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Omnipräsenz der Olympia-Ästhetik

Vor 75 Jahren wurden die Olympischen Spiele in Berlin ausgetragen, die die Nationalsozialisten zu einer beispiellosen Propagandashow nutzen. Das Bild von den Spielen hat maßgeblich der zweiteilige Olympiafilm "Fest der Völker" und "Fest der Schönheit" der Regisseurin Leni Riefenstahl geprägt. Die Dokumentation übte nicht nur auf die Filmindustrie einen großen Einfluss aus. Ein Dreivierteljahrhundert nach Berlin 36 ist Riefenstahls Ästhetik nicht nur im Sport allgegenwärtig.

Von Stefan Osterhaus | 14.08.2011
    Blick in das Berliner Olympiastadion bei Abenddämmerung.
    Blick in das Berliner Olympiastadion bei Abenddämmerung. (picture-alliance / dpa / Arno Burgi)
    Was für ein Panorama: Die Ruine des Pantheons inmitten der antiken Tempellandschaft Athens, der Akropolis. Ein Fanfarenchor orchestriert die Kamerafahrt, die im Oval des Berliner Olympiastadions endet - in der Gegenwart der Sommerspiele von 1936. So beginnt er, der Olympiafilm der Leni Riefenstahl. Bildgewaltig, voller Pathos. Die Bilder verheißen Geschichte. Und sie verheißen vor allem Legenden, der Stoff aus dem Mythen sind. Genau das, sagte Leni Riefenstahl einmal, habe sie immer gewollt:

    "Mein erster Film, den ich machen konnte wie ich wollte, "Das blaue Licht", der war ja ein Märchenfilm, eine Legende. Ich wollte nie in meinem Leben einen Dokumentarfilm machen, ich hatte überhaupt kein Interesse."

    Die Nazis aber konnten ihr Interesse schnell wecken. Denn sie wollten keine gewöhnliche Dokumentation, sondern ein cineastisches Monument, ein tiefschwarzes Märchen eben. Dazu boten sie der Regisseurin traumhafte Arbeitsbedingungen. Eine Armee von Helfern umgab sie. Bereits bei ihrer Dokumentation des NS-Reichsparteitages von 1934 hatte Riefenstahl sich die Freiheit genommen und Elemente des Spielfilms adaptiert. So leistete so ihren Beitrag zur düsteren Legende.

    Doch die Riefenstahl war, man kann es nicht anders sagen, pure Avantgarde. Und mit ihrem Olympiafilm sprengte sie endgültig das Genre des Dokumentarfilms. Ihre Schnittfolge reicht bis in die Videoclips der Gegenwart. Im Weitsprung schnitt sie den Amerikaner Jesse Owens mit dem Deutschen Luz Long im Profil gegen. Im langsamen Wechsel zeigte sie die Konkurrenten - und erzeugte so eine unerhörte Dramatik.

    Diese Technik erscheint uns heute banal. Doch Riefenstahl schuf die Blaupause: Jeder Kameramann beim Fußball folgt heute den gleichen Gesetzen. Und wer heute einen 100-Meter-Lauf anschaut, der sieht auch dort Riefenstahls Technik in die Gegenwart transportiert.

    "Da zuckt selbst Metcalfe auf - die gewaltige schwarze Lokomotive, greift immer wieder zu den Spikes hin. Jetzt segnet er sich ein letztes Mal, tritt in die Aussenbahn. Und auch der andere Schwarze ist schon nach vorne getreten auf der Innenbahn, Jesse Owens. In der Mitte die vier Weißen, vier Weiße gegen zwei Schwarze. Drei Europäer gegen drei Amerikaner. USA gegen Europa: Der Kampf beginnt."

    Und auch mit dem Ton wusste sie sorgsam umzugehen. Die Rundfunk-Originalreportage von Rolf Wernicke ließ sie beinahe identisch nachsprechen. So ergab sich eine bruchlose Korrespondenz von Bild und Ton.

