Donnerstag, 28. März 2024

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Open-Air-Galerie "Inside Australia"
Kunst im Salzsee des westaustralischen Outbacks

In Westaustralien, mitten im Outback, auf dem Lake Ballard befindet sich eine der größten Open-Air-Galerien der Welt: "Inside Australia" sind 51 lebensgroße Skulpturen aus Metall, die sich über einen riesigen Salzsee verteilen. Geschaffen hat sie der renommierte britische Bildhauer Antony Gormley.

Von Michael Marek | 08.05.2016
    Der britische Bildhauer Anthony Gormley.
    Der britische Bildhauer Anthony Gormley. (picture alliance / dpa / Yuri Belinsky)
    Stille. Um den Lake Ballard herum breitet sich die rostrote Erde des Outback aus. Über der schlierig weißen Salzkruste des ausgetrockneten Sees flirrt das Sonnenlicht. Vom Ufer aus erkennt man verschwommen schmale Gestalten. Der britische Schauspieler Ian McKellen:
    "Das ist eines der großartigsten Kunstwerke, das ich je gesehen habe. Ein wunderbares Erlebnis, hier draußen zu sein. Und ich kann nur jedem empfehlen, sich das einmal selber anzuschauen."
    Wie dunkle Striche wahllos verteilt stehen die Figuren einsam und verloren in der ungeheuren Weite des Lake Ballard. Wanderer nähern sich der ersten Figur in Ufernähe. An ihren Stiefeln klebt der rote Lehm des Bodens.
    "Es ist unglaublich, so etwas fern der Zivilisation zu finden. Die Skulpturen sind ein Symbol für Abgeschiedenheit und Schönheit. Ich würde gerne länger hier bleiben."
    Surreal und unerwartet, so etwas in dieser menschenleeren Gegend zu finden, sagt Kunstlehrerin Margret, die extra aus der Hauptstadt Canberra angereist ist. "Inside Australia" heißt das Kunstwerk. Der britische Bildhauer und Turner-Preisträger Antony Gormley hat es geschaffen: 51 schwarze Plastiken menschlicher Körper, verschmälert auf ein Drittel ihres Körpervolumens – so, als sei die Luft aus einem Ballon entwichen oder als seien die Leiber ausgetrocknet. Verteilt stehen sie auf einem Gebiet von zehn Quadratkilometern.
    Für die Figuren standen die Einwohner Pate
    Als Material wählte Gormley eine Edelstahllegierung aus Eisen, Chrom, Nickel, Molybdän, Vanadium und Titan, allesamt Metalle, die auch im australischen Outback abgebaut werden, erklärt Beverly Golding. Die Mittvierzigerin arbeitet in Menzies Gemeindezentrum und leitet dort das örtliche Tourismusbüro:
    "Die Figuren sehen wie Aliens aus. Aber tatsächlich standen die Einwohner unserer kleinen Stadt Pate. Gormley hat sie mit einem 3-D-Laser gescannt, ihre Form in Plastiken gegossen und verkleinert. Man kann zum Beispiel eine schwangere Frau erkennen und Kinder. Aber sonst weiß man nicht, um wen es sich handelt."
    Die meisten Bewohner Menzies hielten das Ganze zunächst für eine Schnapsidee. Und nicht jeder war davon begeistert, sich für den 15-sekundigen Scan nackt auszuziehen, sagt Beverley. Es habe eine Menge Gespräche, Barbecues und Drinks gebraucht, um die Leute davon zu überzeugen, die Hüllen fallen zu lassen. Aber am Ende haben sie alle mitgemacht: vom Minenarbeiter bis zum Cafébesitzer, vom Teenager bis zum Rentner, Weiße wie Aborigines:
    "Inside Australia ist vor allem ein spirituelles Erlebnis. Die Aborigines waren von der Idee sofort begeistert und haben Gormley unterstützt. Und er hat ihre Fantasie angeregt."
    Sagt Justin Lee. Der Endvierziger hat ein Café in Menzies einziger Hauptstraße. Er nennt es augenzwinkernd "Erreichbares Outback". Drinnen steht ein halbes Dutzend Leute für Kaffee und Kuchen an, während Justin an der italienischen Espressomaschine hantiert. Auch Antony Gormley war hier: "Inside Australia" ist seine Auseinandersetzung mit den Menschen und der Landschaft:
    "Meine Landschaftsinstallation ist eine Art Meditation, zu der ich die Besucher einlade. Es geht mir um das Verhältnis von menschlicher Identität und Ort: Wer wir sind, woher sind wir gekommen, wohin werden wir gehen? Es geht mir um die Beziehung des Menschen zu seinem Planeten als Ganzes."
