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Olymp der Dramatikerinnen

Das Festival wurde 1976 gegründet, um zeitgenössischen Theaterautoren mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Unter dem Titel "Stücke" sind die 33. Theatertage in Mülheim an der Ruhr zu Ende gegangen. Den mit 15.000 Euro dotierten Dramatikerpreis erhielt Dea Loher für "Das letzte Feuer", den undotierten Publikumspreis Felicia Zeller für "Kaspar Häuser Meer".

Von Dina Netz | 25.05.2008
    Schimmelpfennig, Kater, Jelinek. Jelinek, Rinke, Kater. Kater, Handke, Schimmelpfennig. Jelinek, Pollesch, Rinke. So las sich die Liste der zu den Mülheimer Theatertagen eingeladenen Autoren in den vergangenen Jahren. Es kamen die Guten, die Etablierten, die jedes Jahr ein gutes neues Stück schreiben. Doch mit diesen immergleichen Namen drohte das Festival auch etwas in guter, aber dennoch in Routine zu erstarren.

    Vergangenes Jahr dann kam Bewegung in den Wettbewerb: Rimini Protokoll reisten mit "Karl Marx: Das Kapital. Erster Band" an, den collagierten Lebensprotokollen echter Menschen, und räumten damit auch gleich noch Publikums- und Jurypreis ab. Da wurde also das Ende des traditionellen Theaterstückes prämiert, aber wenn man diese Linie weiterverfolgt hätte, dann hätte die nächste Einladung wohl Signas interaktiver Theaterperformance "Martha Rubin" gegolten, die auch beim Berliner Theatertreffen antrat.
    Damit hätte sich ein Festival namens "Stücke" aber wohl doch ad absurdum geführt, und deshalb feierte man in diesem Jahr: die Wiederauferstehung des Theaterstücks. Dazu waren gleich vier Mülheim-Debütanten eingeladen, von insgesamt acht Autoren. Es scheint, dass

    "die Auswahlkommission auch ein bisschen darauf geachtet hat - und nicht bloß auf die Qualität des Stückes, sondern dass es auch in Jung und Alt eine Mischung gibt. Was ich nicht unbedingt so gut finde. Es sollte doch der Mülheimer Preis der Preis bleiben, bei dem das beste Stück ausgewählt wird. Und die Nachwuchspreise - da gibt es den Kleist-Förderpreis, da gibt es den Heidelberger Stückemarkt und so weiter. Das hätte man vielleicht nicht unbedingt so machen müssen","

    meint Oliver Bukowski, Mitglied der Preis-Jury und selbst Theaterautor. Zwei der Mülheim-Neulinge schafften es dennoch auf Anhieb ins Finale der Preis-Diskussion, Ewald Palmetshofer und Felicia Zeller. Zeller bekam außerdem den Publikumspreis. Ihr Stück "Kaspar Häuser Meer" ist ein Auftragwerk des Theaters Freiburg, das etwas über vernachlässigte und misshandelte Kinder ins Programm heben wollte. Herausgekommen ist eine Sozial-Groteske über drei völlig überlastete Sozialarbeiterinnen:
    ""Oh Regel, oh Arbeit, oh Ärger. Oh wie soll man hier in Ruhe, oh wie soll man hier in Ruhe mal bloß, kurz mal in Ruhe, seine Zigarette rauchen. Oh brennende Zigarette, oh lass mich doch einmal für paar Minuten in Ruhe meine Zigarette."

    Viel zu viele Fälle, viel zu große Verantwortung. Wie Tiere im Käfig laufen die drei im gelben Bühnenkasten herum, schreien ihre Überforderung in Monolog-Sturzbächen heraus und sich gegenseitig an. Allerdings werden dabei kaum neue Erkenntnisse zutage gespült - Felicia Zellers Stück kommt zumindest nicht weit hinaus über bloßen Naturalismus.

