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Online-Überwachung
Richterbund sieht Gesetzes-Vorhaben positiv

Zugriff auf Smartphones und Tablets, Mitlesen von Nachrichten - heute wird im Bundestag über eine Verschärfung der Online-Überwachung entschieden. "Das ist eine Forderung, die die Strafverfolger seit langer Zeit schon erheben", sagte Sven Rebehn vom Deutschen Richterbund im Dlf.

Sven Rebehn im Gespräch mit Silvia Engels | 22.06.2017
    USB-Stick in einem Laptop
    Das Problem mit der verschlüsselte Kommunikation sei, dass Strafverfolger diese "nicht mehr mitverfolgen können", sagte Richter Rebehn im Dlf. (imago / Christian Ohde)
    Silvia Engels: Am Telefon ist Sven Rebehn. Er ist Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes. Guten Tag!
    Sven Rebehn: Guten Tag, Frau Engels.
    Engels: Wir haben es gerade gehört. Die Union sagt, durch den Richtervorbehalt gebe es genug Schutz für die Grundrechte, trotz dieser Gesetzesverschärfung. Stimmen Sie zu?
    Rebehn: Wir sehen das Vorhaben grundsätzlich positiv. Das ist eine Forderung, die die Strafverfolger seit langer Zeit schon erheben. Wir müssen technisch da auch auf die Höhe der Zeit wieder kommen. Die verschlüsselte Kommunikation hat in den vergangenen Jahren mehr und mehr um sich gegriffen und die Strafverfolger stehen dann einfach vor dem Problem, dass sie die Kommunikation nicht mehr mitverfolgen können.
    Sie können einerseits zwar auf Telefongespräche zugreifen, können SMS und E-Mails mitlesen. Sie können aber nicht auf WhatsApp oder auf Telegram zugreifen und das ist ein Zustand, der dann erhebliche Sicherheitslücken reißt, so dass wir das Vorhaben grundsätzlich begrüßen.
    "Wir werden nachsteuern müssen"
    Engels: Sind denn die Richter mit ihrer personellen und technischen Ausstattung überhaupt in der Lage, im Fall der Fälle schnell genug zu entscheiden, jawohl, hier ist eine Überwachung angemessen und hier nicht?
    Rebehn: Darauf wird ein Fokus liegen müssen im Vollzug des Gesetzes. Das haben Sie völlig richtig erkannt. Hier werden wir nachsteuern müssen. Ich bin schon der Meinung, dass die Justiz dann entsprechend ausgestattet werden muss, um diesen Richtervorbehalt auch mit Leben zu erfüllen, denn das ist eine ganz, ganz wichtige rechtsstaatliche Hürde, die hier eingebaut wurde. Wir haben zum einen einen Straftatenkatalog, der ist im Wesentlichen auf gravierende Straftatbestände beschränkt, und wir haben zum anderen das Erfordernis eines Richtervorbehalts, und dann ist es klar, dass der Richter sich auch mit der gebotenen Tiefe mit diesem schwerwiegenden Grundrechtseingriff befassen muss, um ihn dann auch zu billigen.
    Engels: Das heißt, verstehe ich Sie richtig: Bislang hätten die Richter nicht in der Praxis die Möglichkeiten, weil ihnen die technischen Voraussetzungen und auch einfach die Schnelligkeit fehlen?
    Rebehn: Man muss abwarten, was das Gesetz dann im Vollzug für Anforderungen aufwirft. Aber ich würde in der Tendenz schon sagen, dass man sich als Position, als Merkposition schon mal vormerken muss, dass bei der Justiz dann auch zusätzliches Personal eingestellt werden muss. Denn so eine Prüfung ist nicht im Schnellverfahren zu machen. Das wird einige Zeit erfordern, das auch mit der hinreichenden Sorgfalt und Seriosität dann zu beurteilen.
    Engels: Das heißt aber in solchen Fällen wie bei Gefahr im Verzug, wenn gerade auch vielleicht mitten in der Nacht ein solcher Überwachungsvorgang in Gang gesetzt werden soll, da würden Sie nicht mitgehen?
