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Ohne große Namen geht nichts mehr

"Lamenti" sind italienischen Klagegesängen aus dem 17. Jahrhundert. Bei der Plattenfirma Virgin Classics ist nun eine Einspielung mit Emmanuelle Haïm und Le Concert d'Astrée sowie elf renommierten Opern-Sängerinnen und Sängern aller Stimmfächer erschienen.

Von Christiane Lehnigk | 21.09.2008
    Rechtzeitig vor den Trauertagen im November und auch dem Weihnachtsgeschäft erschien jetzt diese Aufnahme eines Misch-Programms, das sozusagen das "Best of" an Klageliedern aus Oper und Kantate darstellt. Eine bunte Mischung mit bekannten Interpreten, allesamt mehr oder weniger junge Stars aus der barocken Opernszene, die hier auch als Verkaufsgaranten herhalten sollen.

    Bei bestimmten Plattenlabels scheint nichts mehr ohne große Namen zu gehen. Und so hinterlässt das gut einstündige Programm einen zwiespältigen Eindruck, stehen doch innig gesungene Arien im Duktus historisch orientierter Aufführungspraxis neben zum Beispiel geschmetterten Melodien des Publikumslieblings Rolando Villazón in bester neapolitanischer Opern-Tradition. Und manches ist einfach auch grenzwertig, ein Terz-Vibrato in der Alten Musik will man heute eigentlich nicht mehr ertragen.

  • Musikbeispiel: Pietro Francesco Cavalli, aus: L'Egisto - D'Hipparco e do Climente ospiti miei, Lasso io vivo

    "Lamento" ist eine Klageszene in der Oper des 17. und 18.Jahrhunderts, die als Genre auch Eingang in die Italienische Kantate und das Oratorium fand. Dabei galt die Klage in der damaligen Zeit als einer der bedeutendsten Affekte und wurde musikalisch durch bestimmte typische, satztechnische
    Mittel wie zum Beispiel Chromatik oder Dissonanzbehandlung ausgedrückt. Die Urform des italienischen Klagegesanges ist der Lamento d'Arianna, das einzige erhaltene Stück aus Claudio Monteverdis Oper L'Arianna von 1608, das weithin berühmt wurde. Ariadne war mit Theseus geflohen, der sie wenig später auf der Insel Naxos zurückließ. "Lasciatemi morire", so jammert sie am Ufer, während sein Schiff im Sonnenaufgang entschwindet.

    "Lasst mich sterben, lasst mich sterben! Wie kann ich Trost finden, wenn mein Schicksal so hart,
    Mein Kummer so unerträglich ist ? Lasst mich sterben!"

    Doch in der Mythologie soll es dann auch hier ein vermeintlich glückliches Ende geben, denn Gott Bacchus wird von Ariadnes Klage so gerührt, dass er vom Himmel herabsteigt und sie in einer grandiosen Apotheose zur Frau nimmt. Bedenkt man, dass Monteverdi diese Oper zu Hochzeit des Grafen Francesco Gonzaga mit Margherita von Savoyen schrieb, so ist die Botschaft an die Braut ganz eindeutig formuliert: Sicherheit contra Abenteuer und Leidenschaft.

    Es singt Veronique Gens.

  • Musikbeispiel: Claudio Monteverdi, aus: L'Arianna - Lamento d'Arianna (Ausschnitt)

    Der Lamento d'Arianna wurde zum Topos eines Genres, dem sich nach Monteverdi eine Vielzahl von Komponisten bediente, auch wenn es nicht immer explizit als Klagegesang betitelt wurde. Aber zum durchgängigen Stilmittel wurde der ostinate chromatische Quartgang im Bass, der sogenannte "Lamento-Bass". Natürlich ist bei dieser Neueinspielung von Emmanuelle Haïm auch der Superstar unter der Countertenören, Philippe Jaroussky mit von der Partie, der eine anrührende Arie aus L'Eraclito amoroso von Barbara Strozzi im Repertoire hat.

    "Hört, ihr Liebenden, den Grund, o Gott, der mich weinen lässt: Das Vertrauen, das ich zu meinem Angebeteten hegte, den ich so treu glaubte, das Vertrauen ist tot. Weinen ist mein einziges Vergnügen, ich nähre mich nur von Tränen, der Schmerz ist meine Wonne, und meine Freuden sind meine Seufzer."

  • Musikbeispiel: Barbara Strozzi, aus: Cantate, ariette e duetti, op.2 - L'Eraclito amoroso (Ausschnitt)

    Emmanuelle Haïm gestaltet mit ihrem Ensemble Le Concert d'Astrée die Begleitung der Lamenti sehr einfühlsam und abwechselungsreich und das Continuo ist sehr farbig zusammengestellt. Doch man muss bedenken, dass es sich bei den Opern-Lamenti im 17.Jahrhundert immer um die Höhepunkte eines dramatischen Werkes handelt, die langsam aufgebaut wurden, und erst so im Kontext richtig wirken können. So wäre diese Einspielung vielleicht in Anlehnung an Bar- oder Kuschel-Classics so etwas wie "Heul-Klassiker". Neben Rolando Villazón, Philippe Jaroussky und Veronique Gens sind auf dieser CD außerdem noch vertreten: Natalie Dessay, Simon Wall, Christopher Purves, Joyce di Donato, Marie-Nicole Lemieux, Patricia Ciofi,Laurent Naouri und Topi Lehtipuu . Dessay und Ciofi können ihrem Ruf hier kaum noch gerecht werden, aber zu den Höhepunkten gehört die Arie des Aeneas aus Francesco Cavallis Oper "La Didone" mit dem finnischen Tenor Topi Lehtipuu. Hier harmonieren Ausdruck, Musikalität, Stil und Gestaltung perfekt miteinander.

    In vielen Opern oder Kantaten, sind die Lamenti den Frauen zugedacht und das Muster gleicht sich immer wieder: die Heldinnen beklagen ihr Schicksal, wüten gegen das scheinbar Unvermeintliche und akzeptieren schließlich das Ergebnis. Das kann zum einen ein neues Leben sein, aber wie zum Beispiel für Dido in Vergils Aeneas auch den Tod bringen. Aenes Reue kommt hier ein wenig zu spät.-

  • Musikbeispiel: Francesco Cavalli, aus: La Didone - Acate, Ilioneo, compagni, amici Dormi, cara Didone


    Die Neue Platte im Deutschlandfunk, heute mit "Lamenti", italienischen Klagegesängen des 17.Jahrhunderts aus Oper und Kantate, eine bei Virgin Classics erschienene Aufnahme mit Le Concert d'Astrée unter der Leitung von Emmanuelle Haïm und 11 Sängerinnen und Sängern.


    Titel: LAMENTI
    Ausführende: Rollando Villazón, Tenor
    Philippe Jaroussky, Countertenor
    Véronique Gens, Sopran
    Topi Lehtipuu, Tenor
    Natalie Dessay, Sopran
    Christopher Purves, Bariton
    Joyce DiDonato, Mezzo-Sopran
    Patrizia Ciofi, Sopran
    Laurent Naouri, Bass-Bariton
    Marie-Nicole Lemieux, Alt
    Le Concert d'Astrée
    Leitung: Emmanuelle Haim

    Label: Virgin Classics LC 0787350999 519044 2 5