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Olympia 2022
Die Mär von der Verbesserung der Menschenrechte

Peking wird nach den Sommerspielen 2008 auch die Olympischen Winterspiele 2022 austragen. Menschenrechtsorganisationen kritisierten die Vergabe scharf. Dabei erklären Sportfunktionäre gebetsmühlenartig, große Sportveranstaltungen würden die Lage der Menschenrechte im Gastgeberland verbessern. Aber ist das wirklich so?

Von Andrea Schültke | 01.08.2015
    Proteste gegen das IOC in Brasilien.
    Proteste gegen das IOC in Brasilien. (AFP/ Greg Baker)
    Das letzte Sportgroßereignis in einem antidemokratischen Staat waren die Europaspiele in Baku. Die Degenfechterin Imke Duplitzer war gegen die umstrittenen Spiele in Aserbaidschan. Vor acht Wochen forderte die 40-Jährige im Deutschlandfunk, die internationalen Sportorganisationen sollten Farbe bekennen, etwa wenn es um Menschenrechte in Austragungsorten internationaler Sportgroßveranstaltungen geht: "Und wenn dann dabei ein paar Sponsoren abspringen oder Einschaltquoten auch nicht erfüllt werden, dann muss man Verantwortung dafür übernehmen und sagen: Das sind die Sachen, die haben wir uns auf die Fahnen geschrieben, da stehen wir zu, auch wenn's mal eng wird und wenn's windig wird. Und fallen nicht bei jedem kleine Luftzug um."
    Bei den Olympischen Sommerspielen in Peking hatte Duplitzer die Eröffnungsfeier boykottiert und sich kritisch über die Situation im Land geäußert. Bei späteren Veranstaltungen in der chinesischen Hauptstadt sei sie von den Behörden dort schikaniert worden, so die Fechterin. Vom Deutschen Olympischen Sportbund seien die Athleten damals kaum auf die Menschenrechtssituation im Gastgeberland vorbereitet worden: "Was wir vor den Spielen von Peking bekommen haben, war ein kleines Büchlein, da stand drauf 'Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte'. Wer das lesen wollte und Zeit dazu hatte im Bus, der konnte das tun. Ich glaube, es haben die wenigsten getan, und wenn das im Sinne der Athleten eine Aufklärung und Vorbereitung auf die Situation ist, na dann gute Nacht, Marie."
    Vespers Fehleinschätzung von 2008
    Athleten würden instrumentalisiert, wenn Spiele in undemokratische Staaten vergeben würden, meint Duplitzer. Funktionäre sehen das oft anders. Sie preisen Sportgroßveranstaltungen gern als eine Möglichkeit, etwa die Situation für Menschenrechtler in antidemokratischen Staaten zu verbessern. So auch Michael Vesper, heute Vorstandsvorsitzender des Deutschen Olympischen Sportbundes. In Peking war Vesper Chef de Mission der deutschen Olympiamannschaft. Ein Jahr vor den Sommerspielen 2008 sagte er: "Dass wir darüber heute so intensiv reden, dass es so stark auf der weltweiten Agenda steht, dass China sich bemüßigt fühlt, da Änderungen einzuführen, das ist doch schon ein Effekt dieser Olympischen Spiele. Und deswegen sage ich: Das ist doch schon ein Fortschritt und der lässt sich auch nicht zurückdrehen."
    Heute zeigt sich: Er lag wohl falsch. Die Menschenrechtslage in China sieben Jahre nach den Spielen beschreibt Wolfgang Büttner von Human Rights Watch: "Im Vergleich zu 2008 insgesamt hat sich die politische Situation aber nochmal verschlechtert. Wir sprechen von einem restriktiven Vorgehen, insbesondere seit die neue Regierung 2013 an die Macht gekommen ist. Menschenrechtsverteidiger und Rechtsanwälte werden immer wieder in Haft genommen und eingeschüchtert und auch die Pressefreiheit und die Internetzensur haben sich stark verschärft."
    Im Gegenteil: Olympia verschlimmert die Situation
    Ein Beispiel: der Menschenrechtler und Friedensnobelpreisträger Liu Xiaobo. Er wurde nach den Spielen von Peking verhaftet und sitzt seitdem im Gefängnis. Eine nachhaltige Verbesserung der Situation durch die Olympischen Spiele - Fehlanzeige. Im Gegenteil: Wolfgang Büttner von Human Rights Watch rechnet sogar noch mit einer Verschärfung der Situation. "Die Erfahrung ist, dass menschenrechtsverletzende Länder, dass sich die Situation in diesen Ländern noch stärker verschärft, wenn sie die Olympischen Spiele bzw. andere Sportveranstaltungen bekommen."