme.

Von Axel Flemming, Ruth Rach, Florian Kellermann | 28.04.2011
    Wer nach Schwedt an der Oder fährt, kommt an PCK gar nicht vorbei. Schon von Weitem sieht man die hohen Türme der Raffinerie des ehemaligen "VEB Petrolchemisches Kombinat" der DDR. Jetzt sind die großen Ölmultis Shell, BP, Total und ENI Gesellschafter der Anlage. Zu DDR-Zeiten arbeiteten hier über 8600 Menschen, PCK hat jetzt 1300 Mitarbeiter; und da sind die Auszubildenden schon eingerechnet. Von allen Beschäftigten stammen derzeit nur zwei aus Polen. Ein bescheidener Wert für ein Unternehmen in einer Grenzstadt, räumt auch Andreas Hungeling ein, er ist der kaufmännische Geschäftsführer von PCK:

    "Also es sind zwei Ingenieure, die ich glaube beide in der Verfahrenstechnik arbeiten, es sind beides Initiativbewerbungen, die sich vor einigen Jahren hier bei uns beworben haben, weil sie noch PCK kennen aus Erzählungen, dass das hier ein anständiges Unternehmen ist. Und sie sehen einfach den Weg aus Polen zu einem Industrieunternehmen in Deutschland nahe der Grenze als großer Vorteil, dass sie dann auch die Bindung immer noch in die Heimat haben, und haben sehr gute Zeugnisse vorgelegt und wir haben sie dann genommen."

    Ab dem 1. Mai gilt für Arbeitnehmer aus acht weiteren EU-Mitgliedsstaaten die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit. Das heißt: Bürger aus Polen, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Tschechien, der Slowakei und aus Slowenien haben dann das Recht auf freien Zugang zu einer Beschäftigung in Deutschland.

    2004 waren diese Staaten der Europäischen Union beigetreten. Das bedeutete aber noch nicht, dass Arbeitnehmer aus diesen Ländern einfach in den Nachbarstaaten auf Arbeitssuche gehen konnten. Deutschland und Österreich setzten bei der EU-Osterweiterung Beschränkungen für den Zuzug von Arbeitskräften durch. Daran änderte auch der Schengenbeitritt der neuen EU-Staaten im Jahr 2007 nichts, bedauert PCK-Geschäftsführer Hungeling:

    "Ich gehör' eigentlich zu denen, die damals schon gesagt haben, dass wir die Arbeitnehmerfreizügigkeit mit Polen sehr schnell benötigen, weil wir einfach hier vor Problemen stehen, mit dem Fachkräftemangel in der Bundesrepublik Deutschland."

    Firmen, die die neueren EU-Bürger beschäftigen wollten, mussten bislang Arbeitsgenehmigungen bei den Behörden beantragen. Eine Hürde zwar für PCK, aber nicht unmöglich, sagt Hungeling:

    "Nein, in diesem Falle nicht. Weil es sind absolute Spezialisten, und sie müssen ja nachweisen, dass sie auf dem deutschen Arbeitsmarkt solche Spezialisten nicht finden, und wir haben hier in der Verfahrenstechnik wirklich spezielles Wissen, Raffineriewissen, insofern war das mit den Genehmigungen nicht das große Problem."

    Jürgen Polzehl ist Bürgermeister der Stadt Schwedt. Wenn er in den oberen Etagen des Rathauses aus dem Fenster blickt, kann er über die Oder nach Polen sehen. Von dort aus, so befürchtete Deutschland vor der EU-Osterweiterung, könnten Dumpinglöhne auf dem Arbeitsmarkt Einzug halten. Jürgen Polzehl erinnert sich kaum noch an diese Angst:

    "Mittlerweile haben wir auch Regelungen geschaffen, wenn ich ans neue Vergabegesetz für öffentliche Aufträge im Land Brandenburg erinnere, was jetzt in der Pipeline ist, da ist ja der Mindestlohn eingezogen, und damit ist diese Besorgnis zum Beispiel nicht da. Und damit sind wir wieder ein Stück weiter und haben uns vorbereiten können auf diese Situation."