    Rebehn: Da würden wir auf jeden Fall mitgehen. In diesem Bereich der Richtervorbehalte muss es so sein, dass die Justiz dann auch durchgehend erreichbar ist. Da darf es dann nicht wegen Tag- oder Nachtzeit Rechtsschutzlücken geben. Das wäre dann eine Folge des Gesetzes, die wir auch mittragen würden. Aber da wollen wir natürlich auch personell so ausgestattet werden, dass nicht ein Kollege 24/7 das machen muss, sondern dass es auf mehrere Kollegen verteilt wird, so dass sie entsprechend in Schichten diese Kontrolle auch übernehmen können.
    Staatstrojaner nur mit Richtervorbehalt einsetzen
    Engels: Das heißt, die Bürger müssen sich keine Sorgen machen, dass irgendetwas da überwacht werden würde, ohne dass vorher ein Richter draufgeschaut hat?
    Rebehn: Das ist der Anspruch, den wir mit diesem Gesetz verbinden. Wir würden es nicht wollen, dass der Staatstrojaner jetzt eingesetzt wird, ohne dass ein Richter draufgeguckt hat, und das ist der Anspruch, den auch die Politik hat, und das ist auch das, was wir in den politischen Gesprächen zugesagt bekommen haben, dass es ausnahmslos mit Richtervorbehalt eingesetzt wird, und das ist der Anspruch, den alle miteinander einhalten müssen.
    Engels: Im Fall der Fälle wäre dieser Richtervorbehalt noch vor der Schnelligkeit, auch wenn man riskiert, dass man dann hier nicht schnell genug zugreifen kann?
    Rebehn: Das ist dann organisatorisch sicherlich so einzurichten, dass im Eilwege ein Richter sehr, sehr schnell erreichbar ist, denn Sie müssen bedenken, es geht ja hier um Terrorismus-Strafrecht. Da sind natürlich die Sicherheitsbehörden und auch die Strafgerichte hoch alarmiert und entsprechend personell so aufgestellt, dass sie sehr schnell reagieren können. Da müssen Sie sich, glaube ich, keine Sorgen machen, oder da muss die Bevölkerung sich keine Sorgen machen, dass es an der Erreichbarkeit des Richters hapert. Das wird definitiv nicht so sein.
    Verfahren solle heute im Bundestag beschlossen werden
    Engels: Herr Rebehn, Sie haben zu Beginn unseres Gespräches das Vorgehen dieses neuen Gesetzes grundsätzlich begrüßt. Begrüßen Sie denn auch, dass nun diese Möglichkeit auf so viele, nämlich über 30 Straftatbestände ausgeweitet wird, nicht mehr nur Mord und Entführung und Terroranschlag, wie es ja jetzt schon in Rede stand, sondern auch Bandenkriminalität, Drogenvergehen, Geldfälschung? Kommt man da nicht in einen zu weiten Bereich?
    Rebehn: Das wird im Zuge der Evaluation dann sicherlich genau zu prüfen sein. Das Verfahren ist ja jetzt so weit fortgeschritten, dass es heute im Bundestag beschlossen werden soll, so dass man in dem laufenden Verfahren das sicherlich nicht mehr anhalten kann. Aber das ist ein Punkt, wo wir auch als Richterbund noch mal sehr genau draufschauen werden, ob die Straftatbestände, die da drin sind, überbordend sind, oder ob wir sagen, das sind Deliktsfelder, die es auch rechtfertigen, einen so tiefgreifenden Eingriff vorzunehmen. Es ist in Ihrem Bericht ja auch angeklungen, dass das Gesetzgebungsverfahren dann etwas holterdipolter lief. Das ist etwas, was wir auch sehr bedauern. Da hätte man mit etwas mehr Ruhe und etwas mehr Sorgfalt – ich will nicht sagen, dass das jetzt unsorgfältig gemacht ist, aber die fehlende Zeit führt immer dazu, dass Vorschriften sehr schnell zusammengestöpselt werden, und da mag es so sein, dass man, wenn das neue Gesetz vorliegt, direkt schon wieder rangehen muss, um zu gucken, sind die Straftatbestände, die da drin sind, in Ordnung, wobei ich auch betonen möchte, dass das Gesetz auch differenziert:
    Die laufende Telekommunikation ist unter etwas geringeren Hürden mit abrufbar, abgreifbar, auch wenn sie verschlüsselt ist. Sobald es aber um einen Zugriff wirklich auf das Smartphone selbst geht, auf dort abgelegte Chat-Protokolle, also auf Daten, die in der Vergangenheit liegen, greift ein noch engerer Straftatenkatalog, der angelehnt ist an den Katalog der Wohnungsdurchsuchung, und das ist wirklich der engste Katalog, den wir im Strafgesetzbuch oder in der StPO auch kennen. Insofern glaube ich schon, dass jetzt nicht leichtfertig mit freier Hand diese Straftatbestände aufgeschrieben wurden, aber darauf muss ein Augenmerk liegen, in der praktischen Anwendung zu schauen, ufert das aus, oder müssen wir hier reduzieren.
