Freitag, 29. März 2024

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Oper auf Englisch

Gerald Finley heißt der in London ansässige kanadische Bariton, den man seit seinen ersten Auftritten in Salzburg, Berlin und, letztes Jahr in Schwetzingen, auch bei uns immer besser kennenlernt. Diese neue Platte ist allerdings in erster Linie für seinen Heimatmarkt gemacht und erschienen in einer dort sehr renommierten Reihe.

Eine Sendung von Johannes Jansen | 06.06.2010
    Richard Wagner, Arie des Hans Sachs "Verachtet mir die Meister nicht" (Do not disdain our Masters thus) aus: 'Die Meistersinger von Nürnberg', CD Track 10

    "...zerging' in Dunst das Heil'ge Röm'sche Reich, uns bliebe gleich die heil'ge Deutsche Kunst" – Hans Sachsens Festwiesenansprache auf Englisch anhören zu müssen, lässt Wagnerianer womöglich erschaudern. Aber auch sie werden konzedieren müssen, dass hier meisterlich gesungen wird.

    Gerald Finley heißt der in London ansässige kanadische Bariton, den man seit seinen ersten Auftritten in Salzburg, Berlin und, letztes Jahr in Schwetzingen, auch bei uns immer besser kennenlernt. Diese neue Platte ist allerdings in erster Linie für seinen Heimatmarkt gemacht und erschienen in einer dort sehr renommierten Reihe, deren Titel man diesseits des Ärmelkanals freilich auch als Warnhinweis verstehen kann: 'Opera in English', 'Carmen' inbegriffen. Aber riskieren wir's doch mal und folgen ihm, der seine Fans schließlich noch nie enttäuscht hat, und sei es nur um festzustellen, dass Finleys 'Great Operatic Arias' mit Mainstream weniger zu tun haben, als es zunächst den Anschein hat. Im Studio begrüßt Sie Johannes Jansen.

    "I was a confirmed ice-hockey-fanatic when I was growing up, I miss it terribly. I started off as a youngster playing football and made those things, I played squash with my father a lot and I play a little bit with my boys as well, so we are trying to keep that going. Swimming I don't do as much as I should but I will do that. So there are lots of physical activities ... Swimming was certainly a big part of my initial training, I used to swim length under water to try to increase my breath control."

    Schon in der Sprechstimme verrät sich die vom Schwimmsport gestählte Kehle, Hockeyfan ist er auch, Tierliebhaber – ein Holzfällerhemd, und der Klischee-Kanadier wäre perfekt. Das Naturburschenhafte verliert sich freilich schnell, wenn man Finley gegenübersteht. Ein stattlicher Kerl ist er ja, aber kein Hüne, und auch auf der Bühne gibt er nicht den Stimmriesen, der durchaus in ihm steckt, sondern zeigt sich als kultivierter, geschmeidiger Gestalter. Das macht ihn zum gegenwärtig wohl begehrtesten Mozart-Bariton. Bei uns noch wenig bekannt ist er als einfühlsamer Liedinterpret – aber auch das Heldische liegt ihm. Unter den Sängern seiner Generation macht ihn seine enorme Wandlungsfähigkeit zur Ausnahmeerscheinung, mag auch in den ihm zugänglichen Repertoirebereichen noch manches brachliegen, vor allem im Verdi- und Wagner-Fach. Immerhin, den alten Germont hat er in einer Londoner 'Traviata' gesungen, den Jago konzertant in New York, mit Boccanegra liebäugelt er. Herangetastet hat er sich auch an Scarpia und, wie gehört, an Wagners Sachs. Hier ist sein Wolfram, ebenso stimmschön und charaktervoll, wenn man akzeptiert, dass die vom stolzen Eichwald umgrünte Wartburghalle nicht im Herzen Thüringens, sondern in Sherwood Forest liegt...

    Richard Wagner, Arie des Wolfram "Blick' ich umher in diesem edlen Kreise" (Turning my gaze upon this proud assembly) aus: 'Tannhäuser', CD Track 5

    Darf man Wagner so "verundeutschen"? Kein Opernfreund wird diese Frage freiheraus bejahen, doch ist es noch nicht lange her, dass es durchaus üblich war, Wagner in fremde Bühnensprachen zu übersetzen; die Verbreitung seiner Werke hat davon sehr profitiert. Und wer verschmähte Aufnahmen von Maria Callas, weil sie Isolde italienisch sang? International beachtete Wagner-Produktionen wie der sogenannte Goodall-Ring waren englischsprachig, und noch immer entspricht es gutem Brauch an Häusern wie der English National Opera, der Komischen Oper in Berlin oder dem Münchner Gärtnerplatztheater, Opern in der Landessprache aufzuführen, auch wenn es nicht die Originalsprache des Librettos ist. Großer Vorteil: keine Genickstarre durch dauerndes Hochschauen auf die Übertitelung. Vollkommen müßig wird die Diskussion im Falle von Carl Maria von Webers 'Euryanthe', die schon bei der Uraufführung als Musterbeispiel eines missratenen Textbuches galt: Welchen Schaden sollte da eine Übersetzung anrichten, zumal es Webers eigener Theaterpraxis entsprach, fremde Opern einzudeutschen, seinen für London bestimmten 'Oberon' aber selbstverständlich auf Englisch abzuliefern? Hören Sie Gerald Finley als wutschnaubenden Lysiart im wilden Skalenritt hinauf- und hinab bis an die Grenzen schwarzer Bass- und gleißender Tenorregionen. Auch dort, wo die Gesangsmuskeln hörbar gefordert sind, strahlt uns eine kerngesunde Stimme an, obwohl Finley vor gar nicht langer Zeit das Sängerschicksal einer ernsten Stimmkrise ereilte. Inzwischen sitzt wieder jedes Detail, wohlgestaltet auch im heftigen Affekt.

