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Okkultismus
Der Dämon, der die Beine verbiegt

In Nigeria hält sich in ländlichen Regionen der Glaube an dunkle Mächte und böse Geister. Das bereitet besonders Ärzten Schwierigkeiten, wenn es um medizinische Aufklärung und Versorgung geht.

Von Katrin Gänsler | 26.02.2014
    Junge Mütter sitzen am Sonntag im Dorf Toba nahe der Stadt Katsina im Norden von Nigeria vor ihrer strohgedeckten Rundhütte.
    Der Glaube an böse Geister macht Ärzten in Teilen Afrikas die Arbeit schwer. (dpa / Wolfgang Langenstrassen)
    Donnerstagnachmittag in Kaso Sarki, einem kleinen Dorf in Nordnigeria. Es liegt gut eine Autostunde von der Stadt Kaduna entfernt und ist nur mit einem Geländewagen erreichbar. 20 Kinder springen um Michael Ogundele herum und nennen ihn Baba Yara. Das ist Haussa und heißt "Vater der Kinder". Ogundele freut sich über die herzliche Begrüßung. Er arbeitet für "Hope for the Village Child", eine Partnerorganisation der Caritas, und besucht das Dorf gemeinsam mit seinen Kollegen regelmäßig. Zum ersten Mal war er im Jahr 2001 hier. Den Besuch wird Michael Ogundele nie vergessen.
    "Als ich begann, mit den Kollegen in die Dörfer zu fahren, sahen wir eines Tages Kinder, die völlig verkrüppelt waren. Es war unglaublich. So etwas hatte ich noch nie in meinem Leben gesehen. Danach habe ich meiner Chefin vorgeschlagen, dass sie mitkommt. Wir mussten herausfinden, was wirklich dahinter steckte."
    Die Suche begann. Sie lasen Studien, begutachteten Fotos. Schließlich war klar: Die Kinder litten unter Rachitis, einer Krankheit, die in Europa nur noch selten vorkommt. Doch nicht so rund um das Dörfchen Kaso Sarki. 1600 Fälle hat die Organisation hier mittlerweile verzeichnet, und jeden Monat kommen 20 neue hinzu. Doch trotz der massiven Fallzahlen hatten die Dorfbewohner anfangs noch nie von Rachitis gehört.
    "Als wir begannen, hat man uns viele Geschichten erzählt. Etwas, für das es keinen medizinischen Beweis gibt, lässt sich nur schwer akzeptieren. In Afrika und besonders in Nigeria ist Spiritualität sehr wichtig. Man versucht zum Beispiel, unerklärliche Dinge mit Geschichten zu erklären. Irgendwoher ist ein böser Geist gekommen, der die Beine der Kinder verformt hat. Vielleicht hat der Vater einmal jemanden beleidigt. Die Strafe dafür sind die verformten Beine der Kinder. Es gibt so viele Geschichten!"
    Mit der Angst vor bösen Geistern ist auch Yohanna Laraba aufgewachsen. Die 33-Jährige stammt aus Kaso Sarki:
    "Früher haben wir Feuerholz zum Kochen im Wald gesammelt. Dort gab es Plätze, die verboten waren. Die Männer sagten, wenn wir Frauen dennoch zu diesen verbotenen Plätzen gehen, dann dringt ein Dämon in unseren Bauch ein. Deshalb haben unsere Kinder Rachitis."
    "Die Angst war groß"
    Die Mutter von fünf Kindern lächelt verlegen und denkt zurück an die Zeit, als sie schwanger wurde. Sie wusste nicht, ob auch ihr Kind mit schiefen Beinen und krummen Füßen auf die Welt kommen würde:
    "Ja, die Angst war groß. Aber jetzt sind wir aufgeklärt und haben keine Angst mehr."
    Aufklärung macht den wichtigsten Teil der Arbeit von "Hope for the Village Child" aus. Das ist in Nigeria oft ein mühsames Unterfangen. Weiter im Norden des Landes, der durch und durch muslimisch geprägt ist, boykottieren viele Eltern Impfungen. Sie halten sie für gefährlich und für eine Einflussnahme des Westens. Mehrfach hat auch die islamistische Terrorgruppe Boko Haram medizinische Teams angegriffen, die Kinder gegen Polio impfen wollten.
    In ihrem winzigen Haus in Kaso Sarki sitzt Ruth Monday mit ihren drei Kindern auf einem Sofa. Ihre neunjährige Tochter kann sich kaum bewegen. Beide Beine sind eingegipst. Das Mädchen, das auch an Rachitis erkrankt ist, fährt vorsichtig mit ihren kleinen Händen über den dunkelblauen Gips. Sie ist eines von 80 Kindern, die in Deutschland an der Uniklinik Würzburg operiert worden sind. Mutter Ruth erinnert sich noch genau an den Schock, als sie spürte, dass mit ihrer Tochter etwas nicht stimmt:
    "Ich habe sie gebadet, und sie hat immerzu geschrien. Sie konnte auch nicht laufen und fiel ständig hin. Damals war mir noch nicht klar, dass es ein so großes Problem ist. Doch dann wurde mir gesagt: Es liegt am falschen Essen und an mangelnder Pflege. Wenn wir früher zum Beispiel auf den Feldern zum Arbeiten waren, habe ich ihr nur mit etwas Milchpulver Essen fertiggemacht."
    Doch es waren nicht nur die Schmerzen, die Monday aushalten musste. Das Mädchen macht ein ernstes Gesicht:
    "Als ich versuchte, zu laufen, haben sie mich geschlagen und mich gestoßen. Das passierte in der Schule immer dann, wenn meine Eltern nicht mehr da waren. Sie alle haben es getan."
    Heute weiß Monday, dass sie eines Tages so flink auf den Beinen sein wird wie alle Kinder in Kaso Sarki, die zum Abschied noch einmal für ihren Baba Yara singen, klatschen und tanzen.