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Old Delhi mit dem Fahrrad
"Wer diese Tour überlebt, kann überall radeln"

In Old-Delhi wird auf engstem Raum gehandelt, gebetet und gelebt. Eine NGO will das Fahrrad wieder populär machen und nimmt Touristen mit in die in den engen Gassen. Ein sinnliches Abenteuer - vorbei an Ziegen, Rinderkarren und Löchern.

Von Sonja Ernst | 11.02.2018
    Strassenszene in Old-Dehli
    Straßenszene in Old-Delhi (imago stock&people)
    In Alt-Delhi wird auf engstem Raum gehandelt, gebetet und gelebt. Eine NGO will das Fahrrad wieder populär machen und nimmt Touristen mit in die in den engen Gassen. Ein sinnliches Abenteuer - vorbei an Menschen, Löchern und Tieren.
    Es ist morgens halb sieben in Alt-Delhi in der Schlachtergasse. Hier startet unsere Fahrradtour. Zwei Männer drängen vorbei. Jeder ein halbes totes Schaf über der Schulter. Links und rechts der Gasse, am Boden, stehen Schalen voller Tierhufe. Vom Büffel - tiefschwarz. Hunger auf Frühstück? Nein, nicht mehr.
    Wir sind vier Touristen, ich und Deepika. Sie ist Anfang 20 und leitet heute unsere Fahrradtour durch Alt-Delhi. Die braunen Haare hat sie zum Zopf gebunden, sie trägt Hose und T-Shirt. Deepika studiert Geschichte und ist überzeugt von ihrer Arbeit für "Delhi by Cycle" - also Delhi mit dem Fahrrad. Diese kleine Organisation bietet diese und andere Radtouren an - und wirbt mit dem Slogan: Wer unsere Touren überlebt, kann überall Fahrrad fahren.
    "Also, was ist Alt-Delhi? Alt-Delhi ist eine historische Stadt, erbaut von dem namhaften Mogulherrscher Shah Jahan. Er ist berühmt für den Bau des Taj Mahal - ansonsten ist er nicht sonderlich bekannt. Aber das Taj Mahal ist heute eines der Weltwunder. Shah Jahan entschied, seine Hauptstadt von Agra nach Delhi zu verlegen. Und wenn man das macht, dann braucht man eine Stadt. Deshalb baute er Alt-Delhi - eine Stadt von Mauern umgeben."
    Alt-Delhi liegt heute mitten in der Millionen-Metropole Delhi, Indiens Hauptstadt. Die ältesten Märkte Delhis finden sich in Alt-Delhi. Und hier bekommt man alles, erzählt Deepika: Lebensmittel, Smartphones, Haushaltswaren, Brautmode - und verdammt gutes Essen. In Ruhe flanieren lässt es sich nicht, dafür ist einfach zu viel los. Hier wird gehandelt, gearbeitet, gebetet und gelebt - auf engstem Raum.
    Straßenstände in Old-Dehli
    Sinnliche Spazierfahrt - Straßenstände in Old-Dehli (imago stock&people)
    Wir radeln durch ein Labyrinth schmaler Gassen. Die Wände rechts und links sind teils 400 Jahre alt. Die Straßen sind so schmal, dass man mit dem Rad nicht umkippen kann, aber auch das Tageslicht kaum zu uns vordringt. Wir umfahren Löcher, Müll und riesige Ziegen. Von den engen Gassen biegen wir auf breitere Straßen.
    Wenn Alt-Delhi aufwacht
    Es ist sieben Uhr. Alt-Delhi ist jetzt wach: Männer rekeln sich, die auf den Gehwegen oder auf ihrer Fahrradrikscha die Nacht verbracht haben. Am Straßenrand blubbert Tee in großen Töpfen. Brot wird in heißem Öl gebacken. In den vielen kleinen Restaurants und den zig Läden geht der Trubel los.
    Es gibt so viel zu schauen. Da fällt es verdammt schwer, sich aufs Radeln zu konzentrieren. Aber die Straßen füllen sich jetzt - mit Fahrradrikschas, Mopeds, Autos, Lkw und Karren von Rindern gezogen. Alle versuchen irgendwie aneinander vorbeizukommen - und wir mittendrin. Viel zu zögerlich. Nur Deepika kommt gut voran.