    Schwedt ist geschrumpft, wie viele Städte im Osten Deutschlands. 35.000 Menschen wohnen jetzt noch hier, über 52.000 Einwohner waren es zur Wendezeit. Damals dominierten PCK und die Papierfabrik die Stadt; nach der deutschen Vereinigung schrumpfte auch die Zahl der Arbeitsplätze massiv. Arbeitnehmer, die flexibel und mobil waren, wanderten in andere Regionen ab.

    Mittlerweile sind 1.880 Gewerbetreibende in Schwedt eingetragen, der Mittelstand entwickelt sich. Der Bürgermeister nutzte die Kontakte zu den drei polnischen Partnerstädten und die Möglichkeit, über europäische Fördermittel Projekte zusammen mit der polnischen Seite zu initiieren.

    "Wir waren jetzt zum Beispiel auf der Messe in Koszalin, dort ist so eine Frühjahrsmesse eröffnet worden, auch kleine mittelständische Unternehmen, dort durfte ich mit eröffnen, haben wir die Adressen ausgetauscht, der Unternehmerverband von Schwedt war mit bei, kann nachfassen. Was draus wird, müssen natürlich Unternehmer machen. Aber die Bedingungen, die Rahmenbedingungen, die müssen wir setzen, und da sind wir einen Schritt weiter. Und die Kollegen der Kammern sehen hier nicht dramatische Entwicklungen, und ich denke, dass wird sich schon irgendwie einspielen."

    Das bestätigt Werner Ecker, Geschäftsführer der Handwerkskammer Ostbrandenburg:

    "Die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist insofern ein Einschnitt, als dass jetzt die rechtlichen Möglichkeiten gegeben sind für polnische Arbeitnehmer, sich in Deutschland zu betätigen. Wir rechnen aber als Handwerkskammer nicht damit, dass es einen großen Einfall von Arbeitnehmern im Land Brandenburg geben wird, sondern wir haben in der Vergangenheit schon die Erfahrung gemacht, dass wir polnische Selbstständige hier im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit tätig hatten, insofern rechnen wir nicht damit, dass bei unseren Arbeitnehmern hier möglicherweise Arbeitsplätze gefährdet wären."

    Zwar machten in der Vergangenheit Handwerksbetriebe aus Polen ihren deutschen Kollegen schon mal Konkurrenz. Aber auch in Polen herrscht mittlerweile ein Fachkräftebedarf. Beschäftigte zu Dumpinglöhnen aus dem Nachbarland fürchtet die Handwerkskammer längst nicht mehr, denn die Politik hat etwas getan.

    "Also hier gibt's gerade im Handwerk eine flächendeckende Regelung durch allgemeingültige Tarifverträge, die im Arbeitnehmerentsendegesetz enthalten sind, und insofern sind auch hier für polnische Arbeitnehmer dann die Tariflöhne zu zahlen, und deswegen sehen wir das eigentlich recht gelassen."

    In Polen blicken die Menschen mit gemischten Gefühlen auf den ersten Mai. Die Arbeitgeber einerseits fürchten, dass ihnen die besten Mitarbeiter davonlaufen. Andererseits gibt die Nachfrage aus Deutschland vielen ein neues Selbstbewusstsein. Facharbeiter freuen sich, dass sie im Ausland begehrt sind. Der abfällig gemeinte Begriff "polnische Wirtschaft" hat die Menschen auf der östlichen Seite der Oder gestört, er ist inzwischen widerlegt.


    Der Deutschland-Experte Krzysztof Wojciechowski erklärt in diesen Tagen auf unzähligen Konferenzen zu dem Thema, dass Polen und Deutsche vom offenen Arbeitsmarkt profitieren würden. Denn die beiden Arbeitskulturen ergänzten sich gut, meint er.

    "Natürlich, die Deutschen haben dieses Potenzial, was sie auf der Höhe von dem größten Exporteur der Welt hält, zum Beispiel die Konzentrationsfähigkeit. Das ist eine kulturell vermittelte Eigenschaft, sehr ausgeprägt in der deutschen Kultur, man weiß eigentlich nicht, warum. Davon zehren die Deutschen noch. Allerdings in der globalisierten Welt ist mehr Flexibilität, mehr Elastizität, mehr schnelles Reagieren auf sich verändernde Bedingungen gefragt. Und hier haben natürlich die Polen die Vorteile mit ihrem - in Anführungsstrichen - Improvisationsgeist. Also, wenn wir uns auf halbem Wege treffen, dann werden wir in Mitteleuropa ein Bereich der Stabilität und des Wachstums sein."

