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Olympische Spiele in Brasilien
Soldaten gegen Tigermücken

Knapp sechs Monate vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Rio de Janeiro verunsichert das Zika-Virus weltweit Sportler und Funktionäre. Einige Athleten haben öffentlich überlegt, ihre Teilnehme an den Spielen abzusagen. Brasilien reagiert: Die Regierung hat 220.000 Soldaten in den Kampf gegen die das Virus übertragende Mücke geschickt.

Von Carsten Upadek | 14.02.2016
    Angehörige der brasilianischen Marine verteilen auf der Straße Zettel an Passanten.
    Die brasilianischen Behörden informieren die Bevölkerung mit Flyern über die Risiken des Zika-Virus. (Deutschlandradio/Carsten Upadek)
    "Guten Tag! Wir sind von der brasilianischen Marine um das Moskito zu bekämpfen. Hätten Sie ein Problem, wenn wir hereinkommen würden?"
    Nein, hat der Hausbesitzer nicht. Schließlich weiß der 82-jährige Marcos Barreto, dass an diesem Tag allein in Rio de Janeiro 70.000 Soldaten nach Brutstätten der ägyptischen Tigermücke suchen, die die Viren für Krankheiten wie Chikungunya, Dengue und Zika überträgt. Er selbst bekam Dengue-Fieber vor zwei Jahren:
    "Das war schlimm! Ich hatte ein Gefühl der absoluten Schwäche, Unwohlsein, Schmerzen. Und schuld war mein Nachbar in dem Viertel, in dem ich damals gewohnt habe. Ich habe herausgefunden, dass dessen Pool zwei, drei Jahre nicht gereinigt wurde: eine Brutstätte für Moskitos."
    Olympia-Organisatoren erschrocken über die Mücke
    Rauchend führt der Rentner die Marinesoldaten in Ausgehuniform durch sein Haus, um nach abgestandenem Wasser zu suchen, in dem sich die Mücke vermehrt, ob in Flaschen, Abflüssen oder Blumentöpfen. 462 Fälle von Mikrozephalie, von Schädelfehlbildungen bei Neugeborenen sind in Brasilien bestätigt. Allerdings kein einziger in Rio de Janeiro. Trotzdem ist die Stadt zu einer Haupt-Kampfzone ausgerufen. Grund sind weltweite Befürchtungen rund um die Olympischen Spiele im August. Das bestätigte gestern auch Brasiliens oberste Befehlshaberin, Präsidentin Dilma Rousseff:
    "Die Mobilisierung gegen den Moskito ist eine in diese Richtung gelenkte Aktion. Ich glaube, dass die mit dem Sport verbundenen Organe ein hohes Bewusstsein haben für den Fakt, dass die Situation Olympia nicht beeinträchtigt. Und wir denken, dass wir bis zu den Olympischen Spielen einen beachtlichen Erfolg in der Vernichtung des Moskitos erzielen können."
    An der Haustür wird die brasilianische Bevölkerung über das Zika-Virus informiert.
    An der Haustür wird die brasilianische Bevölkerung über das Zika-Virus informiert. (Deutschlandradio/Carsten Upadek)
    Die Olympiaorganisatoren scheinen ziemlich erschrocken über die Mücke, die einen Schatten auf die Spiele wirft. Spekulationen über eine Absage machen die Runde, seitdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wegen des Zika-Virus den globalen Gesundheitsnotstand ausgerufen hat. Andrea Varon, Fachärztin für Infektionskrankheiten:
    "Zika ist neu, wir wissen wenig darüber. Und über Dinge, über die wir wenig wissen, sind wir verständlicherweise sehr beunruhigt. Alles dreht sich darum. Besonders bei einem Virus, das zu Fehlbildungen bei Kindern führt."
    Zusammenhang zwischen Zika und Mikrozephalie
    Einen Zusammenhang zwischen Zika und Mikrozephalie sieht Fachärztin Varon inzwischen als bewiesen an. 41 Fälle gelten als belegt. Zudem zählen die Behörden rund 4.000 Verdachtsfälle. In Rio de Janeiros Innenstadt steht vor einem Kino Gabriela Lerer mit ihrem Mann. Die Brasilianerin ist im achten Monat schwanger, nutzt Mückenspray und ein Vitaminpräparat gegen Zika.
