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Oper "La Juive" in Gent
Religionen unter Generalverdacht

Die Geschichte erinnert an Lessings "Nathan der Weise" - nur endet sie schlecht. Die komplizierte Handlung der Oper "La Juive" von Fromental Halévy ist von Regisseur Peter Konwitschny nun in Gent inszeniert worden - die Aufführungen stehen unter starkem Polizeiaufgebot.

Von Christoph Schmitz | 18.04.2015
    Starkes Polizeiaufgebot in Gent rund um die Aufführungen von "La Juive", "Die Jüdin". Die Taschen der Zuschauer werden kontrolliert, die Barkeeper im Opernfoyer haben, wie die Sicherheitsleute, Kopfhörer im Ohr stecken. Alles, was mit Judentum zu tun hat, scheint in Belgien zurzeit unter besonderem Schutz zu stehen. Der islamistische Terroranschlag auf das Jüdische Museum mit vier Toten vor einem Jahr in Brüssel und die Anfang des Jahres gerade noch so vereitelte Enthauptung belgischer Polizisten, steckt dem Land in den Knochen, auch wenn alle recht entspannt wirken. Die Fratze des religiösen Fanatismus ist auch auf der Bühne zu sehen. Der Librettist Eugène Scribe erzählt eine Geschichte vom Hass zwischen Christen und Juden im Jahr 1414 beim Konzil von Konstanz. Dort trifft Kardinal Brogni auf den Juden Éléazar. Als Magistrat von Rom hatte Brogni einst Eleazars Söhne hinrichten lassen. Éléazar dagegen hatte Brognis Tochter aus einem brennenden Haus gerettet und das Mädchen als seine eigene jüdische Tochter namens Rachel aufgezogen. Die hat jetzt in Konstanz ein Verhältnis mit einem Mann, der sich als Jude ausgibt, aber eigentlich ein christlicher Reichsfürst ist, Léopold. Das alles fliegt auf, am Ende wird Rachel auf dem Scheiterhaufen verbrannt, und bevor sich Eleazar selbst in die Flammen stürzt, offenbart er Kardinal Brogni, daß Rachel seine, also Brognis Tochter war.
    Der Regisseur hat die Partitur kräftig gekürzt
    Unversöhnlicher kann ein Konflikt nicht ausgehen, obwohl im Verlauf der Handlung beide Seiten immer wieder versuchen, ihren Hass und ihre Rachegefühle zu überwinden und Empathie und Verständnis zu entwickeln. Fromental Halévy, selbst Jude und im ganzen 19. Jahrhundert international einer der gefeierten Opernkomponisten, hat für seine "Jüdin" ein spektakuläres Klangtableau entwickelt von lyrischer Intimität über nüchternen Konversationston bis zu pompösem Gewaltgetöse plus Massenszenen und Riesenensembles. Die Grande Opéra war ja tatsächlich sowas wie das Hollywood-Kino heute. Tomás Netopil am Pult entlockt seinem Orchester alle Feinheiten, allen Farb- und Rhythmusreichtum und auch den hässlichen Lärm gewaltbereiter Massen.
    Regisseur Peter Konwitschny hat die Partitur kräftig gekürzt um rund eine Dreiviertelstunde. Das erste Vorspiel fehlt, die Balletteinlagen und mancher Schöngesang. Und dennoch dauert die Aufführung fast drei Stunden, aber keine Minute ist sie zu lang. Konwitschny hat aus der Großoper ein zwingendes Kammerspiel von höchster Intensität gemacht. Mit stockendem Atem verfolgt der Zuschauer die tragischen Verwicklungen und die Eskalation der Gefühle. Die Solisten der Erst- sowie der Zweitbesetzung tragen maßgeblich zum Gelingen bei. Allen voran die Sopranistin Gal James mit ihrer stimmlich und schauspielerisch glühenden Rachel. Und Dmitry Ulyanov als Kardinal Brogni hat einen Bass mit der Weite des Weltraums.
    Alle Religion werden des fanatischen Terrors bezichtigt
    Wie zu erwarten haben Konwitschny und sein Team die Handlung in die Gegenwart verlegt. Eine mafiöse Gesellschaft in Business-Anzügen und -Kostümen zerfleischt sich zwischen Stahlgerüsten selbst. Jede Partei, jede soziale Gruppe, jeder Clan klebt an den eigenen Vorurteilen, so wie die Farbe an ihren Händen klebt, die der einen sind blau, die der anderen gelb. Im Hintergrund leuchten die Glasfenster der Rosette einer gotischen Kathedrale. Bis hierher kann man Konwitschny noch folgen. Aber nicht mehr, wenn er mit seiner Inszenierung behauptet, dass sich Christen und Juden heute immer noch so hassen wie in früheren Jahrhunderten.
    Letztlich bezichtigt er Christentum und Judentum und alle Religion des fanatischen Terrors, wenn er sie am Fließband etwas herstellen lässt, das zum Symbol des islamistischen Terrors geworden ist: Sprengstoffgürtel. Ausgerechnet Rachel, die sich selbst als Jüdin versteht, umgürtet Konwitschny mit einer solchen Mordwaffe, um die Gesellschaft zu bedrohen. Dies in einem Land zu inszenieren, wo Juden von Islamisten ermordet wurden, ist zynisch. Konwitschnys Idiosynkrasie gegenüber Glaubensgemeinschaften unterscheidet sich ideell wenig von der pauschalen Abwertung anderer Lebensweisen durch radikale Muslime oder Pegida-Anhänger, auch nicht von der krankhaften Abneigung Richard Wagners gegenüber Juden, der, nebenbei bemerkt, ein großer Verehrer Fromental Halévys und seiner Musik gewesen ist. Da sind dem Regisseur wohl die Sicherungen durchgebrannt.