    Carl Maria von Weber, Arie des Lysiart "So weih' ich mich den Rachgewalten" (I swear by all within my power) aus: 'Euryanthe', CD Track 2, Dauer: ca. 3'00

    "So weih' ich mich den Rachgewalten" – Gerald Finley kehrt den Bösewicht heraus, ohne dass ihm auch nur ein Ton im Hals verrutscht, wie es ähnlich großen Stimmen fast unweigerlich geschieht, wenn sie sich an Carl Maria von Webers schauerromantischer Meisterarie versuchen. Wenn auch bei Finley zur absoluten Perfektion noch etwas fehlt, dann ist es ein minimaler Rest, gerade soviel, dass uns sein Singen nicht ganz und gar unheimlich wird. Es ist beherrscht und zugleich frei (auch von falschen Schluchzern) und eben dadurch so erschütternd 'echt', dass einen seine Darstellungen gebrochener Charaktere im Innersten berühren. Zum Beispiel Robert Oppenheimer alias 'Doctor Atomic', Finleys Paraderolle seit der Uraufführung in San Francisco im Jahr 2005. "Batter my heart", das Klang gewordene Kammerflimmern eines Menschenherzen vor der drohenden Selbstauslöschung ...

    John Adams, Arie des Oppenheimer "Batter my heart" aus: 'Doctor Atomic', CD Track 3, Dauer: ca. 3'20

    Was Tenöre können, können nur Tenöre!? Finley liefert den Gegenbeweis. Komponist John Adams lässt ihn wie aus vor Angst fast zugeschnürter Kehle Barockverse von John Donne rezitieren. Man hört die seelische Anspannung und auch die prekäre Stimmlage, aber nicht den leisesten Kiekser oder Krächzlaut. Der Erfolg dieses 'Doctor Atomic' wird mit Finleys Namen ebenso verbunden bleiben wie 'The Silver Tassie' von Mark-Anthony Turnage – eine weitere englischsprachige Gegenwartsoper, deren Hauptrolle er kreierte.
    Finleys Engagement fürs Zeitgenössische verleiht dieser neuen Platte einen ganz besonderen Akzent. Der eingangs geäußerte Verdacht kommerzieller Anbiederung ans Wunschkonzert-Repertoire und -Publikum wird so zumindest teilweise zerstreut. Aber ein Englisch singender Escamillo, muss das sein? Es erklärt sich aus der Geschichte dieser Plattenreihe als Produkt einer philantropischen Die-Kunst-dem-Volke-Unternehmung. Gründer und Namensgeber der 'Peter Moores Foundation' ist der Musik liebende Erbe eines britischen Firmenimperiums, reich geworden durch Sportwetten und das Katalog-Versandgeschäft. Ausgangspunkt war die bereits erwähnte 'Ring'-Produktion unter Leitung des Dirigenten Reginald Goodall, die nach dem Willen Moores der Nachwelt erhalten bleiben sollte. Inzwischen ist die Reihe auf mehr als 50 Operneinspielungen und etliche Solo-Alben angewachsen: eine Art klingendes 'Who is Who' englischsprachiger Opernkünstler von Janet Baker bis John Tomlinson, in das aufgenommen zu werden auch dem Weltstar Finley zweifellos eine Ehre war. Mit dem Schlussstück des Albums erweist er, wie er es auch in Liederabenden gern tut, seiner nordamerikanischen Heimat Reverenz. "Some enchanted evening" aus 'South Pacific' ist eine Verneigung vor den Königen des Broadway, Rodgers & Hammerstein. Mag es auch nur ein Schlager sein, Finley hält nichts zurück von seiner Kunst. Atembeherrschung sei das Ein und Alles, das Singen mit gleichbleibend kontrolliert ausströmender Kraft, verriet ihm einst Eva Turner, eine legendäre britische Turandot. Wozu doch Schwimmen gut sein kann!

    "Actually it was Dame Eva Turner, the great Turandot, who I came across in her very late years, and she said: 'The breath is everything, if you can swim then you can breathe'. That was a big incentive for me."

    Richard Rodgers/Oscar Hammerstein, "Some enchanted evening", aus: 'South Pacific', CD Track 13

    "Great Operatic Arias" mit dem kanadischen Bariton Gerald Finley, begleitet vom London Philharmonic Orchestra unter Edward Gardner. Das war 'Die neue Platte' im Deutschlandfunk, erschienen in der Reihe 'Opera in English' beim Label Chandos im Vertrieb von Codaex. Im Studio verabschiedet sich, mit Dank fürs Zuhören, Johannes Jansen.

    Werke von Tschaikowsky, von Weber, Adams, Verdi, Wagner, Mozart, Turnage, Bizet, Donizetti, Puccini und Rogers
    London Philharmonic Orchestra, Ltg. Edward Gardner
    CHANDOS Opera in English (LC 7038)
    CHAN 3167, Prod. 2010, Best.nr. 095115316726