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Ohne Worte

Das Schauspiel "Die Räuber" hat unzählige Inszenierungen erlebt. Deren gemeinsame Klammer war bisher immer die schillersche Sprache. Doch am Jungen Schauspiel in Hannover geht es auch ohne Worte.

Von Alexander Kohlmann | 18.10.2013
    Ein grauer Kubus steht auf der Mitte der Bühne. Im flackernden Filmlicht werden Namen eingeblendet. Karl Moor, Franz Moor, Spiegelberg. Ein Schauspieler nach dem anderen tänzelt auf die Bühne und stellt sich kurz vor. Ohne Worte, nur mit dem Körper. Denn in der Hannoveraner Aufführung von "Schillers Räubern" wird kein Wort gesprochen.

    "Die Idee ist eigentlich aus so einer grundsätzlichen Sprachüberlagerung entstanden. Ich habe oft das Gefühl, dass die Sprache uns eher im Weg steht, als dass sie die Grundemotionen freimachen würde"

    , erklärt die junge Regisseurin Ruth Messing. Schillers Sprache hält sie für verzichtbar. Und zwingt so ihre Schauspieler, Ausdrucksmöglichkeiten wieder zu entdecken, die seit dem Ende der Stummfilmära verloren gegangen sind.

    "Und dann habe ich gedacht. Das ist vielleicht sehr tollkühn gedacht, aber ich dachte, man nimmt mal eines der sprachlastigsten und geschwätzigsten Werke der deutschen Literatur und versucht es auf die Grundsituation runterzubrechen und somit bin ich auf "Die Räuber” gekommen."

    Eine große Herausforderung für ihre Schauspieler ist dieses Schauspiel ohne Worte. Nicht mal die Lippen dürfen sie bewegen. In barock anmutenden Kostümen müssen sie die Emotionen ihrer Figuren in körperliche Ausdrucksformen übersetzen. Die Gesichter sind weiß geschminkt. Wenn man sie hinter der Bühne trifft, hat man tatsächlich das Gefühl, an einem Stummfilm Set gelandet zu sein.

    Oscar Olivo ist einer von Ihnen. Der gebürtige Amerikaner spielt den zu kurz gekommenen Bruder Franz Moor. Filme von Charly Chaplin und Buster Keaton habe er sich zur Vorbereitung angeguckt, erzählt Olivo. Er betont aber auch, dass der Abend nicht einfach eine Imitation der Ausdrucksmöglichkeiten einer untergegangenen Kino-Kultur sei.

    "Natürlich in den Filmen hat man einen ganz praktischen Grund, warum die Sprache weg ist, man hat den Ton nicht. Und deswegen in den Stummfilmen machen sie trotzdem Lippenbewegungen. Aber im Theater, es gibt keinen Grund, warum man nicht spricht und deswegen ist es schon eine schwere Entscheidung. Deswegen, beim Zugucken ist es hoffentlich nicht so, dass Sie sich fragen, warum sagen sie nichts. Es muss selbstverständlich sein, dass es wie eine neue Sprache ist, eine neue Sprache des Nicht-Sprechens."

    Zu einem Stummfilm gehörte schon immer auch die Musik. Die liefert Atmosphäre. Und unterstützt die Schauspieler in ihrem Spiel mit den Emotionen. Geräuschemacher Martin Engelbach sitzt links neben der Bühne hinter einem Flügel. Um ihn herum stapeln sich Utensilien, die er braucht, um die verschiedenen Stimmungen live zu erzeugen.
    "Es ist so, ich bin als Geräuschemacher angekündigt, aber ich bin doch durchaus als Musiker hier tätig. Ich mache Geräusche für die Schauspieler, die ja stumm sind und auch mache ich teilweise Seufzen, Schritte im Laub, was wirkliche Geräuschemacher machen. Ich mache auch wirkliche Musik. Ich gebe jeder Figur ein Thema, ein Motiv, ein musikalisches Thema und das wird dann auch im Laufe des Stückes immer wieder erklingen und verarbeitet und durchgeführt werden."

    Erstaunlich gut funktioniert auf der Probe das Zusammenspiel von Musik, Licht und Schatten. Und natürlich das Spiel zwischen den Darstellern, die Schillers Figuren mit ihren Gesten so lebendig zum Leben erwecken, dass man schnell die schillersche Sprache überhaupt nicht mehr vermisst. Die Regie von Ruth Messing bricht den Vater-Sohn Konflikt und die Freiheitsliebe von Karl Moor auf ihren elementaren Kern herunter. Das muss sie auch, denn sobald die Probleme komplexer werden, stößt das reine Körperspiel durchaus an seine Grenzen, wie auch Schauspieler Olivo bemerkt hat.

    "Eigentlich, man merkt, es gibt eine Grenze. Man kann Wut nur bis zu einem bestimmten Punkt spielen und dann wird es hysterisch. Oder alles. Das heißt, es geht ziemlich schnell. Und beim Schiller kann man sich über die Emotion Wut immer weiter reinsteigern und immer neue Bilder finden."

    Doch auch klassische Schauspiel-Inszenierungen mit ganz vielen gesprochen Worten können nicht alle Aspekte des Schiller-Textes abbilden. So ist Ruth Messings Inszenierung auf jeden Fall eine Annäherung und eine Einladung, Schillers Text aber auch die Ausdrucksmöglichkeiten einer untergegangenen Kino-Epoche einmal ganz anders zu entdecken.