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Olympia hat Menschenrechtslage in China bislang nicht verändert

Einen Tag vor der Eröffnung der Olympischen Spiele in Peking hat sich der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Günter Nooke (CDU), skeptisch gezeigt, dass die Sportveranstaltung eine grundlegende Verbesserung der Menschenrechtslage in China bringt. Regimekritiker würden weiterhin überwacht. Nooke betonte, man dürfe die Lage nicht schönreden, nur um zu rechtfertigen, dass die Spiele in China stattfinden.

Dirk-Oliver Heckmann im Gespräch mit Günter Nooke | 07.08.2008
    Dirk-Oliver Heckmann: Die Olympischen Spiele nach China zu vergeben, das werde die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das Land der Mitte richten und folglich dazu führen, dass sich die Menschenrechtslage dort verbessert, und dies werde ein Prozess sein, der nicht mehr zurückzudrehen sei, so die These. Bevor die Spiele überhaupt offiziell eröffnet wurden, fühlen sich ihre Anhänger schon in ihrem Urteil bestätigt. Schon jetzt habe sich die Menschenrechtslage verbessert, meinte etwa der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbunds Michael Vesper unter anderem hier im Deutschlandfunk. Was ist an dieser Aussage dran? Entspricht sie der Realität, oder dient sie nur der Rechtfertigung eines einmal gefassten Beschlusses? Am Telefon begrüße ich Günter Nooke, CDU, den Menschenrechtsbeauftragten der Bundesregierung. Ihn erreichen wir ebenfalls in Peking. Er hält sich dort auf, um sich ein Bild von der Lage der Menschenrechte zu machen. Schönen guten Tag, Herr Nooke.

    Günter Nooke: Einen schönen guten Morgen nach Deutschland, Herr Heckmann.

    Heckmann: Herr Nooke, wie ist die Menschenrechtssituation in China derzeit zu bewerten? Was berichten Ihnen Ihre Gesprächspartner?

    Nooke: Ja, dass es eine grundsätzliche Verbesserung jetzt wegen Olympia gegeben hat, das kann man hier so nicht feststellen. Ich glaube auch, dass man eher kurzfristig mit einigen zusätzlichen Problemen zu rechnen hat. Wie mir Gesprächspartner gesagt haben, war es oft so, dass, wenn sie sich mit Freunden treffen wollten, dann wurde gesagt: Ich kann hier nicht mein Haus verlassen, da steht Polizei vor der Wohnung oder vor dem Haus. Und das bedeutet, dass also viele Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten hier wohl im Vorfeld und nicht nur in Peking unter Hausarrest gestellt wurden. Also es heißt, man versucht schon, die Bilder zu kontrollieren, die um die Welt gehen und auch friedliche Proteste, wenn sie dann der chinesischen Führung nicht passen oder etwas fordern, was man nicht will, die sollen überhaupt nicht vorkommen. Und das ist natürlich etwas, wo man sagen muss, bei der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit gab es keine Verbesserung, auch jetzt im Vorfeld der Olympiade nicht.

    Heckmann: Keine Verbesserung, sagen Sie. Würden Sie sagen, dass es wegen der Spiele Verschlechterungen gegeben hat?

    Nooke: Nein, ich glaube, wir sollten jetzt nicht zu lange spekulieren, was mit den Spielen verbunden wird an Positivem und Negativem. Es gibt natürlich in dem Bereich der sozialen Rechte, der Lage der Menschen hier, wenn es einfach um das schlichte Überleben und gute Leben vielleicht geht in China, Verbesserungen, die mit der wachsenden Wirtschaftskraft und dem erhöhten Einkommen für einen Teil der Menschen - und das heißt ja immer viele Millionen - verbunden sind. Aber ob es wirklich jetzt bei dem Thema Freiheitsrechte oder politische Beteiligungsrechte Verbesserungen gibt, die Bilanz können am Ende nur die Menschenrechtsaktivisten, die hier vor Ort leben, ziehen, wenn sie im September noch einmal, wenn die Spiele vorbei sind, sich fragen: Sind jetzt eigentlich Dinge für uns leichter geworden, uns für den Schutz der Menschenrechte einzusetzen oder nicht? Und ich glaube, dass es letztlich darum geht, dass China mittel- und langfristig doch mehr Öffnung zulassen muss. Und sei es, dass die vielen Menschen, die hier begeistert an der Olympiade mithelfen, Englisch gelernt haben und dann vielleicht auch im Internet die nicht blockierten Seiten von englischen Menschenrechtsorganisationen oder internationalen Organisationen lesen können und dann sich auch ein eigenes Bild machen.

    Heckmann: Auf der anderen Seite, Herr Nooke, wird darauf verwiesen, dass, was die Todesstrafe beispielsweise angeht, die Zahl der Verurteilten gesunken sei und dass eine einmal ausgesprochene Todesstrafe eben dann auch von dem Obersten Gericht bestätigt werden müsste. Die Menschenrechte seien nunmehr schriftlich fixiert und erwähnt worden, so auch Michael Vesper vom DOSB. Sind das nicht Fortschritte, die man vermerken muss?