    "Ich lebe mein Leben normal, ich verlasse auch mein Haus. Manchmal sticht mich ein Moskito, o.k.: es gibt viele Mücken und selbst wenn es das Aedes aegypti sein sollte, muss es nicht mit dem Virus infiziert sein. Ein Stich macht mich nicht gleich paranoid. Viele meiner Freundinnen sind gerade schwanger und ihnen geht es ähnlich wie mir."
    Immerhin werden in Brasilien pro Jahr gut drei Millionen Babys geboren. Und für Erwachsene sei der Krankheitsverlauf bei Zika harmlos, sagt Infektionsspezialistin Varon: leichtes Fieber, Hautausschlag, Muskel- und Gelenkschmerzen. Ein Zusammenhang zu anderen neurologischen Erkrankungen oder gar tödliche Folgen wegen Zika seien Spekulation:
    "Wir hatten drei Tote, ja. Aber es wurde nie spezifisch zitiert, wie diese Personen starben. Also kann man keine direkte Verbindung mit Zika herstellen. Eine Person kann gleichzeitig mit mehr als einem Virus infiziert werden, also gleichzeitig Zika und Dengue oder Zika und Chikungunya."
    Die übertragende Mücke ist die Gleiche: die Tigermücke. Aber das Dengue-Fieber scheint im internationalen Zika-Hype fast unter zu gehen. Dabei ist es wesentlich gefährlicher. 2015 gab es in Brasilien über 1,6 Millionen Erkrankungen, 843 Menschen sind daran gestorben. Allein in den ersten vier Wochen dieses Jahres gab es in Rio de Janeiro 4000 Dengue-Verdachtsfälle.
    Alle Häuser sollen kontrolliert werden
    In der Olympiastadt laufen die Soldaten in Ausgehuniform weiter von Haus zu Haus im Kampf gegen die Mücke. Vorneweg drei Marinesoldaten, dahinter ein halbes Dutzend Journalisten und am Ende die Marine-Presseaufpasserin. Die meisten Bewohner öffnen ihre Türen. Wer nicht, wird registriert. Ab Montag wollen die Soldaten dann wieder kommen, ohne Presse, bestätigt Oberleutnant Bruno Perreira Gomes.
    "Unsere Intention ist es auszukehren und alle Wohnungen zu besichtigen, um dem Moskito keine Möglichkeit zu geben, sich zu vermehren."
    Die brasilianischen Soldaten sollen "alle Häuser" nach der Mücke durchsuchen.
    Die brasilianischen Soldaten sollen in Rio alle Häuser nach der Mücke durchsuchen. (Deutschlandradio/Carsten Upadek)
    Selbiges hat auch Präsidentin Rousseff angekündigt und dafür ein Dekret unterschrieben. Wirklich alle Häuser sollen kontrolliert werden - selbst die in von Drogenbanden kontrollierten Armenvierteln. Wie das gewaltfrei gehen soll, bleibt erst einmal ihr Geheimnis.
    Rio gibt sich kämpferisch
    Inzwischen ist sind die Soldaten am letzten Haus angekommen. Es gehört dem Anwalt Dalton Fricks. Gerade erst erholt er sich von einer der Virus-Erkrankungen der Tigermücke, welcher weiß er nicht. Er hält nichts davon, Soldaten gegen Moskitos zu kommandieren.
    "Ich finde es bedauernswert, dass die Streitkräfte dafür benutzt werden. Sie haben relevantere Funktionen im Bereich Sicherheit. In Wirklichkeit wären technische Fachkräfte geeigneter. Soldaten sind dafür nicht ausgebildet. Das ist eine Verschwendung."
    Aber das Bild nach außen ist klar: Rio tut alles im Kampf gegen den Moskito! Für Olympia wollen die Organisatoren Experten zu den Wettkampfstätten schicken und Broschüren für Athleten erstellen.
    Vor einem Einkaufzentrum stehen zwei Soldaten vom Heer, die bei der Aufklärung in Sachen Tigermücke helfen - ohne Presseaufpasser und in Alltagsuniform. Leider sind ihre bunten Moskito-Flyer ausgegangen. Was man beim Schutz vor der Tigermücke beachten soll? Sie wissen es nicht. Sie sollen ja nur die Flyer verteilen...