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Ohne Machtwille auf Stimmenfang

Menschen, die nicht wählen gehen, sind nicht gleich unpolitisch, sagt die Partei der Nichtwähler. Sie hat kein inhaltliches Programm für die Bundestagswahl, sie will nur möglichst viele Stimmen bei anderen Parteien abgreifen und damit ihre Kritik am politischen System demonstrieren.

Von Susanne Grüter | 04.07.2013
    - "Sie sagen, Sie sind Nichtwähler?"
    - "Ja, ich bin Nichtwähler."
    - "Haben Sie von der Partei der Nichtwähler schon mal etwas gehört?"
    - "Nä."
    - "Das ist jetzt die Initiative, die versucht, Ihnen auch eine Stimme zu geben, das heißt alle Stimmen, die sie ungültig abgeben oder nicht abgeben, gehen ja auf die anderen Parteien über."
    - "Ja, dat weiß ich, ne."

    Vor dem Infostand in der Kölner City wedelt Wahlkampfleiter Detlev Neufert mit dem Flyer. Der Autor und Regisseur ist kein Parteimitglied, fühlt sich aber der Nichtwähler-Partei eng verbunden. Der ältere Herr neben ihm ärgert sich über die Regierung.

    - "Was unsere Hüter, wat die uns verarschen, ne. Also et is furchtbar. Die Leute vergessen ja auch alles schnell, ne."
    - "Jetzt können Sie was machen, jetzt können Sie an den Stand kommen, wir brauchen 2.000 Unterschriften, um überhaupt zur Wahl zugelassen zu werden, dass Sie diesen Namen auf der Liste im Wahlkampf sehen. Sie müssen die Partei nicht wählen, Sie werden nicht Mitglied, Sie bekommen von uns keinen Lutscher, keinen Luftballon."
    - "Nä, dat is aber schad."
    - "Ja ok." (lacht)

    Zuversicht in Neuferts Team. Alle erwarten, dass der Bundeswahlausschuss die Partei der Nichtwähler zulässt. Beim Bundeswahlleiter hat sie - wie vom Parteiengesetz vorgeschrieben - rechtzeitig ihr Programm, ihre Satzung und Mitgliederliste eingereicht. Um später tatsächlich Landeslisten aufstellen zu können, muss sie aber bis Mitte Juli noch die 2.000 Unterstützerunterschriften pro Bundesland sammeln. Die Partei hat bundesweit über 300 Mitglieder und vier Landesverbände. Zwei weitere werden gerade gegründet.

    "Es fehlte eben das Positive, und das habe ich mit dieser Parteigründung bringen wollen."

    Der Mann, der alles ins Leben gerufen hat: der Vorsitzende Werner Peters. Der über 70-jährige Kölner Hotelier und Autor war früher CDU-Mitglied. Nach der Flick-Spendenaffäre warf er das Handtuch, weil sich in der CDU unter Kohl nichts änderte. Diese Erfahrungen wehen nach.

    "Koalitionsvertrag, Fraktionszwang, Berufspolitikertum, die führen eben zu einer Oligarchisierung des Systems. Die politologische Wissenschaft spricht von Postdemokratie, und ich sehe das also ganz genauso. Wir haben in dem Sinne kein inhaltliches Programm, sondern wir konzentrieren uns voll und ganz auf die Strukturen der Politik, das ist, womit wir auch werben. Wir sind auch eine Partei, die sich wieder auflösen würde, wenn das Ziel erreicht ist, wir wollen also überhaupt nicht an die Macht."

    Es gibt kein Parteibuch, keinen Mitgliedsbeitrag. Abgeordnete sollen nach zwei Legislaturperioden aufhören. Politik ohne Parteienklüngel. 2009 wurde die Partei nicht zugelassen, weil sie seit ihrer Gründung 1998 nicht kontinuierlich aktiv war. Peters hat seine Partei vor zwei Jahren neu gegründet und spürt im Moment Rückenwind.

    "Der Slogan hier am Stand: Der schlafende Riese erwacht."