    Nooke: Ich will überhaupt nicht in Abrede stellen, dass auch Fortschritte passieren. Bloß ich glaube, dass es für das IOC und die Sportlerinnen und Sportler ja vor allem um Sport geht. Und die Menschenrechtslage zu beurteilen, das ist schon etwas komplizierter und muss differenziert erfolgen. Und wir sollten nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns die Lage hier schönreden, um zu rechtfertigen, dass die Spiele hier in Peking stattfinden. Wir sollten wirklich allen wünschen, dass die Spiele ein Erfolg werden, dass die Sportlerinnen und Sportler faire und saubere Wettkämpfe abliefern. Aber hinter dieser Realität der bunten Bilder und der Jubelkulissen gibt es eben eine andere Realität, die eben die Menschen, die sich hier für Freiheit und Demokratie einsetzen, spüren. Und das sollte vielleicht für 14 Tage, aber nicht generell vergessen werden. Und der Eindruck, dass Olympia jetzt die Welt verändern könnte oder ein ganzes Land und ein Regime hier umkrempeln, ich glaube, da verlangt man auch von Olympia zu viel und so hat es wohl auch Herr Vesper nicht gemeint.

    Heckmann: Es wird immer wieder gesagt, Herr Nooke, dass Fortschritte in der Menschenrechtspolitik in China nicht umkehrbar seien. Wie groß sind die Aussichten, dass das wirklich so ist, Herr Nooke?

    Nooke: Also, ich glaube, dass eine starke Weltmacht natürlich interessiert ist, ein positives Bild international abzugeben. Auch Diktatoren und autoritäre Führer und Führungen sind eitel genug, um zu wissen, dass gute Presse besser ist als schlechte Presse. Also von daher bemüht man sich schon, ein gutes Bild abzugeben. Und ich finde, dass man auch anerkennen sollte, dass diese Spiele toll organisiert sind, dass die Gebäude hier schon spektakulär sind. Man sollte nur nicht vergessen, dass dahinter eben auch ein undemokratisches Planungsrecht steht und dass da viele Menschen für enteignet wurden und die Häuser derjenigen, die einfach mit dem Bulldozer weggeräumt wurden, dass die eben nicht wirklich entschädigt wurden. Und all die Dinge, die damit verbunden sind, die sollte man nicht ganz vergessen. Ich meine, dass wir nicht Olympia verteufeln sollten, sondern dass wir vielleicht nur festhalten sollten, dass natürlich Olympia im Sinne von Frieden, Völkerverständigung, auch von der Charta, was Menschenrechte angeht, natürlich eine politische Veranstaltung ist, die die chinesische Führung für sich nutzt, und die wir natürlich auch nutzen wollen, um auf Menschenrechte hinzuweisen und möglichst die Lage zu verbessern, und die natürlich auch von den Menschenrechtsverletzungen betroffene Gruppen nutzen, um auf ihre Probleme und ihre Interessen hinzuweisen. Und ich denke, dass ist etwas, was in jeder Hinsicht verständlich ist. Und ich kann nur die chinesische Führung auffordern, auch alle Proteste wirklich zuzulassen, und was das IOC angeht, noch mal ehrlich, auch am Ende der Spiele, Bilanz zu ziehen, was an dieser Idee, die Spiele nach Peking zu vergeben, gut war und was nicht.

    Heckmann: Uns ist immer wieder aufgefallen in den letzten Tagen, dass auch von Seiten des DOSB, des Deutschen Olympischen Sportbunds, also immer wieder von einem autoritär regierten Land die Rede ist, wenn von China die Rede ist, und eben nicht von einer Diktatur gesprochen wird. Ist das nicht ein Punkt, wo sich da auch schon Grenzen verwischen?

    Nooke: Ja, es ist natürlich heute auch nicht so ganz einfach, China oder Russland mit den Diktaturen, wie wir sie aus der Ost-West-Konfrontation und zu kommunistischen Sowjet-Zeiten her kennen, zu vergleichen. Es gibt einfach durch Internet und doch etwas mehr Freiheit in der Zivilgesellschaft mehr Möglichkeiten sich zu informieren, aber natürlich hier und da andere zu informieren. Fakt ist, dass da, wo Menschen außerhalb, also Chinesen über China und Menschenrechtsprobleme in ihrem eigenen Land berichten, dass da drakonische Strafen drohen. Und wenn man für letztlich ein Interview dann mehrere Jahre in Haft gerät, dann ist das etwas, was völlig inakzeptabel ist, ob wir das jetzt Diktatur nennen oder ein autoritäres Regime. Ich würde sagen, es sind schon diktatorische Strukturen. In der Verfassung ist die Ein-Parteien-Herrschaft ganz klar festgeschrieben. Und insofern glaube ich, ist es weniger sinnvoll, über die politische Bezeichnung des Systems zu streiten, als klare Forderungen zu stellen. Und die erste wäre die Unabhängigkeit der Justiz. Wir haben ja hier keine Gewaltenteilung. Also das ist nicht mal ein wirklicher Rechtsstaat und eben schon gar keine Demokratie, weil es keinerlei Möglichkeiten gibt, auch was die Führung in Peking angeht, dass hier die normalen Menschen in China Mitsprache üben. Andererseits muss man natürlich sagen, gibt es auch viele Menschen in der Welt, die verstehen, dass solch ein Riesenland nicht einfach zu regieren ist und deshalb für Vieles in China Verständnis haben. Ich persönlich sage, beides ist falsch, auf der einen Seite zu denken, man könne in China alles das, was wir in Deutschland für richtig und gut halten, sofort umsetzen, und auf der anderen Seite ist es natürlich auch falsch zu sagen, das ist hier ein anderes Land, eine andere Tradition, eine andere kulturelle Prägung, die können machen, was sie wollen und bräuchten sich überhaupt nicht an elementare Menschenrechte, wie eben auch Meinungsfreiheit oder Religionsfreiheit halten. Und ich glaube, irgendwo da in der Mitte, da bewegt sich China und mittel- und langfristig sehe ich das auch in der richtigen Richtung.