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Ohne Papiere, ohne Hilfe, ohne Zukunft

Die Bilder von verzweifelten Flüchtlingen in Ceuta und Melilla sind zwar wieder von den Bildschirmen verschwunden. Die spanische Öffentlichkeit steht jedoch nach wie vor unter dem Eindruck des massenhaften Flüchtlingsansturms. Jetzt geraten diejenigen Illegalen in Spanien ins öffentliche Interesse, die weder eingebürgert noch ausgewiesen wurden. Sie führen in Madrid ein Leben ohne jede Perspektive. Hans Günter Kellner berichtet.

26.10.2005
    Spanisch-Unterricht bei der katholischen Vereinigung Karibu in Madrid. Rund 20 Schwarzafrikaner aus der Elfenbeinküste, Mali und Nigeria sitzen im Klassenzimmer und erzählen auf Spanisch, wo sie herkommen, wie lange sie in Spanien leben, und auch, was sie sich von Europa erhoffen.

    "Ich möchte meine Papiere, und dann - ein besseres Leben, irgendeine Arbeit" - wünscht sich Edu, der vor drei Monaten aus Burundi über die Kanarischen Inseln aufs spanische Festland kam. Nach dem Unterricht erzählt er, mit welchen Erwartungen er sich vor zwei Jahren auf den Weg nach Europa machte:

    " Es ist doch bekannt, wie es in Afrika aussieht. Unsere Regierungen sind korrupt. Sie wollen alles für sich behalten. Wir dachten, wir würden hier einen Job finden, und unseren Familien helfen können. Aber zuerst braucht man eine Aufenthaltsgenehmigung. Aber hier in Spanien braucht man für diese Papiere auch eine Arbeit. Du brauchst also Papiere, um zu arbeiten, aber ohne Arbeit kriegst Du keine Papiere. Das kann doch nicht wahr sein. (lachen) "

    Weil sie keine Papier haben, bekommen sie keine Arbeit, aber ohne Arbeit gibt es keine Papiere. So sind die Afrikaner vollkommen mittellos, obwohl sie doch arbeiten möchten. Dass sie trotzdem Kleidung, Nahrung und selbst Spanischunterricht bekommen, verdanken sie Karibu. Seit 1991 leitet der Mönch der Barmherzigen Brüder, Antonio Freijo, diese Organisation. Er sorgt in Extremfällen auch für Wohnungen, wie zum Beispiel für vier schwangere Frauen, die die spanische Regierung vor zwei Wochen aus Melilla nach Madrid ausgeflogen hatte. Die Massenflucht ist für den Mönch ein Reflex der politischen und wirtschaftlichen Situation in Afrika:

    " Ende der 80er Jahre kamen die meisten Leute vor allem aus Äthiopien und Somalia, Mitte der 90er Jahre aus Zentralafrika, dem Kongo, Ruanda und Burundi. Zur Jahrhundertwende kam der Großteil aus Nigeria, Sierra Leona und Liberia, wo heftige Kriege tobten. Und jetzt kommen die meisten aus Mali, das von der Heuschreckenplage heimgesucht wurde, oder aus Kamerun, das seit der Entdeckung von Erdölvorkommen in Korruption und Armut versinkt. "

    Eine jüngste Legalisierungskampagne der Regierung für bis zu 700.000 Einwanderer ohne Papiere hat den Schwarzafrikanern nichts gebracht. Denn die Auflagen für den Erhalt der begehrten Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung konnte kaum einer erfüllen. Der Grund: Sie kommen ohne Pässe nach Europa, ohne die sie ihren Aufenthalt aber nicht regeln können. Die Botschaften der Herkunftsländer verlangten bis zu 400 Euro für einen Reisepass, erzählt Antonio Freijo. Die Perspektiven sind schlecht:

    " Auch wenn es nicht legal ist, manchmal bekommen sie Gelegenheitsjobs. In der Erntezeit werden sehr viele Helfer gebraucht. Auf Baustellen gibt es manchmal was zu tun. Da sie für Europäer auch oft sehr ähnlich aussehen, arbeiten sie manchmal mit den Papieren eines Freundes, der eine Arbeitsgenehmigung hat. Aber für die meisten geht es nur darum, den nächsten Tag zu überleben. "

    Die Flüchtlinge essen in den Hilfsorganisationen und schlafen beim Roten Kreuz. Nach drei Monaten müssen sie auch diese Herbergen verlassen. Dann bleiben nur noch die Parks. Unter der Madrider Kathedrale schlafen Schwarzafrikaner in Höhlen, andere verbringen die Nächte auf Bänken, trotz des einsetzenden Herbstregens. Obwohl sie mitten in der Stadt leben, nimmt kaum jemand Notiz von ihnen. Der 22-jährige Sedu Djai aus der Elfenbeinküste erzählt:

    " Wir holen uns Kleidung in Karibu, dann essen wir in der Organisation Mama Afrika. Manchmal können wir uns in dem öffentlichen Bad dort drüben duschen. Dann setzen wir uns wieder hier hin. So geht das jeden Tag. Seit zwei Jahren mache ich das schon so. Ich sehe keinen Ausweg. "