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Opel-Aus in Bochum
"Hohes Maß an Ungerechtigkeit"

Für den Bochumer SPD-Bundestagsabgeordneten Axel Schäfer sind die Opelaner im geschlossenen Werk in Bochum Opfer nicht eingehaltener Versprechen des Mutterkonzerns General Motors. Die Lasten seien nicht gleichmäßig auf die Standorte verteilt worden, sagte Schäfer im DLF. Die Mitarbeiter stünden nun vor großen Veränderungen.

Axel Schäfer im Gespräch mit Christoph Heinemann | 05.12.2014
    Der SPD-Fraktionsvize und Sprecher der NRW-Landesgruppe Axel Schäfer
    "Bochum bleibt die Mitte des Ruhrgebietes," meint Axel Schäfer - auch ohne Opel. (SPD-Pressefoto)
    Die Entscheidung zur Schließung, die zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften in Bochum vereinbart wurde, hätten lediglich die Belegschaften der anderen Standorte in Deutschland für richtig gehalten. "Die Belegschaft in Bochum hat das nicht unterstützt", unterstrich Schäfer.
    Auffangmaßnahmen für Opelaner geplant
    Im Hinblick auf die Zukunft der Bochumer Opelaner sagte Schäfer, der Bundestagsabgeordneter des Wahlkreises Bochum I ist, dass schwere Umstellungen bevorstünden. "Wir werden alles tun, dass es Qualifizierungsmaßnahmen und Alternativen in der Beschäftigung gibt", dennoch räumte er ein, dass die Werksschließung keinesfalls 1:1 auffangbar sei. Es werde "Verwerfungen für den Einzelnen" geben. Diese würden durch entsprechende Entschädigungen ausgeglichen. "Einige wenige können in Rüsselsheim arbeiten", so Schäfer. Dort hat Opel ein weiteres Automobilwerk. Vonseiten der Arbeitsagenturen gebe es Vorbereitungen. Das Opel-Gelände solle zudem weiterentwickelt werden. Es werde aber ein schwieriger Prozess werden, "den der Staat nicht allein stämmen kann". Das sei nur mit Arbeitgebern und den Gewerkschaften leistbar.
    Schäfer wies zurück, dass die Region zu lange auf Kohle und Stahl gesetzt hätte. Die Region sei schon länger im Wandel zu einer Dienstleistungsgesellschaft. Im Gegensatz zu Bayern, das sich in den letzten 40 Jahren vom Landwirtschaftssektor zum Industriestandort gewandelt habe, hätte das Ruhrgebiet mit anderen Voraussetzungen umzugehen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Herbert Grönemeyers Liebeserklärung an eine Schönheit, bei der die Zeit und die Industriegeschichte Falten hinterlassen haben: Bochum im Ruhrgebiet. Heute kommt eine weitere Schleifspur hinzu, denn nach rund 52 Jahren Autoproduktion werden die Fließbänder im Bochumer Opel-Werk endgültig zum Stillstand gebracht. Der letzte Opel Zafira ist bereits vom Band gerollt, und dabei war Opel einst einer der führenden Autohersteller der Republik.
    In der Ruhrgebietsstadt bleibt nur ein Ersatzteillager mit etwa 700 Arbeitsplätzen zurück und 3.300 Menschen plus Familien stehen kurz vor Weihnachten vor einer ungewissen beruflichen Zukunft. - Am Telefon ist Axel Schäfer, Bundestagsabgeordneter der SPD. Sein Wahlkreis ist der mit der Nummer 140, das ist Bochum I, direkt gewählt. Guten Morgen.
    Axel Schäfer: Einen schönen guten Morgen.
    Heinemann: Herr Schäfer, was ist Bochum ohne Opel?
    Schäfer: Bochum bleibt die Mitte des Ruhrgebietes und eine lebendige, zukunftsausgerichtete Stadt.
    Heinemann: Auch ohne Opel?
    Schäfer: Auch ohne Opel.
    Heinemann: Wie verdaut man den Aderlass?
    Schäfer: Ja, wir sind dabei, ihn zu verdauen. Wir haben ja BP Aral als Sitz gehalten. Wir haben Annington als zukünftiges größtes Wohnungsunternehmen in Deutschland, das zweitgrößte in Europa. Und vor allen Dingen: Wir haben jetzt mit einer Universität und sieben Hochschulen insgesamt 54.000 Studierende. Das ist mehr als Düsseldorf, als Bonn, als Münster. Und wir sind mittlerweile einer der wichtigsten Hochschulstandorte in Deutschland geworden, auch ein Ergebnis des Strukturwandels.
