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Ohne Werkstattcharakter

Festspiele leben nicht vom wirklich Neuen, sondern sie haben - zumal für die Anhänger der Richard-Wagnerschen Kunstreligion - liturgischen Charakter: Man kommt immer wieder, um das Gleiche zu sehen. Aber irgendwann ist es dann auch gut: Selbst eine so liebgewonnene Inszenierung wie der "Tannhäuser" von Philippe Arlaud wird nach fünf Jahren eingemottet: "Tannhäuser" und "Rheingold" als Auslaufmodelle.

Von Christoph Schmitz | 28.07.2007
    Das Publikum pflückte vorgestern rote Nelken vom hellgrünen Kunstrasen, über den kurz zuvor noch Tannhäuser und Elisabeth geschritten waren. Erinnerungen an eine endgültig abgebaute Kulisse und an eine Inszenierung, in der der Minnesänger Tannhäuser nach seiner Flucht vor der allesverschlingenden Venus umwölbt wurde von frischestem Wiesengrün, übersät von einem Meer leuchtender Blumen. Und im Hintergrund das himmlische Blau von frischer Luft und Freiheit.

    Nach der fünften Runde im Bayreuther Festspielreigen wird das in diesen "Tannhäuser" von Philippe Arlaud verliebte Publikum auch auf die Kostümpracht verzichten müssen, wenn die Minnesänger und edlen Damen und Herren im goldnen Saal der Wartburg einziehen, so geziert wie Mannequins in üppiger Seide auf den Laufstegen in Paris und Mailand. Die meiste Arbeit hatten die Schneider in dieser Inszenierung. Die Sänger mussten sich auf die Opernbühnengestik und -mimik des 19. Jahrhunderts verlassen und meinten vor allem immer laut singen zu müssen. Frank van Akten interpretierte seinen Tannhäuser nur mit Kraft, über weite Strecken frei jeglicher subtilerer Gesangskultur.

    Auch Judith Nemeths Venus verließ sich auf muskulösen Gesang, und Ricarda Merbeth als Elisabeth trug einen pastosen Sopran vor, der auch einer Walküre gestanden hätte. Philippe Arlaud nahm die Begeisterung des Publikums dankend entgegen. Am Morgen hatte er seinen "Tannhäuser" gegenüber der Lokalpresse allerdings noch als "eigentlich Scheiße" befunden. Aber den Leuten gefällt es ja so, könnte man hinzufügen.

    Diese gefällige Ausstattungsoper sollte musikalisch eigentlich von Fabio Luisi aufgewertet werden. Der hatte wegen angeblicher Rückenprobleme vor vier Wochen kurzfristig abgesagt. Seine Dirigenten-Chance erhielt nun der junge Christoph Ulrich Meier, Assistent von Barenboim und Thielemann. Und er nutzte sie zwar nicht spektakulär, aber gut. Mit den eigenwilligen akustischen Bedingungen des mythischen Abgrunds des verdeckten Orchestergrabens kam Christoph Ulrich Meier bestens zurecht, entfaltete Zartheiten und Energien der Partitur recht deutlich, ohne zuviel zu riskieren. Und hatte damit seinem Kollegen und Bayreuthdebütanten Sebastian Weigle, der zur Eröffnung die Meistersinger-Premiere am Mittwoch dirigierte, vieles voraus. Weigles Musik war aus dem Abgrund kaum aufgetaucht.

    Anders die von Christian Thielemann, der gestern die erste Wiederaufnahme von Tankred Dorsts Ring-Inszenierung dirigierte. Sein "Rheingold" war reiner Wohlklang. "Verweile doch, du bist so schön" war sein musikalisches Bekenntnis.

    In einem sehr langsamen Tempo kostete Thielemann die Klangfarben bis in jede Nuance aus, was nicht selten zum Gefühl dramatischen Stillstandes führte und sich auf den Fortgang der ganzen Geschichte auswirkte, der Geschichte von Alberichs Raub des Rheingoldes, vom Götter- und Riesenstreit um die Bezahlung der Götterburg Wallhall und von Wotans Diebstahl des Nibelungenschatzes. Lähmend ging das über die Bühne, auch wenn Gerhard Siegel als Mime und Andrew Shore als Alberich, vor allem auch Arnold Bezuyen als Loge versuchten in Stimme und Bewegung Witz und Komik zu bringen. Aber viel verbessert hat Tankred Dorst nicht an seiner bei der Premiere im vergangenen Jahr allgemein scharf kritisierten Arbeit. Wotan und Fricka und Freia und all die anderen laufen nicht mehr hilflos herum. Dafür stehen und sitzen sie jetzt mehr und warten auf ihren Auftritt. Neue Regieeinfälle sind wenige hinzugekommen.

    An seinem Konzept hat Dorst erwartungsgemäß festgehalten: Die uns Heutigen fremden Götter treten an den Rändern unserer Zivilisation auf, unbemerkt von Menschen erleiden sie ihre Dramen, die Mythen haben sich in unserem Bewusstsein verkrochen. Darum laufen im "Rheingold" hin und wieder Männer und Kinder der Jetztzeit an den Zwergen und Göttern vorbei, ohne diese zu bemerken.

    So haben also weder "Rheingold" noch "Tannhäuser" vom Regieprojekt Werkstatt Bayreuth profitiert, bei dem ja die Inszenierungen Jahr für Jahr eigentlich überarbeitet und verbessert werden sollen. Für die folgenden drei Teile der Ring-Tetralogie ist also nichts Gutes zu erwarten. Aber mit dem Einsammeln der blauen Rheinkiesel aus den Rheingoldkulissen als Souvenir wird sich das Publikum noch eine Weile gedulden müssen.