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Online-Ausstellungen über "Charlie Hebdo"
"Wir wollen wir diese Karikaturen erläutern und kommentieren"

Mehrere Museen im deutschsprachigen Raum planen eine gemeinsame Online-Plattform, auf der sie Karikaturen von "Charlie Hebdo" in ihrem Kontext zeigen wollen. Denn viele Deutsche seien ja mit dem französischen Kulturraum und der Sprache nicht genug vertraut, um die Zeichnungen zu verstehen, sagte Gisela Vetter-Liebenow, Direktorin des Wilhelm Busch Museums in Hannover.

Gisela Vetter-Liebenow im Gespräch mit Michael Köhler | 16.01.2015
    Eine Person hält die Ausgabe der Zeitschrift "Charlie Hebdo" vom 7. Januar 2015 in Händen.
    Worauf spielen die Karikaturen an und wie sind sie entstanden? Das soll auf der Online-Plattform erklärt werden. (AFP / Bertrand Guay )
    Michael Köhler: Die wenigsten kannten das französische Satiremagazin "Charlie Hebdo", plötzlich nach den Anschlägen von Paris war es in aller Munde und damit das Thema Karikatur, ihre nationalen Eigenheiten und ihre Erregungs- und soziale Sprengkraft. Wir haben inzwischen gelernt, Antiklerikalismus und Antifeudalismus zählen dazu, Kritik an Kirche und König sind feste Bestandteile von solchen Magazinen, zumindest in Frankreich.
    Gisela Vetter-Liebenow ist Direktorin des Wilhelm Busch Museums in Hannover, und sie hat eine Idee. Ich habe sie gefragt: Sie planen eine Online-Schau, also Internet-Ausstellung über "Charlie Hebdo" nach den Anschlägen. Was ist Ihre leitende Frage, warum tun Sie das?
    Gisela Vetter-Liebenow: Von den Eindrücken dieses entsetzlichen Anschlags in der vergangenen Woche waren wir hier natürlich alle geschockt, begleitet durch die ganze Woche, und haben überlegt, wie gehen wir damit um, und haben dabei festgestellt, dass auch bei den Gesprächspartnern, die wir hatten, sehr wenige eigentlich wirklich wussten, was ist "Charlie Hebdo", wer sind die Zeichner, was sind die Karikaturen, die für diesen entsetzlichen Anschlag gesorgt haben. Und da wir als Museum ja die Aufgabe auch darin sehen, aufzuklären, Hintergründe aufzuzeigen, haben wir uns, um auch relativ zeitnah zu handeln, für diese Form der Online-Präsentation entschieden, um dort die Karikaturen von den Künstlern, die ums Leben gekommen sind, zu zeigen, um zu erläutern, in welchem Kontext sie entstanden sind, was ihr Ziel ist, und ein bisschen natürlich aber auch die Reaktionen abzubilden. Das heißt, wie haben andere Zeichner dann reagiert darauf, vieles hat man in Zeitungen gesehen, und wie sind überhaupt auch die Kommentare, wie sind sie auch weitergehend dann zu diesem Thema Meinungsfreiheit insgesamt.
    Köhler: Sie tun das nicht alleine als Wilhelm Busch Museum für Karikatur in Hannover, sondern mit anderen teilnehmenden Institutionen. Welche sind dabei?
    Vetter-Liebenow: Wir machen das mit den deutschsprachigen Karikatureinrichtungen im Museum für komische Kunst in Frankfurt, Karikatura Kassel, dem österreichischen Karikaturmuseum in Krems und dem Cartoonmuseum in Basel.
    Köhler: Gibt es eine eigene Website?
    Vetter-Liebenow: Jawohl, da wird es eine Website geben oder ein Online-Forum. Wir werden schauen, wie das technisch am einfachsten lösbar ist, dass man gegebenenfalls über einen Link auf die jeweiligen Websites der Museen dann entsprechend weitergeleitet wird.
    "Wir hoffen, dass wir das Ende März, im April spätestens schaffen"
    Köhler: Ab wann wird das verfügbar sein?
    Vetter-Liebenow: Wir wollen das schnellstmöglich jetzt im Frühjahr. Das heißt, es wird eine gewisse Vorbereitung brauchen, um das Material zusammen zu sichten und zu bearbeiten. Wir hoffen, dass wir das Ende März, im April spätestens schaffen.