    Produktionsverlagerung nach Polen: "Hohes Maß an Ungerechtigkeit"
    Heinemann: Herr Schäfer, über Opels Probleme mit General Motors, mit dem Mutterkonzern, haben wir gerade berichtet. Im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg wurde ja über eine Verlagerung der Zafira-Produktion entschieden. Wir wollen uns anhören, was der polnische Verteidigungspolitiker Janusz Zemke dazu in einem Zeitungsinterview gesagt hat:
    "Ohne das Kompensationsgeschäft im Rahmen der Rüstungsbeschaffung wäre die Produktion des Opel Zafira nicht von Deutschland nach Polen verlagert worden. Wir rechnen damit, dass dadurch bis zu 4.000 Menschen in Polen Arbeit finden werden."
    Heinemann: Schön für Polen, schlecht für Bochum. Sind die Bochumer Opelaner Opfer dieses Waffengangs geworden?
    Schäfer: Das ist eine Spekulation. Die Bochumer sind auf alle Fälle Opfer dessen geworden, dass man im Konzern, aber auch in Deutschland sich nicht daran gehalten hat, was man vereinbart hatte, nämlich dass man die Lasten gleichmäßig zwischen den Standorten verteilt, sondern es ist jetzt ein Standort geschlossen worden, und das ist natürlich auch ein hohes Maß an Ungerechtigkeit.
    Heinemann: Warum hat es Bochum getroffen?
    Schäfer: Offiziell war das ausgehandelt worden zwischen den Beteiligten auf Arbeitgeber- und auf Arbeitnehmerseite. Aber die Belegschaft hier in Bochum hat das nicht unterstützt. Die Belegschaften in den anderen Städten haben das für richtig gehalten.
    Heinemann: Herr Schäfer, was bedeutet es für einen erfahrenen Opelaner, wenn er nach Jahrzehnten als Autobauer jetzt in eine Transfergesellschaft überführt wird oder in einem Ersatzteillager arbeiten muss oder arbeiten darf?
    Schäfer: Ja, es bedeutet erst einmal: Die Automobilproduktion, auch das, wo man sich täglich mit identifiziert hat, einziger Automobilstandort im Ruhrgebiet überhaupt, einer der wenigen in Nordrhein-Westfalen, geht zu Ende, und es gibt schwere Umstellungen und natürlich auch Verwerfungen für den Einzelnen. Es wird natürlich Gott sei Dank auch aufgefangen durch entsprechende Entschädigungen auch. Es gibt für einige wenige die Möglichkeit, auch in Rüsselsheim zu arbeiten. Und wir werden jetzt alles tun, dass es Qualifizierungsmaßnahmen und Alternativen auch an der Beschäftigung gibt. Aber das wird insgesamt eins zu eins auf keinen Fall möglich sein.
    "Wandel führt auch immer wieder zu Verwerfungen"
    Heinemann: Die Montanindustrie hat jahrzehntelang im Ruhrgebiet verhindert, dass sich andere Industrien ansiedeln konnten, aus Angst vor fehlenden Arbeitskräften. Und auch die Politik, so hört man wieder und kann auch lesen in diesen Tagen, hat zu lange auf die Montanindustrie gesetzt. Was ist industriepolitisch im Ruhrgebiet falsch gelaufen?
    Schäfer: Das ist ja nur die halbe Wahrheit. Opel ist 1962 angesiedelt worden. Es gibt eine Reihe von anderen wichtigen Ansiedlungen. Und es gibt vor allen Dingen den Wandel zu einer Dienstleistungsgesellschaft, also Industriegesellschaft plus Dienstleistungsgesellschaft. Das, was wir hier erlebt haben im Ruhrgebiet und weiterhin erleben, findet in vielen Industriemetropolen Europas statt. Bei uns ist das immer noch am besten gelungen. Aber es ist immer wieder aufs Neue ein schwieriger Prozess, den der Staat alleine nicht stemmen kann. Das geht nur partnerschaftlich mit Unternehmen, auch natürlich in enger Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften, und wir haben damit, glaube ich, eine ganze Menge auch erreicht. Wir sind immer noch hoch attraktiv. Das werden auch alle Wirtschaftsforscher bestätigen. Aber der Wandel führt auch immer wieder zu Verwerfungen.
