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Onkologie
Virus als Krebszellenkiller

Onkologie. - Rund 150 000 Menschen sterben jedes Jahr weltweit an den Masern. Heidelberger Wissenschaftler glauben jedoch, dass der Erreger dem Menschen auch nutzen kann. Sie wollen ein gentechnisch gezähmtes Masernvirus als Waffe gegen Tumoren einsetzen. In einer klinischen Studie soll der Erreger demnächst erstmals in Deutschland als Krebsimpfung bei Patienten getestet werden.

02.01.2014
    Selbst Masernviren können gesund machen – das weiß die Medizin seit 40 Jahren. Damals berichteten britische Mediziner in der Fachzeitung "Lancet" über eine Art Wunderheilung. Sie hatten in Uganda einen kleinen Jungen beobachtet, dem ein Tumor des Immunsystems, ein Burkitt-Lymphom, das halbe Gesicht entstellt hatte . Bis sich der Junge mit den Masern ansteckte - und der Tumor verschwand. Der Wissenschaftler Guy Ungerechts möchte dieses Wunder nun wiederholen. Er will Krebspatienten absichtlich mit der Kinderkrankheit anstecken, um den Tumor in ihrem Körper zu bekämpfen – als erster in Europa.
    "Unsere Masernstudie wird eine sogenannte Phase-1-Studie sein, das heißt, das erklärte Ziel dieser Studie ist, die Verträglichkeit zu beweisen. Im Rahmen dieser frühen Studie werden in den Regel recht wenig Patienten eingeschlossen - sicher unter 20."
    Der Mediziner leitet eine Forschergruppe am Nationalen Zentrum für Tumorerkrankungen in Heidelberg. Dort versucht er, Masernviren mit gentechnischen Tricks so abzurichten, dass sie selbstständig Krebszellen angreifen und vernichten. Die Idee einer solchen onkolytischen Virentherapie ist nicht neu. Schon in den 1950er-Jahren versuchten Wissenschaftler, den Krebs mit Viren zu besiegen. Allerdings fehlte den Forschern noch das Handwerkszeug, das Guy Ungerechts inzwischen zur Verfügung steht. In einer Art Baukastensystem kann der Mediziner das Erbgut des Virus neu zusammenbasteln. Baut er neue Gene ein, werden dem Virus neue Eigenschaften verliehen, entfernt er alte, werden ihm die gefährlichsten Zähne gezogen.
    "Zunächst einmal haben wir Veränderungen des Virus auf der Ebene des Zelleintrittes durchgeführt – das sogenannte Targeting. Dabei haben wir Antikörper auf die Oberfläche des Viruses gesetzt, die uns dann erlauben, bestimmte Oberflächeneiweiß-Strukturen direkt anzusteuern. Dadurch erreichen wir eine hochgradige Spezifität des Virus für die Zielzelle, für die Tumorzelle , das heißt, das Virus kann normalerweise nur die Tumorzelle als Angriffspunkt erkennen und infiziert normales Gewebe nicht."
    Andere Gene aus dem Labor treiben die Tumore in den Selbstmord. Oder sie hetzen Abwehrzellen auf die Krebszellen. Ungerechts wickelt das Virus auch in eine Art neue Hülle. Diese Verkleidung verhindert, dass das Immunsystem sein Virus mit dem echten Masernerreger verwechselt und angreift. Nur lässt sich ein solcher Super-Erreger überhaupt noch kontrollieren? In der Vergangenheit haben sich schon andere Forscher an der Gentherapie die Finger verbrannt. Ihr Virus begann plötzlich selbst, normale Zellen in Krebszellen umzuwandeln. Nicht in diesem Fall, verspricht der Forscher:
    "Unsere Studie wäre nicht die erste Gabe des Masernvirus in den Menschen für die Krebstherapie. In den USA, in der Mayo-Klinik gibt es insgesamt vier Studien die auch bereits abgeschlossen sind, wo man jetzt insgesamt sicherlich über 50 Patienten behandelt hat mit Masernvirus bei Tumorpatienten. Da sind bislang bezüglich der Sicherheit keine Probleme aufgetreten."
    Um auf Nummer sicher zu gehen, haben sich die Wissenschaftler bei der Wahl ihres Tumorkillers nicht für den Krankheitserreger Masern entschieden. Sie wählten eine entschärfte Variante: das Impfvirus. Normalen Körperzellen kann es in der Regel nichts anhaben, sie schützen sich mit einem Verteidigungshormon, dem Interferon. Krebszellen dagegen können diese Substanz nicht bilden. Deshalb sind sie selbst dem geschwächten Erreger hilflos ausgeliefert. Eine Vermehrung des Erregers außerhalb des Tumors sei deshalb nicht zu befürchten, glaubt auch Klaus Cichutek, der Präsident der Überwachungsbehörde. Das von ihm geleitete Paul-Ehrlich-Institut muss die Heidelberger Studie allerdings noch genehmigen.
    "Die klinische Prüfung wird von dem Paul-Ehrlich-Institut als unabhängiger Behörde vorab bewertet, und es wird sichergestellt, dass die Bedingungen so gewählt sind, dass ein mögliches Potenzial für den Patienten dabei herauskommt, aber auch die Risiken reduziert werden und begrenzt werden."
    In anderthalb Jahren, so Ungerechts, könne die Studie starten . Anschließend muss das Medikament noch in größeren, sogenannten Phase-2 und -3-Studien seine Wirksamkeit und Sicherheit beweisen. Bis das Mittel schließlich Patienten in der Klinik zur Verfügung steht, , schätzt er, werden noch fünf bis sechs Jahre vergehen.