    Der österreichische Autor Ewald Palmetshofer lieferte sowohl formal als auch inhaltlich das komplizierteste Stück dieses Mülheimer Wettbewerbs: "Hamlet ist tot. Keine Schwerkraft". Drei Generationen und acht Personen sind durch Schuld oder nur durch gemeinsam verbrachte Zeit miteinander verstrickt, und alles läuft auf ein echt österreichisch krasses Ende hinaus.
    Das ist der Shakespeare-Anteil bei Palmetshofer, reizvoll verquickt mit einem Pollesch-Anteil: Die Figuren sprechen von sich selbst in indirekter Rede und treten immer wieder für ausufernde Theorie-Monologe ganz aus der Szene heraus. Und darum ging es dem Autor:

    "Die Grundfrage ist eigentlich, wie in diesem Jetzt, in diesem Augenblick, Neues überhaupt reinkommen kann, nachdem man - und das ist so das Gefühl, das die Figuren im Stück teilen - in einer Zeit angelangt ist, in der man Zukünftigkeit eigentlich nicht denken kann: weil es so etwas wie ein tragender Grund, so etwas wie eine Erzählung, mit der man Zukunft zumindest dem Gefühl nach sich erschließen könnte, nicht mehr gegeben ist, nicht mehr funktioniert."

    Obwohl die Jury Palmetshofer "einen ganz eigenen Sound" attestierte, wurde sie des Stückes nicht ganz Herr. "Der Text ist eine Überforderung", sagte der Juror Wilfried Schulz, aber: Bei Rainald Goetz und Werner Schwab habe man anfangs auch jahrelang diskutiert, ob da etwas dran sei oder nicht.

    Palmetshofers spielerischer Umgang mit dem postdramatischen Theater ist typisch für die Stücke dieses Jahres - so viele unvollständige Sätze waren nie in Mülheim. Inhaltlich war der Titel des höchst amüsanten Stücks von René Pollesch, das bei der Jury leider komplett durchfiel, programmatisch: "Liebe ist kälter als das Kapital". Das Kapital ist aber eben auch nicht besonders warm - viel war über die Lebensbedingungen im Kapitalismus zu erfahren.

    Oder, wie es die Jurorin Marion Hirte subsummierte: In Mülheim gab es ziemlich viele Tode, viele düstere Stücke auf der Bühne. So auch das preisgekrönte "Das letzte Feuer" von Dea Loher, das perfekteste und zugleich bewegendste Stück der Auswahl. Die Autorin fasst es so zusammen:

    "Es sind zwei Hauptstränge, zwei Geschichten, die dann ineinander verwebt werden. In der einen geht es um einen Autounfall, bei dem ein kleiner Junge zu Tode kommt. Das Stück erzählt dann auf der einen Seite die Geschichten, die Biografien aller Leute, die in diesen Unfall verwickelt sind. Dann gibt es einen Fremden, der von außen dazu kommt und der einzige Zeuge dieses Unfalls ist."

    "So sind alle Menschen mit diesem Tod verknüpft. Und sie schafft daraus ein Panorama von einer menschlichen Gemeinschaft, die quasi in diesem Schmerz verknüpft ist und die versucht, damit klarzukommen, aber es natürlich nicht kann. Das Ganze ist geschrieben mit einer Ernsthaftigkeit, auch mit einer Fähigkeit, durch Musikalität und Gedankengänge die inneren Bewegungen der Figuren vor dieser Situation einzufangen, die einzigartig ist, die es nicht noch mal gibt. Auch nicht in der Prosa im übrigen","

    So würdigte der Juror und Theaterkritiker Peter Michalzik Dea Loher. Und die Autorin verneigte sich vor dem Mülheimer Dramatikerpreis:

    ""Er ist schon sehr wichtig. Auf der einen Seite als Bestätigung für einen selber. Auf der anderen Seite, weil er natürlich eine großen Nachhall in der Öffentlichkeit hat."