    Heinemann: Haben die Landesregierungen in Düsseldorf zu lange auf Kohle und Stahl gesetzt?
    Schäfer: Nein. Schon 1966, als Sozialdemokraten an die Regierung kamen, haben wir schon diesen Strukturwandel mit großer Verve, auch mit viel Geld vorangetrieben. Wir sind heute die dichteste Hochschullandschaft Europas. Wir sind ein exzellenter Standort für Wissenschaft und wir sind auch weiterhin hoch attraktiv, was Kultur, Schauspiel, Museen und so weiter anbelangt.
    Heinemann: Mag sein, Herr Schäfer. Aber in Baden-Württemberg finden Sie, fast in den Dörfern, in den Kleinstädten sind Weltmarktführer aufgestellt, kleinere und mittelständische Unternehmen. Das alles sucht man im Ruhrgebiet vergeblich.
    Schäfer: Wir sind weiterhin der Sitz von DAX-Unternehmen. Wir haben auch das, was Sie angesprochen haben, im Ruhrgebiet. Aber es ist halt eine andere Entwicklung gewesen. Es ist, wie Sie zurecht beschrieben haben, von der Montanindustrie ein großes Stück weit weg, und das, was man an die Stelle setzt, ist halt schwieriger zu gewinnen. Das haben wir gesehen, zum Beispiel Bayern, ein eher agrarisch geprägtes Land, zu einem Industriestaat zu machen, übrigens mit viel, viel Geld über Jahrzehnte hinweg aus dem Ruhrgebiet. Auch das gehört zu den Wahrheiten, die heute sehr oft vergessen werden.
    Heinemann: Dann haben es die Landesregierungen im Süden irgendwie besser gemacht?
    Schäfer: Nein, die haben es nicht besser gemacht. Es waren andere Voraussetzungen, es war eine andere Entwicklung. Nordrhein-Westfalen hat an Bayern 38 Jahre lang im Rahmen des Bund-Länder-Finanzausgleiches gezahlt. Auch das wird heute überhaupt nicht mehr erwähnt, wenn man über Erfolge der Länder im Süden der Republik redet.
    "Wir haben ganz viel getan, um das Werk innovativ zu halten"
    Heinemann: Bayern zahlt heute zurück. - Herr Schäfer, die Bochumer Opelaner sind im Schnitt etwa 50 Jahre alt und über 20 Jahre lang im Betrieb. Welche Vermittlungschancen - Sie haben eben ein paar genannt, Rüsselsheim und so weiter - hat das Gros dieser Menschen auf einem Ruhr-Arbeitsmarkt mit überdurchschnittlich hoher Arbeitslosigkeit?
    Schäfer: Natürlich gibt es erhebliche Vermittlungsschwierigkeiten insgesamt. Es gibt auf der anderen Seite seitens der Arbeitsagentur entsprechende Vorbereitungen. Es gibt eine gute Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land und Bund, dass man dieses Gebiet, dieses Gelände, auf dem Opel bisher noch ist, dass das weiterentwickelt wird, und wir werden einfach im Laufe jetzt der Zeit sehen, wie viele vermittelt werden, wie viele keine Chance mehr in Zukunft haben. Es ist zahlenmäßig noch nicht auszumachen.
    Heinemann: Vor 25 Jahren war ganz Ostdeutschland Bochum. Da wurden überall Betriebe platt gemacht, umgerüstet, viele Menschen verloren ihre Arbeit. Haben Sie Verständnis dafür, wenn jetzt mancher Hörer, manche Hörerin im Osten sagt, Mensch, stellt euch nicht so an?
    Schäfer: Wir stellen uns ja überhaupt nicht an. Wir haben ganz, ganz viel getan, um dieses Werk innovativ zu halten. Die Entscheidung der Schließung ist ja nicht erfolgt, weil wir in Bochum schlecht arbeiten, sondern das war eine Konzernentscheidung, erst in Detroit und dann hier in Deutschland, und das ist schon etwas anderes als der Prozess der Vereinigung Deutschlands nach 1989.
    Heinemann: Axel Schäfer, Bundestagsabgeordneter der SPD. Sein Wahlkreis ist Bochum I. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Schäfer: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.