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Olympische Spiele in Rio
"Die Vorfreude ist ziemlich gedämpft"

Der sportpolitische Sprecher der Links-Fraktion, André Hahn, hat nicht den Eindruck, dass Doping international konsequent verfolgt wird. Die Entscheidung des IOC, russische Sportler nicht pauschal von den Olympischen Spielen in Rio auszuschließen, hält Hahn dennoch für sinnvoll. Alles andere wäre eine "unverhältnismäßige Kollektivstrafe" gewesen.

André Hahn im Gespräch mit Mario Dobovisek | 05.08.2016
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    André Hahn, der sportpolitische Sprecher der Links-Fraktion. (Deutschlandradio)
    Es sei ein gravierendes Problem, wenn man nicht mehr wisse, ob die jeweiligen Gewinner bei den Olympischen Spielen ihre Siege mit lauteren oder unlauteren Mitteln errungen haben, sagte der sportpolitische Sprecher der Linken-Fraktion, André Hahn, im Deutschlandfunk. "Das überschattet die Vorfreude auf die Spiele in Rio erheblich".
    Bei der internationalen Dopingbekämpfung sei einiges schiefgelaufen, so Hahn. So sei es nicht ausgeschlossen, dass gedopte Sportler in Rio an den Start gingen. Dennoch hält Hahn die IOC-Entscheidung, nicht das komplette russische Olympia-Team von den Wettkämpfen fernzuhalten, für richtig: "Alles andere wäre eine unverhältnismäßige Kollektivstrafe gewesen."
    Dass aber ausgerechnet die Whistleblowerin Julia Stepanowa, deren Aussagen das russische Staatsdoping ans Licht brachten, nun in Rio nicht dabei ist, findet Hahn "äußerst merkwürdig".