    Doch so gut sich auch die Arbeitskulturen der beiden Länder ergänzen: Die Arbeitsmärkte tun es nicht. In Polen fehlt es genau in den gleichen Berufen an Fachkräften wie in Deutschland, es gibt nicht genug Ärzte, Pfleger, Ingenieure, Bauarbeiter und Köche. Und in allen diesen Berufen verdienen die Beschäftigten in Deutschland durchschnittlich doppelt bis viermal so viel wie in Polen.

    Angst haben vor allem die Arbeitgeber im Westen des Landes. Brandenburg und Sachsen sind nicht weit, wer dort beschäftigt ist, kann am Wochenende nach Hause zur Familie fahren. Das weiß auch Roman Milkowski, Mitbesitzer einer Spedition in Zielona Gora. Die Stadt liegt keine 50 Kilometer von der Grenze entfernt.

    "Ich habe gehört, dass in Deutschland 55.000 Lkw-Fahrer fehlen. Das ist eine enorme Menge. Wir zahlen gut, unsere Fahrer verdienen etwa die Hälfte dessen, was ihre Kollegen in Ostdeutschland bekommen. Aber das sind immer noch 500 Euro Unterschied im Monat, das dürfte für viele ausreichen, um bei uns zu kündigen. Bei manchen Fahrern habe ich schon deutsch-polnische Wörterbücher auf dem Armaturenbrett liegen sehen. Ich freue mich natürlich, dass meine Angestellten sich fortbilden. Wenn sie das dann für sich nutzen, kann ich nichts dagegen tun."

    Zumal Firmen aus Deutschland schon seit Monaten Kontakt zu den Fahrern suchen. Einige Angestellte haben Roman Milkowski erzählt, dass sie an Raststätten von Agenten der Firmen angesprochen wurden. Sie sollten einen Fragebogen ausfüllen, mit Anschrift und Telefonnummer, und erklären, wie viel Berufserfahrung sie haben.

    "Die deutschen Firmen werden nicht irgendjemanden einstellen. Sie werden Fahrer von den besten polnischen Unternehmen abwerben, die in ganz Europa unterwegs sind. Außerdem werden sie ihre Qualifikation testen, bestimmt auch die Sprachkenntnisse. Es wird also nicht jeder in Deutschland genommen, aber das ist ein schwacher Trost: Denn uns bleiben die Schlechteren übrig, die diesen Test nicht bestanden haben."

    Roman Milkowski hofft nur, dass sich nicht Szenen wiederholen wie nach dem polnischen EU-Beitritt 2004. Damals öffnete Großbritannien seinen Arbeitsmarkt für Polen. Manche Lkw-Fahrer, die auf die Insel wechseln wollten, ließen ihren Lastzug einfach an einer Raststätte stehen. So konnten sie sofort bei ihrem neuen, britischen Arbeitgeber einspringen.

    Manche Experten gehen davon aus, dass bis zu einer Million Polen auf der anderen Seite der Grenze anheuern wird. Die Regierung in Warschau dagegen beschwichtigt: Es würden nicht mehr als 400.000 sein, sagt sie, und von ihnen würden viele schnell wieder zurückkommen.
    Trotzdem fordern Wirtschaftsverbände, dass die Regierung handelt. Sie kann zwar nicht kurzfristig für höhere Gehälter sorgen. Aber immerhin könnte sie die Berufsausbildung verbessern, damit sich nicht schon die Schulabgänger im Nachbarland umsehen, meint Maciej Proszynski, Generaldirektor des polnischen Handwerkerverbandes:

    "Unsere Berufsschulen haben ein zu niedriges Niveau - die Jugendlichen lernen ihren Beruf vor allem theoretisch und zu wenig in der Praxis. Kollegen aus Deutschland können das oft gar nicht glauben: Ein Lehrling bei uns drückt in der Woche drei Tage die Schulbank und fasst nur zwei Tage sein Werkzeug an. Wir haben ein paar gute Ausbildungszentren, aber es sind viel zu wenige. Wir sollten es wie die Deutschen machen und die Berufsschule mit der Arbeit im Betrieb verbinden."

