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Olympische Kritik mit Schwarzenegger-Akzent

Von der Literaturnobelpreisträgerin Elfriede Jelinek ist bekannt, dass sie keine große Freundin des Sports ist. In ihrem "Sportstück" aus dem Jahr 1998 stellt sie Sport als eine andere Form von Krieg dar, als ein Massenphänomen, bei dem das Auftreten von Gewalt sanktioniert wird. Ihr Werk ist nun anlässlich der Olympischen Spiele in London zu sehen.

Von Matthias Thibaut | 03.08.2012
    Das Sportstück wurde 1998 am Burgtheater von Einar Schleef uraufgeführt – ein Riesenspektakel, fünf Stunden, 142 Schauspieler, die Massenkräfte des Burgtheaters als Tragödienchor. In London konnte und wollte die Theatergruppe "Just a Must" im 100-sitzigen Chelsea Theater solchen Aufwand nicht treiben: Sieben Schauspieler, zwei Stunden, Sporttrikots mit dem Logo der als Sponsor eingesprungenen Salzburger Bierbrauerei Stiegl und ein riesiger Berg Teddybär-Füllung als Bühnenbild mussten ausreichen. Aber vielen war auch das zu viel. Die "Times", die das Stück auf seiner kurzen Tour durch England schon in Lancaster gesehen hatte, monierte Longeurs und der ältere Herr, der neben mir saß und aus welchen Gründen immer im Trikot, Shorts und Sportschuhen erschien, war nach 15 Minuten schon fest eingeschlafen.

    An der Inszenierung lag es nicht: Die Schauspieler leisten Großes. Jelineks endlose Monologe werden in ein halbes Dutzend kompakte Szenen zerteilt, das Spielen in und um den Watteberg liefert theatralisch sinnliche Elemente. Der Eingangs- und Schlussmonolog der "Elfie Elektra" bezeichneten Person, gespielt von einer wunderbaren Sprecherin namens Denise Heinrich Lane in einer Perücke mit Jelinek Zöpfen, platzieren das Stück in die Autobiografie der Autorin und machen ihre Hassliebe zur übermächtigen Mutter zum Thema: Ein rasant einstudierter Sprechgesang des Chors stellt das Motto des Stückes vor - "Knochen krachen, Sehnen reißen, Adern platzen", eine Aerobik Stunde mit Schauspielerin Nina Hatchwell sorgt für Witz und der in Wien geborene Schauspieler Giorgio Spiegelfeld spricht mit authentischem Schwarzenegger-Akzent einen kleinen Essay zum Komplex Bodybuilding und Identitätsstiftung – man hätte es kaum besser machen können.

    Aber zu viel verpufft bei einer solchen Theaterübertragung. Die Wortspiele, intellektuell hoch zielende Anspielungen auf Karl Kraus und Elias Canetti, Jelineks Auseinandersetzungen mit dem schwarzen Loch des Faschismus in der österreichischen Gesellschaft. Erst recht erscheint die Kritik am Sport halbherzig und bemüht. Die Ergebnisse vom olympischen Wasserpolo, direkt aus dem Schwimmstadion durch einen atemlosen, der griechischen Tragödie entsprungenen Boten überbracht, machten den Sport fast interessanter als das Theater. Jelinek selbst scheint ja heute milder gegen den Sport gestimmt: Als sie das Stück vor 15 Jahren schrieb, habe sie gar nicht gewusst, dass Fußball nicht nur Kriege auslösen, sondern auch Frieden stiften könne, sagte sie laut dem Programmheft.

    So siegte doch der Sport übers Theater. "Kühl und clever, aber theatralisch nicht besonders anregend", meinte der "Guardian". Briten lieben ihr Theater dramatisch kompakt, als emotional mitreißende Fusion von Intelligenz und Gefühl. An ihrer Skepsis gegenüber dem post-dramatischen Kopftheater, wie man es im deutschsprachigen Raum liebt, wird die Produktion wenig geändert haben.