    Abwägung zwischen Strafverfolgungsinteresse und der Privatsphäre des Einzelnen
    Engels: Da muss ich noch mal nachhaken. Würden Sie dann in der Praxis einfach bei den Straftatbeständen, die Sie als nicht angemessen sehen, auch sagen, nein, diese Genehmigung geben wir nicht? Damit würden Sie doch gegen ein Gesetz dann verstoßen.
    Rebehn: Nein, da würden wir nicht gegen ein Gesetz verstoßen, sondern das ist ja der Sinn des Richtervorbehalts zu gucken, in der Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse und dem Grundrechtsschutz des Einzelnen zu schauen, ob jetzt diese Maßnahme angemessen ist, ob die zu rechtfertigen ist, und da mag es auch durchaus so sein, dass der Richter im Einzelfall sagt, nein, dieser Straftatbestand oder das in Rede stehende Delikt ist hier nicht schwerwiegend genug, um einen so tiefgreifenden Eingriff in die Privatsphäre und in die Persönlichkeitsrechte zu rechtfertigen, hier genehmige ich diese Maßnahme nicht.
    Engels: Das heißt, ob nun diese über 30 neuen Straftatbestände hier angewendet werden, das wollen wir erst mal sehen?
    Rebehn: Ganz genau so meinte ich es und das meinte ich auch mit Evaluation. Die Justizpraxis wird dann ja zeigen, welche Straftatbestände in der Regel auch zur Anwendung gelangen können, und wenn man hier mehrfach zu der Erkenntnis kommt, dass wegen Straftatbeständen eine Maßnahme angeordnet werden sollte, die dann nicht durchgegriffen hat, weil der Richter Bedenken hatte, ist der Gesetzgeber sicherlich klug beraten, dann den Straftatbestandskatalog wieder zu kürzen.
    Engels: Das Bundesverfassungsgericht – wir haben es gehört – hat 2008 gesagt, der Bundestrojaner darf nur bei Schützung eines überragend wichtigen Rechtsguts greifen. Wird dieses Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben?
    Rebehn: Das ist natürlich eine schwierige Frage, die Sie mir da stellen. Ich bin da immer etwas vorsichtig, Gerichtsentscheidungen zu prognostizieren. Wenn es jetzt tatsächlich um den klassischen Fall der kleinen Online-Durchsuchung geht, wenn man auch auf die Smartphones drauf möchte, um dort hinterlegte Daten, Chat-Protokolle und so was abzurufen, da hat man sich nun in dem Gesetz schon an dem Katalog des 100c StPO, die Wohnungsdurchsuchung orientiert. Das ist der engste Katalog, den wir zu bieten haben. Insofern spricht einiges dafür, dass das halten könnte. Aber das jetzt tatsächlich heute scharf zu prognostizieren, das wäre von mir wirklich zu viel verlangt.
    Engels: Sven Rebehn, der Bundesgeschäftsführer des Deutschen Richterbundes, heute im Deutschlandfunk. Vielen Dank für Ihre Zeit.
    Rebehn: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.