    - "Bei wie vielen Nichtwählern stehen wir momentan prozentual in Deutschland?"
    - "Aaah, das ist eine ganze Menge, also im Moment aktuell könnten wir den Kanzler stellen."

    Rund 30 Prozent der Wahlberechtigten waren der letzten Bundestagswahl ferngeblieben.

    Lange Zeit wurden Nichtwähler ignoriert. Vor Kurzem haben gleich mehrere Studien das Phänomen untersucht - beteiligt auch Armin Schäfer vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung. Ein Ergebnis: Nichtwähler gehören vor allem einer bestimmten sozialen Schicht an.

    ""Das sind Leute, die schlechte Arbeitsmarktchancen haben, eine geringere Ausbildung, und ja so ein bisschen abgehängt sind. Bei der letzten Bundestagswahl gab es 18 Millionen Nichtwähler, die verteilen sich natürlich logischerweise über alle Bevölkerungsschichten, aber der Anteil ist in manchen Gruppen eben sehr viel größer als in anderen. Professoren und Chefredakteure sind nicht typische Nichtwähler."

    Je weiter die Gesellschaft auseinanderklafft, desto niedriger die Wahlbeteiligung, so sein Fazit. Außerdem sei die gefühlte Verpflichtung, wählen zu gehen, nicht mehr so ausgeprägt wie früher, gerade bei Jüngeren. Politik wird immer komplizierter. Viele glauben, ihre Stimme bewege ohnehin nichts. Gleichzeitig gibt es immer mehr Nichtwähler, die politisch interessiert sind, aber nicht länger das kleinere Übel wählen wollen - wie die junge Marlene Ritz, die die Partei der Nichtwähler unterstützt.

    "Habe mich in den letzten Jahren aber doch eher dazu entschlossen, den Wahlzettel ungültig zu machen, damit zumindest bekannt wird, dass ich mit dem System so nicht einverstanden bin. Nichtwähler heißt ja nicht gleich unpolitisch, das spricht diese Partei ja auch an."

    Was Werner Peters am Infostand immer wieder anspricht: den Fraktionszwang aufzuheben.

    "Hätte die Frau Merkel zurücktreten müssen, wenn sie das Betreuungsgeld nicht durchgesetzt hätte, wäre Deutschland ins Chaos gestürzt, wäre die Regierung auseinandergebrochen? Lachhaft ja, wir brauchen so was nicht."

    "Ja aber die Frage ist doch die, ob das so relevant ist und dass das so häufig vorkommen würde, dass man den Fraktionszwang aufheben würde, und dann sagt, dann ist das alles leichter."

    Gibt ein interessierter Rentner zu bedenken. Die Partei will eine Plattform für alle Nichtwähler sein. Armin Schäfer vom Max-Planck-Institut sieht das allerdings skeptisch.

    "Ich hätte Zweifel daran, ob das dort, wo wirklich die Nichtwähler-Hochburgen sind, überhaupt wahrgenommen wird, dass es diese Partei gibt und ob auch die Unzufriedenheit, die in der Partei der Nichtwähler artikuliert wird, überhaupt die Unzufriedenheit ist derjenigen, die also zur Kerngruppe der Nichtwähler gehören. Forderungen wie, wir brauchen mehr direkte Demokratie und Fraktionszwang abschwächen - also ich kann mir nicht vorstellen, dass in armen Stadtteilen, wo wir zum Teil bei Bundestagswahlen 50 Prozent Nichtwähler haben, dass das das Problem ist, was die Leute vor allem umtreibt, dass sie sagen, wir brauchen mehr direkte Demokratie - also wir sehen seit Jahren eine Ausweitung der direkten Demokratie und trotzdem fällt die Wahlbeteiligung."

    Erst einmal muss das Team der Nichtwähler nun die Entscheidung des Bundeswahlausschusses abwarten und sich in den nächsten Wochen um weitere Unterstützung kümmern. Wahlkampfchef Detlev Neufert bleibt am Ball.

    "Würden Sie das machen mit Ihrer Unterschrift?"
    "Ja, is ja jut."
    "Super, danke."
    "Jetzt haben Sie mich überzeugt."
    "Kommen Sie."