    Ein anderes Gebiet, auf dem die Regierung nach Meinung von Experten etwas gegen die Abwanderung tun könnte, ist die Familienpolitik. Zu diesem Ergebnis kam die Wirtschaftswissenschaftlerin Krystyna Iglicka. Sie befragte polnische Auswanderer in Großbritannien.

    "Die polnischen Frauen in Großbritannien bekommen nach den Pakistanerinnen die meisten Kinder. Das ist erstaunlich, schließlich hat Polen eine der niedrigsten Geburtenraten in Europa. Es zeigt, dass viele emigrieren, um eine Familie gründen zu können. Diesen Wunsch sollten wir also in Polen unbedingt unterstützen, das Kindergeld erhöhen und den Mutterschaftsurlaub verlängern. Denn zu oft erfahren junge Familien bei uns, dass der Kinderwunsch zu einem Trauma wird."

    Die Auswanderung von Arbeitskräften wird auch das Thema Einwanderung auf den Plan rufen. Polen wird sich für Einwanderer öffnen müssen. Naheliegend wäre, Menschen aus den östlichen Nachbarstaaten einzuladen - aus Weißrussland, Russland und der Ukraine. Schon jetzt arbeiten zigtausende Ukrainer in Polen, allerdings meist schwarz. Sie werden weit unter ihren Qualifikationen eingesetzt. Polen verschenkt damit wertvolles Potenzial. Roman Milkowski, der Spediteur, hätte jedenfalls nichts gegen Angestellte aus Osteuropa.

    "Nur eines darf nicht passieren: dass Arbeitgeber den Ukrainer einstellen, weil er die gleiche Arbeit ein paar Hundert Zloty billiger macht. Das würde das Gleichgewicht in der Gesellschaft gefährden. Diese Angst gibt es ja jetzt auch in Deutschland, habe ich gehört."

    Diese Angst war es, die die Arbeitnehmerfreizügigkeit verzögert hat. Deutschland reizte die volle Frist für Einschränkungen der neuen Regelung aus. Aus Angst, die Arbeiter aus dem Osten würden den Westen überrollen, und populistische Politiker könnten das in eine Anti-EU-Stimmung und Wählerstimmen für sich und ihre Parteien ummünzen. Mittlerweile denkt man anders. Grund ist wieder einmal der Fachkräftemangel. PCK-Geschäftsführer Andreas Hungeling spricht von einer 'demografischen Falle':

    "Wir werden ab 2015 in riesigem Umfang Mitarbeiter in die Rente verlieren und werden sie auch ersetzen müssen. Und wir testen schon jetzt heute ansatzweise den polnischen Arbeitsmarkt, indem wir dort Inserate schalten, für Akademiker, für Ingenieure, die wir suchen in den großen Industriezentren, das machen wir heute schon."

    Die Skepsis gegenüber Fremden scheint zwar noch präsent, aber nicht mehr so ausgeprägt zu sein wie vor einigen Jahren. Anders in Großbritannien. Hier gilt die Arbeitnehmerfreizügigkeit bereits seit 2004.

    Einer Umfrage zufolge finden knapp 60 Prozent der Briten, auf ihrer Insel lebten zu viele Einwanderer. Das Meinungsforschungsinstitut German Marshall Fund hatte in acht europäischen und nordamerikanischen Ländern Befragungen durchgeführt. Das Ergebnis: Keine Nation sei so besorgt über das Thema Migration wie die Briten.

    Im Vorfeld der für Mai angesetzten Kommunalwahlen greift nun auch der konservative Premierminister David Cameron in die Debatte ein. Zweieinhalb Millionen neue Arbeitsplätze sind in den letzten 14 Jahren geschaffen worden, erklärt Cameron. Dennoch sei die Zahl der britischen Arbeitslosen nicht wesentlich gesunken: Dreiviertel der Stellen sei an ausländische Arbeitskräfte gegangen, führt der Premier aus.

    "Einwanderer leisten einen enormen Beitrag in unserer Gesellschaft. Aber wir müssen auch sehen, dass der Zustrom zu lange zu hoch gewesen ist."