    Köhler: Jetzt haben wir ein paar wesentliche Eckdaten-Fragen geklärt. Lassen Sie uns die Zeit nutzen, um noch ein paar inhaltliche Fragen zu erörtern. Es geht Ihnen ja nicht um eine politische Diskussion, wenn ich das richtig verstanden habe, über die Rückkehr der Religionen, oder die Debatte der Islamfeindlichkeit seit den 70er-Jahren, sondern die Frage, was ist Satire, was ist ihre Reichweite, und vor allem, warum kocht das jetzt wieder so hoch. Ist das so richtig?
    Vetter-Liebenow: Das ist richtig. Es geht wirklich darum, einfach die Karikaturen, die jetzt in der Diskussion sind, zu zeigen, und da viele ja auch des Kulturraums, in dem sie entstanden sind, nicht so vertraut sind, dass sie alle Anspielungen verstehen, oder der Sprache so mächtig sind, dass sie die auch doch manchmal sehr fordernde satirische Sprache verstehen, wollen wir diese Karikaturen erläutern, kommentieren und so verständlich machen, damit jeder sich ein eigenes Bild machen kann und sagen kann, ich kann diese Meinung zwar nicht teilen, aber ich halte sie für interessant oder diskussionswürdig, jedenfalls sich so informieren, dass man am Ende auch ein Bild davon hat, was diesen Anstoß und diesen Aufruhr verursacht hat.
    Köhler: Denn dass das eine politische Angelegenheit ist, merken wir in diesen Tagen, wenn der türkische Ministerpräsident sich nach wie vor darüber aufregt, oder wenn der türkische Präsident den deutschen Botschafter gleich einbestellt, wenn er von sich eine Karikatur in einem deutschen Schulbuch sieht. Zeigt ja, wie viel Sprengkraft so ein harmloses Medium wie die Karikatur nach wie vor zu haben scheint.
    Vetter-Liebenow: Die Karikatur schafft es doch schon immer wieder, auch den Finger in die Wunde zu legen und zu zeigen, dass die vielleicht nach außen gezeigte Harmonie und Freundlichkeit nicht unbedingt auch einer etwas kritischen Frage standhält, beziehungsweise dass wir uns vielleicht manche Fragen und manche Probleme nicht immer so vergegenwärtigen, die aber doch gären oder das politische Klima mitbestimmen. Und Karikaturen haben seit jeher es geschafft, dann wirklich da auch mal drauf hinzuweisen, und die empfindlichen Reaktionen zeigen, dass das nach wie vor einerseits wichtig ist und andererseits funktioniert.
    "Ich würde mich über eine rege Diskussion freuen"
    Köhler: Bis Sonntag zeigen Sie noch Ralf König, "Echte Kerle", ziemlich derbe Schwulencomics sind das zuweilen. Da regt sich heute bei uns offenbar niemand mehr auf. Fürchten Sie, dass Sie mit Protest zu rechnen haben, wenn Sie mit "Charlie Hebdo"-Ausstellungen in Frankfurt, Kassel, Hannover und anderen Orten online gehen?
    Vetter-Liebenow: Ich würde mich über eine rege Diskussion freuen und auch kritische Anmerkungen und weiterführende Diskussionen. Ich hoffe, dass genau das eigentlich auch eintritt, dass die Menschen sagen, vielleicht ist es gut, mal genauer hinzuschauen und sich zu informieren, als immer gleich dann auch entsprechend mit drastischeren Mitteln dagegen vorzugehen.
    Köhler: Wird das sozusagen eine Art fortgeschriebene Geschichte werden?
    Vetter-Liebenow: Wir werden sicherlich auch tatsächlich dann nicht jetzt mit einem Punkt eins schon sagen, das war's, sondern weiter sich entwickeln lassen und weitere Reaktionen mit einbinden, um auch letztlich auf eine Ausstellung vorzubereiten, die wir als Museum in Hannover dann für das kommende Jahr vorbereiten, wo wir sagen, wir müssen uns vielleicht mal grundsätzlich mit der Frage, was darf Satire, auseinandersetzen - vor unserer eigenen Geschichte, aber auch im Kontext anderer Traditionen, sei es in England oder in Frankreich.
    Köhler: Das sagt Gisela Vetter-Liebenow vom Wilhelm Busch Museum in Hannover zu einer Online-Plattform zu Charlie.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.