Donnerstag, 28. März 2024

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Oper in Erfurt
Der Teufel vor dem Dom

Bei den Erfurter Domstufen-Festspielen war die Kirche bisher nur Kulisse. Bei der neuen "Tosca"-Inszenierung mischt sie mit. Theologische Vorträge sollen einem eher religionsfernen Publikum erklären, was es mit dem Te Deum, dem gefallenen Engel und dem Aufstieg Luzifers auf sich hat.

Von Henry Bernhard | 11.08.2016
    Oper Erfurt: Tosca
    Oper Erfurt: Tosca (Theater Erfurt)
    Der Teufel in der Kirche. Schon zu Beginn, in den ersten drei Akkorden, lässt Puccini den Zuhörer wissen, dass es kein lustiger Abend werden wird, dass das ganze Drama zu sehen und zu hören sein wird, ungeschönt, ja dass sogar der Teufel darin steckt. Drei Akkorde, die das Motiv des Scarpia bilden, des skrupellosen Polizeichefs in Rom, der am Ende bereit ist, die Kirche zu instrumentalisieren und Gott zu leugnen für seine brutale Lust. Der Leipziger Musikwissenschaftler Helmut Loos führte im Erfurter Theater vor fast vollbesetzen Rängen mit Verve in Puccinis Oper Tosca ein, jenes Kunstwerk, das am 14. Januar 1900 quasi das 20. Jahrhundert eingeläutet hat – mit all dessen Schrecken.
    Helmut Loos erklärt: "Wir haben hier ein b, ein As, und dann kommt hier unten ein f. Und von dem b zum f, das ist eine kleine Quinte oder ein Tritonus, das ist das alte Zeichen für den Teufel in der Musik, den diabolus in musica, der sprengt eigentlich jedes System, der paßt in keine Dur-Moll-tonale Tonalität hinein, sondern er ist seit dem Mittelalter bekannt als ein solcher systemsprengender Klang."
    Dom soll nicht nur Kulisse sein
    Der erste Akt von Tosca spielt in einer Kirche, konkret in der barocken St. Andrea della Valle in Rom. Auch der dritte Akt spielt in kirchlichen Gemäuern, in der Engelsburg in Rom, die als Fluchtburg und Gefängnis der Päpste diente. Eine Oper also, die in und bei Kirchen spielt und nun vor zwei Kirchen zu sehen ist. In Erfurt wird Tosca auf den Domstufen inszeniert, vor der Kulisse des Domes St. Marien und der Kirche St. Severi – schon ohne Oper und Bühnenbild ein atemberaubender Anblick. Viele Gründe also für die Kirche, sich maßgeblich an der Werkseinführung zu beteiligen, meint Claudio Kullmann, der Geschäftsführer des katholischen Büros in Erfurt.
    Claudio Kullmann sagt: "Ja, der Dom, vor dessen Kulisse die Domstufen-Festspiele stattfinden, soll nicht nur Kulisse sein, sondern soll auch die Wechselbeziehung zwischen Kunst und Religion deutlich machen. Alle Stücke, die bei den Domstufenfestspielen zur Aufführung kommen, haben auch religiöse Anklänge, mal mehr, mal weniger, diesmal auch wieder sehr stark. Und da bietet es sich schon an, dass man das Ganze dann auch mal theologisch ausdeutet."
    Die theologische Ausdeutung besorgte Michael Gabel, der den Lehrstuhl für Fundamentaltheologie und Religionswissenschaft an der Erfurter Universität innehat. In "Tosca" sieht er das Idealtypische der Kunst in seiner Gültigkeit bedroht. Aber, transportiert über das Te Deum am Ende des 1. Aktes, auch das Idealtypische der Religion.
    Michael Gabel: "Das Schicksal der Sängerin Tosca zeigt ja, dass ihre Kunst der heiligen Musik – der heiligen Musik! – ein Auseinanderbrechen der Welt und ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft nicht mehr zusammenzuhalten vermag."
    Michael Gabel: "Am Ende des 1. Aktes wird auf kirchliches Geheiß für den Sieg der Koalitionstruppen über Napoleon das Te Deum gesungen. Dahinter steht die Überzeugung einer lebendigen Tradition, die letztlich alle geschichtlichen Abläufe von der Vorsehung Gottes getragen sieht.
    Wenn nun also das Te Deum gesungen wird, dann könnte man meinen, dass die Kunst noch immer die intakte Klammer für die Erfahrung widerstreitender Kräfte ist. Ebenso die Religion. Puccini lässt aber genau in diesem Augenblick einen Vertreter dieser Tradition, nämlich den Polizeipräsidenten Scarpia, statt Barmherzigkeit gegenüber den Unterlegenen Rachegelüste zum Ausdruck bringen. Und statt Dankbarkeit weckt Scarpia während des Te Deum in sich selbst erotische Phantasien, in denen er sich die Eroberung der Tosca ausmalt.
    Das heißt, die Musik und auch die heilige Musik und auch die liturgische Musik des Gottesdienstes hält die Welt nicht mehr zusammen."
    Zentrale Figur des Bühnenbildes ist ein gefallener Engel
    Gabel gelingt es, sowohl das Libretto plastisch werden zu lassen als auch die kirchlichen und religiösen Bezüge in "Tosca" herauszustreichen. In der "Te Deum"-Szene sieht er geradezu die Ursünde des 20. Jahrhunderts dräuen.
    Michael Gabel: "Genau an dieser Stelle werden nun zwei völlig unterschiedliche Welten zusammengeführt. Scarpia feiert seinen Sieg über Tosca und Caravadossi mit den Worten, "Tosca, du machst, dass ich Gott ganz vergesse!" Ich lese in diesem Ausspruch Scarpias die Ursünde des Menschen vom Anbeginn der Schöpfung an: Den Hochmut, selbst Gott zu sein. Und dieser Ausruf klingt nun zusammen mit dem Gesang der Kirchengemeinde, "Dich, ewiger Vater, betet die ganze Welt an." IHN betet die ganze Welt an! Religion kann missbraucht werden! Der Mensch kann sich selbst anbeten."
    Aber auch Helmut Loos, der für die musikalische Einführung zuständig war, setzte Kunst, Religion und die spezifische italienische und deutsche Operntradition in Beziehung zueinander – und auch den italienischen Realismus, den Verismo, zu germanischen Helden und solchen, die sich dafür hielten.
    Helmut Loos: "Es sind wieder Künstler, die hier in der "Tosca" eine Rolle spielen, aber ganz im Gegensatz zu Wagner, bei dem ja dann Hans Sachs eine Überfigur ist, der eine ganze Welt zusammenhält und alles wunderbar ins Geregel bringt, sind es hier Figuren, die scheitern, die auch keine besonderen idealen Züge aufweisen. Und so haben wir hier in dieser realistischen Oper keine Idealfiguren vor uns. Was wir hier in Deutschland haben, bezeichnen wir ja oft als eine Kunstreligion, als eine besondere Form, sich eben religiös zu erbauen an bestimmten Dingen. Und Wagner hat sich ja selbst auch als eine solche Person inszeniert. Solche Dinge liegen diesem Realismus in Italien fern."
    Nicht umsonst ist die zentrale Figur des Erfurter Bühnenbildes ein gefallener Engel. Ein zerstörtes Kunstwerk, das Ende der Unschuld, das Ende des Schutzes für die Stadt Rom. Und vielleicht auch ein Bild für den Aufstieg Luzifers, des einstmals gestürzten Engels, der, wie Erfurts Chefdramaturg Arne Langer anmerkte, dann "seine eigene Firma aufgemacht hat".