    Die Athletenkörper ließ sie titanisch erscheinen. Und folgte damit dem antiken Ideal. Deutlich ausgeprägt setzte sie die Muskeln ins Bild. Sie legte den Fokus auf Gesichter - und so konnten ihre Bilder trotz aller sorgfältiger Inszenierung emotional wirken. Wer sich Filme vom US-Sport aus der gleichen Zeit anschaut, der erkennt auf den ersten Blick, wie weit Riefenstahl den Kollegen aus der Neuen Welt voraus war.

    Und ihr Stil ist allgegenwärtig. Im Kino. In der Werbung. In Musikvideos. Rasierwasser-Reklame ohne Riefenstahl-Anleihen? Nahezu undenkbar! Die Perspektiv-Wechsel, die Kamerafahrt den Körper hinauf - dies alles beherrschte sie bereits in Perfektion: Die totale Verherrlichung des Körpers war ihr Programm. Und in diesem Punkt trafen sich die Herrenmenschen und die Schönheitsfaschistin.

    Der Faszination, die von ihren Bildern ausging, tat dies keinen Abbruch - ganz im Gegenteil. Die Liste der Verehrer wurde länger und länger:

    "Sie war die beste Regisseurin, die jemals lebte. Um das zu erkennen, muss man nur ihre Olympia-Filme ansehen."

    Zu diesem Superlativ griff der Filmemacher Quentin Tarantino im Interview mit dem "Spiegel". Hollywoods Berufsprovokateur liebt den Stil der Deutschen, den manche Kritiker pauschal mit Nazi-Ästhetik gleichsetzen. Und Tarantino verwob Elemente davon in seinem Streifen "Inglourious Basterds".

    Auch in der medialen Aufbereitung von politischen Ereignissen fand Riefenstahls Methode Einzug, etwa bei Bundesparteitagen wie 1998, bei dem Gerhard Schröder als SPD-Kanzlerkandidat vorgestellt wurde. Die Inszenierung hatte nicht eben zufällig eine sportliche Note: Provozierend lässig schritt er zum Rednerpult - so wie ein Preisboxer auf dem Weg zum Ring.
    Und als ein Journalist die Inszenierung der Kämpfe des deutschen Halbschwergewichts-Champions Henry Maske mit der eines Reichsparteitages verglich, da dachte der kritische Reporter wohl an Riefenstahl. Der Überbringer dieser nicht einmal falschen Botschaft wurde für seinen treffenden Vergleich mit einem Hallenverbot belegt.

    "Man muss Riefenstahl nicht schätzen, um ihre Größe als Künstlerin anzuerkennen, sie nicht verdammen, um ihre zweideutige Haltung zu begreifen. Ihr Werk ist nicht durchgängig faschistisch und wohl auch nicht durchgängig großartig. In seinen besten wie seinen schlechtesten Seiten allerdings wirkt es fort wie wenig andere."

    Das sagt Rainer Rother, ein Filmwissenschaftler und Riefenstahl-Experte. In vielen Analysen hatte er sich der Präsenz Riefenstahls in der Bilderlandschaft der Gegenwart gewidmet. In den USA war die Zeit für ein Revival schon früher reif gewesen - die einflussreiche Essayistin Susan Sontag hatte mit ihren Texten der Regisseurin den Weg zur Salonfähigkeit geebnet:

    "Leni Riefenstahls Filmgenie bewirkte, dass der ‚Inhalt‘ – wenn auch vielleicht gegen ihre eigene Absicht – eine rein formale Rolle spielt."

    So kam es, dass sich die Bilder vom Inhalt loslösten - und ihre ganz eigene Wirkung entfalteten. In Film und Kommerz wirken sie nach, und auch wenn Kunst und Sport aufeinandertreffen, kommt kaum jemand an Riefenstahl vorbei: Als die amerikanische Fotografin Annie Leibovitz in den neunziger Jahren Athletenkörper fotografierte, die dann im Olympischen Museum in Lausanne aushingen, waren die Parallelen so offensichtlich, dass man ohne weiteres von einer Kopie sprechen konnte.