    Zeitgenössische Land-Art weit ab der Metropole: Westaustraliens Hauptstadt Perth liegt 780 Kilometer entfernt. Von Kalgoorlie, der nächstgelegenen ernst zunehmenden Stadt mit Flugplatz, sind es 130 Kilometer in das fast menschenleere Örtchen Menzies. Von der Hauptpiste, auf der gelegentlich einer der Roadtrain genannten Riesenlaster vorbeidonnert, beladen mit Erzen, Ersatzteilen, Tanker mit drei Anhängern, über 50 Meter lang, müssen Touristen und Kunstliebhaber noch einmal 51 Kilometer bis zum Lake Ballard zurücklegen.
    "Menschen aus der ganzen Welt kommen zu uns zum Lake Ballard und nach Menzies. Wir sind eine der Top-Adressen in Westaustralien, ein magischer Ort – vor allem bei Sonnenaufgang oder -untergang. Das Licht verändert die Statuen in ihrem Aussehen."
    Flache Savannenlandschaft
    Das Outback ist eine flache Savannenlandschaft: Nur hin und wieder ragen schlanke Eukalyptusbäume auf, ansonsten Mulgabüsche und Spinifexgras, das die rote Erde sprenkelt, dazu Salzseen und Senken, in denen sich gelegentlich Regenwasser sammelt. Was sich an Hügeln in der Landschaft aufwellt, ist fast immer künstlich: kilometerlange Höhenzüge aus dem Abraum der Minen, neu bepflanzt oder noch kahl, dahinter tiefe Löcher, aus denen Bulldozer das Erz für eine der Minengesellschaften geschaufelt haben.
    1893 hatte der irische Auswanderer Paddy Hannan hier durch Zufall einen Goldklumpen entdeckt. Wie Heuschrecken fielen Zehntausende Goldsucher und Glücksritter in die unwirtliche Gegend ein. In wenigen Jahren durchlöcherten sie die Region mit ihren Schächten und Stollen wie einen Schweizer Käse. Damals nahmen die Goldsucher keinerlei Rücksicht auf die Natur und die Aborigines, die australischen Ureinwohner. Geblieben ist bis heute die Hoffnung vieler Weißer, durch das Gold reich zu werden. Die Aborigines sind die einzigen, die sich vom Schein der Edelmetalle nicht haben blenden lassen.
    "Die Australier, besonders die Aborigines, haben ein Bewusstsein von unserem Planeten. Sie wissen um die Beschaffenheit der Erde in einer Art und Weise, die ich nirgend woanders auf der Welt gefunden habe."
    Den Aborigines vom Volk der Wangkathaa hatte "Inside Australia" von Anfang an gefallen. Antony Gormley verhandelte mit ihnen, bekam ihre Unterstützung und auch die Zustimmung, ihren heiligen Berg, den Snake Hill, nutzen zu dürfen.
    Aber: Sie sind die großen Verlierer der Goldförderung, damals wie heute. Sie wurden vom Ansturm der Goldsucher geradezu überrannt. Unterdrückung, Rassismus, Benachteiligung, Zwangsadoptionen, soziale und kulturelle Entwurzelung folgten der Ankunft des weißen Mannes.
    Heute wird ihr Lebensunterhalt vom Staat hoch subventioniert. Ihnen, die ihr Land für heilig und daher unantastbar halten, wird so ihr Stillhalten bei der Goldgewinnung abgekauft. Selbst in den kleinen Gemeinden bekommt man sie kaum zu Gesicht, auch in Menzies nicht. Die ehemalige Boomtown ist zu einem verschlafenen Nest geschrumpft: Die breite Hauptstraße ist selbst tagsüber so leer, als versteckten sich die Leute vor einem Showdown verfeindeter Banden. Mit nur noch 120 Bewohnern steht der Ort an der kritischen Grenze zum Überleben.
    Für Gormley ist Eisen das Blut der Erde. Und nirgendwo ist dies augenfälliger als im Outback, wo die Schönheit und Erhabenheit der Landschaft mit der Erkenntnis einhergehen, dass die Ressourcen der Natur immer schneller zu erschöpfen drohen – fast so, als blute die Erde aus. Denn seit über 100 Jahren hat der Bergbau hier absolute Priorität – ohne Rücksicht auf die Natur. Überall in Westaustralien erheben sich Steinhaufen und Erdplateaus, die von Weitem wie Hügel aussehen. Beim Näherkommen zeigt sich, dass hier schon jemand den Boden umgewühlt hat – auf der Suche nach Gold oder anderen Bodenschätzen.
    "Der Granitfels unter dem Lake Ballard ist vor etwa 3,5 Milliarden entstanden. Das Gebiet umfasst eine der größten und ältesten intakten Oberflächen der Erde. Wenn ich dort bin, fühle ich großen Respekt und wie unbedeutend der Mensch ist. Heute leben wir in Großstädten dicht beieinander, und zugleich haben wir uns weit voneinander entfernt."
    "Inside Australia" ist ein kühner Versuch: Dabei besticht die Idee, 51 Figuren auf einem ausgetrockneten Salzsee fern der Zivilisation zu installieren, weniger durch die logistische Herausforderung, als durch den Reiz, fernab des Museumsbetriebs in einer bedrohten Naturlandschaft so etwas aufzustellen.