    David Blunkett von der oppositionellen Labourpartei verweist auf andere Faktoren:

    "Es stimmt zwar, dass enorm viele Migranten in den Jahrzehnten mit hohem Wirtschaftswachstum auf die Insel kamen. Aber ein Groβteil der Stellen, die sie annahmen, war den Briten nicht gut genug. Für andere Positionen wiederum hatten die Briten schlichtweg nicht die richtigen Qualifikationen. Und viele, die aus der Europäischen Union kamen, sind inzwischen längst abgereist."

    Als Groβbritannien im Zuge der EU-Osterweiterung im Jahr 2004 seinen Arbeitsmarkt öffnete, rechnete die Regierung mit zehn- bis zwanzigtausend Migranten. Stattdessen kamen rund zweihunderttausend, zumeist junge Menschen aus Polen, unter ihnen ein unerwartet hoher Anteil an Frauen, erzählt Sarah Mulley vom unabhängigen britischen 'Institute for Public Policy Research' - IPPR.

    "Viele waren gut ausgebildet, dennoch begnügten sie sich mit Stellen, für die sie überqualifiziert waren, weil sie am Anfang ihrer Karriere standen und vorübergehend in Groβbritannien bleiben wollten. Damals hat die britische Wirtschaft geboomt. Auf landesweiter Ebene waren die Auswirkungen der Zuwanderung minimal. Aber auf lokaler Ebene wurde gerade in Niedriglohnbereichen wie in der Bauwirtschaft moniert, dass die Löhne gedrückt wurden."

    Auch heute wird viel über die Folgen der Migration geklagt, über akute Wohnungsnot, einen überforderten Gesundheitsdienst und über Schulklassen, in denen die Mehrheit der Kinder kaum Englisch spricht. Vereinzelt wird bereits ein grundsätzlicher Migrationsstopp gefordert – oder sogar der Austritt aus der EU. Die Organisation 'Migration Watch' schlägt strengere Kontrollen vor, um die britische Bevölkerungszahl bei 65 Millionen zu stabilisieren.

    "Wir sind bereits doppelt so überfüllt wie Deutschland und viermal so voll wie Frankreich, das kann unmöglich so weiter gehen."

    ... warnt Sir Andrew Green von 'Migration Watch'. Aber Sarah Mulley vom Institut IPPR mahnt zur Mäßigung.

    "Natürlich kamen mit der ersten Migrationswelle im Jahr 2004 plötzlich sehr viele Menschen aus Osteuropa nach Groβbritannien. Für Orte, in denen bis dahin keine Migranten wohnten, war das ein Riesenschock. Diese Kommunen waren extrem schlecht vorbereitet. Deswegen entstand in der Bevölkerung das Gefühl, die Regierung habe die Kontrolle verloren."

    Im Zuge der Rezession kommen deutlich weniger EU-Migranten nach Groβbritannien. Für rumänische und bulgarische Arbeitskräfte gelten Übergangsregelungen. Und für Migranten aus Nicht-EU-Ländern ist der britische Arbeitsmarkt so gut wie geschlossen.

    Bei der Zuwanderungswelle von 2004 habe die britische Regierung taktische Fehler begangen, erklärt Sarah Mulley. Daraus könnten die EU-Nachbarn lernen.

    "Es ist wichtig, dass die Regierungen ihre Migrationspolitik genau erklären, dass sie angemessen mit den Erwartungen der Öffentlichkeit umgehen. Und dass sie vor allen Dingen sofort eingreifen, wenn auf lokaler Ebene Probleme auftauchen."

    Dafür sieht sich zumindest der Bürgermeister von Schwedt gut gewappnet. Jürgen Pohlzehl blickt hoffnungsvoll über die Oder:

    "Grenzen sind immer Nahtstellen. Und wenn man an der Grenze wohnt, ist man bestrebt, dort den Vollkreis zu haben, vom Halbkreis sich zum Vollkreis zu entwickeln. Und ich denke, dass es dieser Region sehr gut tun wird, damit man nicht immer am Rande, sondern auch mittendrin - für Schwedt gesprochen so auf der Entwicklungsachse Berlin–Szczecin - genau sich mittig positioniert, und damit hat man ganz anderen räumlichen Standortmarketingansatz, und den wollen wir gerne ausspielen."

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