    Alt-Delhi hat seinen ganz eigenen Charme. Die Altstadt ist eine der sieben Städte Delhis. Denn mindestens so viele Hauptstädte wurden im Raum Delhi gebaut – über- und nebeneinander, im Laufe von rund zwei Jahrtausenden.
    Alt-Delhi wurde 1648 gebaut - als neue Hauptstadt des Mogul-Reiches, einer großen Landmacht in Asien zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert. Der muslimische Herrscher Shah Jahan war einer der Kaiser dieses Reiches. Auf gut sechs Quadratkilometern ließ er Alt-Delhi erbauen; umgeben von hohen Mauern mit 14 Toren. Eine damals prächtige Stadt.
    Um 1850 ging die Zeit des Mogul-Reiches zu Ende, die Herrschaft der britischen Krone über den indischen Subkontinent war komplett.
    Immer wieder Bauherr Shah Jahan
    Wir radeln die Khari Baoli runter. Mitten durch Asiens größten Gewürzmarkt. Stellen die Fahrräder ab und gehen hinein in ein altes Stadthaus. Treppe hoch. Der Geruch von Gewürzen kitzelt in der Nase. Das Treppenhaus ist stockdunkel. Männer kommen uns entgegen – schnell. Auf ihren Schultern schleppen sie große, schwere Säcke.
    Vierter Stock, Dachterrasse. Erst mal durchatmen. Wir blicken in einen großen Innenhof, mit kleinen Loggias rundherum und verzierten Erkern. Doch die einstige Pracht bröckelt von der Fassade. Nicht nur hier. Die Mogul-Architektur, die Alt-Delhi stark prägt, wird kaum erhalten. Die Stadtmauern sind fast komplett zerstört. Von den 14 Toren sind noch vier erhalten.
    Muslime beim Gebet am Jama Masjid
    Muslime beim Gebet am Jama Masjid (picture alliance / EPA / Money Sharma)
    Vom Dach aus blicken wir über die Altstadt. Deepika zeigt auf das Rote Fort, eine Festungs- und Palastanlage. Bauherr? Shah Jahan! Das Fort ist heute eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Delhis, Weltkulturerbe - und ein historischer Ort. Dort verkündete Indiens erster Ministerpräsident Nehru im August 1947 die Unabhängigkeit seines Landes.
    Rechts vom Fort liegt die Jama Masjid, die Freitagsmoschee. Bauherr? Klar – auch Shah Jahan. Die Moschee ist fast komplett aus rotem Sandstein erbaut. Sie fasst 20.000 Menschen und ist die größte Indiens. In den Vierteln um die Moschee leben vor allem Muslime.
    Zurück auf der Straße, rauf auf die Räder. Bevor es zum Roten Fort und zur Jama Masjid geht, machen wir Stopp am Mondschein-Platz, dem Chandni Chowk. Nach zehn Uhr kommt man hier nicht mehr durch, sagt Deepika. Dann strömen die Kunden nur so in die vielen Schmuckgeschäfte und Läden für Brautmode.
    Kontrastreicher Ort
    Aber am Chandni Chowk findt man noch mehr: nämlich viele Gotteshäuser. Entlang der Hauptstraße stehen ein Hindu- und ein Jain-Tempel, eine Moschee, eine Kirche. Auch ein Tempel der Sikhs - direkt gegenüber warten entlang der Straße 200, vielleicht 250 Männer. Jeden Morgen verteilen hier Sikhs gratis Essen für alle - egal welchen Glaubens.
    "Das ist der Symbolismus dieser Straße. Fünf Religionen - Islam, Christentum, Sikhismus, Jainismus und Hinduismus – leben hier sehr friedlich nebeneinander; entlang einer Straße. Und dann gibt es noch Mc Donalds. Den amerikanischen Tempel."
    In Alt-Delhi kommt alles zusammen - auf engstem Raum. Verschiedene Religionen. Die alten Märkte, die Gassen, die Mogul-Architektur. Konsum und bittere Armut. Uralt und neu. Das macht Alt-Delhi zu einem kontrastreichen und erstaunlichen Ort.
    Und wir? Wir haben überlebt. Deepika brüllt noch einmal gegen den Straßenlärm an und überreicht uns am Ende der Tour ein Überlebens-Zertifikat. Ob wir jetzt überall auf der Welt radeln können? Vielleicht. Alt-Delhi war auf jeden Fall ein echter Härtetest. Ein toller Härtetest.