Dienstag, 16. April 2024

Archiv

Olympia 2016
Die Spar-Spiele von Rio

Olympia-Gastgeber Brasilien steckt in der Krise, politisch und wirtschaftlich. Das trifft auch die Sommerspiele in Rio de Janeiro, die Anfang August eröffnet werden. Die Kosten sind zu einem echten Problem für die Organisatoren geworden, die internationalen Sportverbände sind besorgt.

Von Carsten Upadek | 27.03.2016
    Luftbild Olympiapark in Rio de Janeiro
    Olympiapark in Rio de Janeiro (Gabriel Heusi/Brasil2016.gov.br)
    In der Wassersport-Arena Maria Lenk in Rio de Janeiro trainiert Schwimmer Luiz Altamir Melo für Olympia. Sein Vater Alexandre ist beim Training dabei, wie immer. Seit zehn Jahren begleiten beide Eltern ihren Luiz zu jedem Turnier, sie sind extra für ihn aus dem Nordosten Brasiliens nach Rio gezogen. Bei Olympia allerdings, dem Höhepunkt von Luiz Karriere, kann nur Vater oder Mutter dabei sein. Denn die Olympia-Organisatoren statten nur einen Elternteil mit einem Frei-Ticket aus.
    "Das ist auch für sie ein einmaliger Moment", beklagt Luiz. "Sie haben übers Internet für einen Wettbewerb Tickets bekommen, für die anderen leider nicht. Ich wäre sehr traurig, wenn ich meine beiden Eltern nicht dabei haben könnte!"
    Begehrte Tickets
    Vater Alexandre hat mit anderen Athleten-Eltern einen offenen Brief an das Organisationskomitee geschrieben und um eine zweite Eintrittskarte gebeten – ohne aber Antwort zu erhalten. Es ist üblich, dass Athleten zwei Frei-Tickets bekommen. Außer bei den Schwimmwettkämpfen. Da sind die Karten besonders begehrt. Das noch nicht eröffnete Stadion in Rio hat offiziell 18.000 Zuschauerplätze. Der Wassersport-Weltverband FINA reklamiert aber, tatsächlich seien es nur 13.000. Ziehe man Sichtbehinderungen durch Pfeiler und den Platz für Medien und Athleten ab, blieben sogar nur 8000 Plätze übrig. Und ist nicht das einzige Problem, sagt FINA-Funktionär Ricardo de Moura.
    "Die Stadtverwaltung von Rio de Janeiro ist verantwortlich für die Konstruktion der Arenen, und sie hat nicht das abgeliefert, was die FINA erbeten hat."
    Unter anderem wollte die FINA ein provisorisches Dach für das Stadion Maria Lenk, wo die Wettbewerbe im Synchronschwimmen, Turmspringen und Wasserball ausgetragen werden, zusätzliche Aufwärmbecken für die Sportler, eine Klimaanlage statt Ventilatoren im Wassersport-Stadion und einen Ersatz für die Säulen, um mehr Zuschauern tatsächlich Sicht auf die Wettkämpfe zu ermöglichen. Zwischen FINA und Stadtverwaltung gab es hinter den Kulissen einen heftigen Streit.
    "Einige Olympia-Modalitäten bekommen alles was sie wollen", beklagt Ricardo de Moura. "Die FINA mit Schwimmen als einer der wichtigsten Sportarten nicht! Warum? Ich denke, es gibt eine Abstufung der Stadt unter den Sportarten! Wieso das so ist, weiß ich auch nicht!"
    Schlanke Spiele
    Den Grund des Streits sieht Journalist Vinicius Konchinski vom Onlineportal UOL eher darin, dass Rio generell spare.
    "Das Selbstverständnis der FINA ist, dass ihre Sportarten besonders edel sind, die adäquate Strukturen haben sollten, perfekte Installationen und eine hohe Zuschauerkapazität. Die Stadtverwaltung möchte eine möglichst billige Installation. Umso weniger die Spiele kosten, umso besser."
    Schlanke Spiele also – nicht nur im Schwimmen. Das hat aber wenig mit den Olympia-Reformen der Agenda 2020 des IOC zu tun, die Flexibilität, Nachhaltigkeit und vor allem geringere Kosten proklamieren, sagt Olympia-Forscher Lamartine DeCastro.
    "Mit Rio endet der Zyklus von gigantischen Olympischen Spielen. Dass die Agenda allerdings hier beginnt, hat nicht mit ihr zu tun, sondern mit der Notwendigkeit. Brasilien steckt in der Krise. Dass so ein Staat die Spiele ausrichtet, ist das erste Mal in der Geschichte von Olympia."
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Schwimmer Luiz Altamir Melo trainiert für Olympia (Carsten Upadek)
    Kein Geld für Olympia
    Krise heißt: Die brasilianische Wirtschaft ist 2015 fast vier Prozent geschrumpft, die Währung Real stürzte gegenüber dem Dollar ab, die Teuerungsrate der letzten Monate liegt bei zehn Prozent. Das bedeutet, das Land hat schlicht kein Geld mehr für Olympia, sagt Journalist Vinicius Konchinski – weder Stadt, Land noch Komitee Rio2016, das für die Organisation der Spiele zuständig ist.
    "Das Organisationskomitee hat vor zwei, drei Jahren seine Kosten auf 1,8 Milliarden Euro geschätzt. Aber im Laufe der Vorbereitungen haben sie entdeckt, dass das nicht ausreichen wird, um alles zu bezahlen, was sie versprochen haben. Sie fingen an, zu kürzen: am TV, am Essen, am Transport."
    Angeblich ist es den Mitarbeitern des Organisationskomitees praktisch verboten, den Drucker zu benutzen. Sportler im Olympischen Dorf werden keinen Fernseher und keine individuelle Küche in ihren Zimmern haben, die Flotte der Autos wurde von 5000 auf 4000 gekürzt und die Zahl der Helfer von 70.000 auf 50.000. Journalist Konchinski schätzt, dass vor allem die jahrzehntelang verwöhnten Verbands-Funktionäre schlechte Laune in Rio bekommen könnten und die Kürzungen deshalb an einem Limit angekommen seien:
    "Wenn weiter gekürzt wird, werde die Kritiken überhand nehmen. Dann bringst Du die Spiele in eine sehr kritische Position. Sie werden zu einer Fensterscheibe. Und jeder Sportfunktionär bekommt einen Stein in die Hand."
    Verbände, Komitees, Kürzungen – dem 19jährigen Schwimmer Luiz Altamir Melo ist das alles herzlich egal, solange die Bedingungen im August für alle gleich sind. Es gehe schließlich um den Sport – auch, wenn die Spiele von Rio zu "Spar-Spielen" werden.
    "Wir sind Athleten. Wir kommen zu Olympia, um uns zu messen, unabhängig von Zuschauertribünen, Dächern, was auch immer. Wenn die Konditionen für mich schlecht sind, sind sie auch für alle anderen schlecht!"