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Ohne Wehrpflicht mehr Soldaten im Einsatz

Die Bundeswehr steht offenbar vor der größten Reform ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte. Das ergibt sich aus bislang geheimen Papieren aus dem Bundesverteidigungsministerium, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sind: Unter anderem soll die Zahl der Soldaten von 250.000 auf knapp 164.000 sinken.

Rolf Clement im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 13.08.2010
    Tobias Armbrüster: Die Bundeswehr steht offenbar vor der größten Reform ihrer mehr als 50-jährigen Geschichte. Die Wehrpflicht könnte nämlich abgeschafft werden, außerdem soll es in Zukunft wesentlich weniger Soldaten geben als bisher. Das ergibt sich aus bislang geheimen Papieren aus dem Bundesverteidigungsministerium, die jetzt an die Öffentlichkeit gelangt sind. Mehr dazu kann uns jetzt unser Korrespondent für Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Rolf Clement, sagen. Herr Clement, was genau könnte sich ändern bei der Bundeswehr?

    Rolf Clement: Was genau wissen wir noch nicht, weil das noch alles im Planungsstadium ist, aber es läuft darauf hinaus, dass wir eine Bundeswehr bekommen, die gegenüber jetzt, 250.000, künftig dann nur noch 156.000 Berufs- und Zeitsoldaten haben wird. Dazu kommen 7.500 freiwillig Dienstleistende, wenn dieses Konzept durchgeht, und das würde bedeuten, dass wir keine Wehrpflicht im bisherigen Sinne mehr haben, sondern "nur noch" die Möglichkeit haben, dass freiwillig Wehrdienst geleistet werden kann, der dann von sechs Monaten bis 23 Monaten. Man schließt ja dann mehr oder weniger einen Vertrag. Und das soll dann irgendwann auch einmal für Frauen geöffnet werden.

    Armbrüster: Wie sieht es denn aus mit den Bundeswehrbehörden? Sollen die so bestehen bleiben, wie sie bisher sind?

    Clement: Nein, da wird sich sehr viel ändern. Zum Beispiel gibt es zurzeit ja für die einzelnen Teilstreitkräfte, Heer, Marine, Luftwaffe und die Organisationsbereiche Streitkräftebasis und Sanitätswesen, Inspekteure; die sollen zusammengelegt werden mit Ämtern, die auch jede diese Organisationsformen haben. Da soll eine der beiden Behörden, also entweder der Inspekteur oder das Heer, das jeweilige Amt, eingespart werden, soll eine Kommandoebene herausgenommen werden. Ein ganz praktisches Beispiel: Es gibt in Ulm ein Kommando "operative Führung". Dieses Kommando soll zusammengelegt werden wahrscheinlich mit dem Einsatzführungskommando in Potsdam. Man wird also richtig eingreifen auch in die Stäbe und wird da versuchen, sehr viele Stellen einzusparen, um damit auch eben Soldaten freizubekommen, entweder fürs Einsparen oder für die Einsätze.

    Armbrüster: Lassen Sie uns über Zahlen reden. Wie könnte die Bundeswehr aussehen? Wie viel Mann oder Frauen auch könnte sie umfassen, wenn diese Pläne tatsächlich Wirklichkeit würden?

    Clement: Das wären ungefähr 156.000 Berufs- und Zeitsoldaten. Es gibt auch noch andere Rechnungen, aber ich nehme jetzt mal die wahrscheinlichste heraus. Davon wären dann, wenn man das zum Maßstab nimmt, 133.500 für Einsätze verfügbar. Alle anderen sind in der Ausbildung, sind in dem Berufsförderungsdienst, oder aber sind in Funktionen, wo sie für Einsätze nicht verfügbar wären. Die Bundeswehr würde dann mehr Soldaten im Einsatz haben als jetzt mit der relativ größeren Zahl von 250.000 Soldaten.

    Armbrüster: Gibt es denn zu diesen bislang geheim gehaltenen Plänen schon erste Reaktionen aus der Bundeswehr?

    Clement: Ja. Man hört in der Bundeswehr schon, dass der eine oder andere Befürchtungen hat, dass das nicht funktionieren wird, dass man sich nur noch auf Freiwillige abstützt - 7.500 ist eine ganz beträchtliche Zahl -, die sich freiwillig melden müssen. Auch die Berufs- und Zeitsoldaten, die man braucht, müssen sich ja freiwillig melden. Niemand wird mehr über die Wehrpflicht gezogen, dann sozusagen zwangsweise. Das ist in vielen unserer Nachbarländer auch schon mit großen Problemen nicht gelungen. Die haben alle Rekrutierungsprobleme, sowohl in der Anzahl wie auch in der Qualität der Soldaten, die sie bekommen. Also da haben einige doch große Bedenken, ob das so funktioniert. Aber es gibt hier eben drei Bereiche, die dort eine Rolle spielen: einmal die Tatsache, dass die Bundeswehr in ihrer Analyse der Einsätze festgestellt hat, dass sie doch große Defizite im personellen Bereich hat, zweitens, dass sie Defizite hat im Ausrüstungsbereich, und zum Dritten unterliegt auch die Bundeswehr dem Spardiktat und deswegen muss man in diesem Bereich so eingreifen.

    Armbrüster: Wie geht es denn jetzt mit diesen Plänen weiter?

    Clement: Die werden jetzt besprochen werden. In der nächsten Woche beginnen die Beratungen. Wie lange die dauern, weiß man nicht so ganz genau. Ich nehme an, dass Ende August die Kanzlerin mit Verteidigungsminister zu Guttenberg sprechen wird, und dann wird entschieden, wann man damit ins Parlament geht, denn das Problem ist: die Wehrpflichtfrage ja oder nein wird noch von Parteitagen der Union, CDU wie CSU, beraten. Und ob man davor, bevor dieses nicht durch die Parteitage ist, schon ins Parlament gehen wird, halte ich für sehr fragwürdig.

    Armbrüster: Die Reform der Bundeswehr nimmt also erste, noch ganz verschwommene Konturen an. Erste Einzelheiten waren das von unserem sicherheits- und verteidigungspolitischen Korrespondenten Rolf Clement. Schönen Dank für diese Einzelheiten.