    Lesen Sie hier das vollständige Gespräch mit André Hahn.
    Ein bisschen Karneval erwartet uns also heute Nacht in Rio bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele. Lars Becker blickte schon mal voraus. Und am Telefon begrüße ich André Hahn von der Linkspartei, sportpolitischer Sprecher seiner Fraktion im Bundestag. Guten Tag, Herr Hahn!
    André Hahn: Guten Tag!
    Dobovisek: Freuen Sie sich auf die Spiele, Herr Hahn?
    Hahn: Ich muss ehrlich gestehen, die Vorfreude ist diesmal ziemlich gedämpft. Meine Begeisterung vor früheren Spielen war deutlich größer, weil es ist eben ein gravierendes Problem, wenn man nicht weiß, ob die jeweiligen Gewinner ihren Sieg mit lauteren oder eben verbotenen Mitteln geholt haben. Das ist schon ein großes Problem, und das überschattet den Beginn dieser Spiele doch erheblich.
    Dobovisek: Warum können wir das inzwischen nicht mehr wissen? Was läuft da schief?
    Hahn: Es ist offensichtlich in der Dopingbekämpfung in den letzten Jahren einiges schief gelaufen. Da hat auch die WADA nicht immer nur eine gute Rolle gespielt. Hier teile ich durchaus manche Kritik von IOC-Chef Thomas Bach. Und man hat ja Informationen gehabt über Jahre. Es müssen ja auch in den jeweiligen Ländern entsprechende Vertreter mitgemacht haben. Wenn Sportler gewarnt werden vor Proben, wenn positive Dopingproben unterschlagen werden - das hat es im Radsport gegeben mit Präsidenten aus Amerika, das hat es in Russland gegeben. Da ist viel schief gelaufen, und ich habe manchmal nicht den Eindruck gehabt, dass man mit wirklicher Vehemenz das auch verfolgt. Denn es treten ja auch jetzt wieder gedopte Sportler an, die ihre Strafe abgesessen haben und nun wieder bei Olympia sind. Das heißt, die Frage, wie man damit umgeht und wie man die entsprechenden Vergehen auch ahndet, das ist offenbar nicht ausreichend gewesen.
    Dobovisek: Viele wollten nach den Vorwürfen systematischen Dopings in Russland die russischen Athleten ja ganz von den Spielen ausschließen. Das IOC entschied sich für einen anderen Weg. Kein russischer Athlet dürfe antreten, wenn er Sauberkeit nicht nachgewiesen hätte. So sagte es IOC-Präsident Thomas Bach und überließ die entsprechenden Entscheidungen einem kleinen Gremium. War das die richtige Entscheidung?
    Richtige Entscheidung des IOC
    Hahn: Ich habe immer gesagt, dass die Doping-Vorwürfe gegen die russischen Sportler, Trainer und Funktionäre wirklich schwer wiegen. Es muss jeder Einzelfall geprüft werden und mit entsprechenden Sperren auch geahndet werden. Und wer nachweisbar gedopt hat, hat bei den Spielen nichts verloren. Aber es durfte aus meiner Sicht auch keine Sippenhaft für eine bestimmte Sportart oder für die Sportler eines ganzen Landes geben. Deshalb habe ich die Entscheidung des IOC für eine mit Augenmaß gehalten, dass man tatsächlich prüft, wer hat wirklich gedopt. Und man hat ja jetzt auch eine Einzelfallprüfung auch noch einmal vorgenommen und hat weitere Sportler gesperrt. Aber die, die eben nicht gedopt haben und bei denen es keine Verdachtsmomente gibt, die darf man meiner Ansicht nach auch nicht von den Spielen, darf man nicht von Olympia ausschließen. Das wäre eine unverhältnismäßige Kollektivstrafe gewesen, und insofern halte ich die Entscheidung für richtig, und ich glaube auch, dass die Dopingmaßnahmen vielleicht jetzt auch diesmal wirklich greifen. Es hat ja schon erste Fälle gegeben vor den Spielen bei einzelnen Athleten, und das hat nicht die russische Mannschaft betroffen. Insofern hoffe ich, dass möglichst wenig tatsächlich passiert. Ich wünsche mir natürlich eine spannende und eine faire Olympiade und Wettkämpfe, bei denen tatsächlich die besten und dopingfreien Athleten am Ende auch siegen, und dass, wenn es aber auch einzelne schwarze Schafe gibt, dass die dann auch gefunden werden. Die haben bei Olympia nichts verloren, da kann ich mich nur wiederholen.
    Dobovisek: 272 russische Athleten können in Rio antreten. Das ist der Stand, der jetzige Stand. Das sind über hundert weniger als ursprünglich geplant. Was sagt uns das über die Effizienz dieser Dopingkontrollen?
    IOC muss klare Vorgaben machen
    Hahn: Man hat ja offenbar bei einem erheblichen Teil entweder Verdachtsmomente oder Beweise auch nach dem McLaren-Report, und diejenigen dürfen nicht antreten. Das ist dann auch in Ordnung. Aber unbescholtene Sportler möglicherweise um ihren Lebenstraum zu bringen, bei Olympia zu starten, das wäre nicht richtig gewesen. Und wenn man jetzt Einzelne tatsächlich ausgeschlossen hat, dann wird es dafür Gründe gegeben haben. Und es gibt ja auch die Sportsgerichtsbarkeit, die am Ende entschieden hat. Der Internationale Sportgerichtshof in einzelnen Fällen, wo Sportler oder auch ganze Gruppen von Sportlern das CAS angerufen haben. Insofern ist das ein Weg, der aber natürlich trotzdem das Problem nicht löst. Da ist noch sehr viel mehr zu tun, da muss die WADA sich verändern, da muss das IOC ganz klare Vorgaben machen. Das muss nach den Spielen ausgewertet werden. Es war alles sehr kurzfristig, auch die Diskussion um den Ausschluss einer ganzen Nation. Das konnte nicht gutgehen, und insofern muss nach den Spielen das Dopingproblem komplett auf den Tisch, und es muss geklärt werden bis spätestens zur nächsten Winterolympiade. So wie bisher darf es nicht weitergehen.
    Dobovisek: Ausgerechnet Russland, fast ausgeschlossen von den Olympischen Spielen, so waren zumindest die Schlagzeilen vor den Olympischen Spielen. Wie viel Politik schwingt dabei mit?
    Hahn: Ich denke schon, dass dort Politik mitschwingt und dass es dort auch Interessen gab und politischen Druck gegeben hat von unterschiedlichen Seiten. Ich denke immer wieder daran, es gab vor Jahren etliche US-amerikanische und auch deutsche Radrennfahrer, die des Dopings überführt wurden, unter ihnen auch Tour-de-France-Sieger. Da ist niemand auf die Idee gekommen, alle amerikanischen oder deutschen Radsportler von der Tour, den Weltmeisterschaften oder gar von Olympia auszuschließen. Insofern wird auch mit zweierlei Maß gemessen. Ein früherer Dopingsünder, der seine Strafe abgesessen hat, der Sprinter Gatlin, darf starten. Eine Whistleblowerin wie Stepanowa darf nicht bei Olympia dabei sein. Das ist schon in vielen Fragen merkwürdig. Und natürlich auch der komplette Ausschluss von einzelnen Disziplinen, also wie die Leichtathleten, auch da trifft es eine Stabhochspringerin, die die beste der Welt ist, die jetzt nicht antreten darf. Das ist schon fragwürdig, und da ist auch manchmal nicht zu sehen, dass man mit gleicher Elle misst.
    Dobovisek: Im Bundestag beschäftigen Sie sich, Herr Hahn, auch mit Sicherheit und Geheimdiensten, sind Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Die letzten Wochen waren turbulent, können wir sagen. Über Terror und Amokläufe mussten wir berichten. Die Sicherheitsmaßnahmen sind hoch, extrem hoch. Erwarten Sie sichere Spiele?
    Hahn: Ich hoffe natürlich, dass es sichere Spiele gibt. Wir haben ja in den letzten Tagen gerade in Deutschland auch Terroranschläge gehabt, wir haben Nizza gehabt. Es ist nur zu hoffen, dass die Sicherheitsmaßnahmen greifen. Es ist eigentlich sehr schlimm, dass die Spiele von riesigen Aufgeboten von Polizei und auch von Militär abgesichert werden müssen. Das ist ein Problem, das der Sport allein nicht lösen kann. Da geht es auch um die Bekämpfung der Ursachen für Terrorismus. Das ist ein eigenständiges Thema. Aber die ursprüngliche olympische Idee war ja auch mal der friedliche Wettstreit der Jugend der Welt, und da gab es auch olympischen Frieden. Ich hoffe, dass die Spiele ordentlich abgehen, dass es keine Auseinandersetzungen gibt und dass es faire Wettkämpfe gibt und dass sie Athleten dann dort ihre besten Leistungen zeigen können, auf dem Höhepunkt möglicherweise ihrer Laufbahn.
    Dobovisek: Der Linkspolitiker André Hahn. Vielen Dank für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.