Freitag, 19. April 2024

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Oper La Monnaie Brüssel
Werben, Versuchen, Verführen und Schuld

Daphne, die bukolische Tragödie in einem Aufzug des Komponisten Richard Strauß wurde an der Brüsseler Oper La Monnaie gegeben. Eine Frau zwischen zwei Männern, einem Schafhirten und einem Kriegsgott. Eine Frau, die sich am Ende verwandelt und ihr Gesang geht in das Wispern der Blätter über. Es ist eine klangprächtige Idylle, ein Fest für Orchester und Sänger.

Von Frieder Reininghaus | 12.09.2014
    Der Komponist (u.a. "Der Rosenkavalier") und Dirigent Richard Strauss im Jahr 1888 als Student. Er wurde am 11. Juni 1864 in München geboren und ist am 8. September 1949 in Garmisch-Partenkirchen gestorben. +++(c) dpa - Report+++
    Der Komponist (u.a. "Der Rosenkavalier") und Dirigent Richard Strauss im Jahr 1888 als Student. (picture-alliance / dpa)
    Die Tragödie der Daphne und ihres unerhörten Liebhabers Leukippos gehört zu den antiken Sujets, die von den ersten Anfängen der Librettistik an Berücksichtigung fanden - und relativ häufig. Jacopo Peri und Jacopo Corsi reüssierten mit ihm. Cavalli, Heinrich Schütz und Händel uter anderem machten von ihm Gebrauch.
    Johann Adolf Hasse komponierte die Favola Pastorale 1747 für eine Sommerpartie des Dresdner Hofs auf Hubertusburg. Dieser weit zurückreichende Hintergrund war Joseph Gregor und dem über 70jährigen Richard Strauss, den Autoren der Bukolischen Tragödie, wohl bekannt, als sie - nach einer langen Pause - für die Dresdner Oper wieder auf den Daphne-Stoff zurückgriffen. Und das hieß nicht zuletzt: sich mit der großen Tradition noch einmal messen.
    Regisseur Guy Joosten versetzt das Stück in die Moderne
    Der Regisseur Guy Joosten unterwarf das am Fuße des Olymp in grauen griechisch-mythologischen Frühzeiten angesiedelte Personal einem Update: Die Solo- wie die Tutti-Schäfer, die nach dem Wunsch der Autoren in Schafspelzen und Widdermasken zu agieren haben, sind in der Microsoft-Welt angekommen. Sie hantieren ebenso wie die Mägde mit Laptops, Tablets und Smartphones. Der ursprünglich als lokale Gottheit verehrte Fischer und Familienvater Penaios mutierte zum stinkreichen Fischfabrikbesitzer im denkbar geschmacklosesten Party-Aufzug.
    Generöse Erscheinung mit profundem Stimmeinsatz
    Seine Gattin Gaea kämpft gegen die drohende Unergiebigkeit an, indem sie sich kräftig mit Champagner vollgießt. Birgit Remmert ist als kräftig karikierend Mutter der eigenwilligen Daphne ebenso eine starke Figur wie Ian Paterson als Gastgeber eine generöse Erscheinung mit profundem Stimmeinsatz. Ihrem aufgezwirbelten Personal und ihren auf den Putz hauenden hypermotorischen Gästen gehören die eng begrenzten Tanzflächen rechts und links einer breiten, sich nach oben hin verzweigenden Treppe. Hinter der drängt sich ein greller Stilbruch ins Bühnenbild: eine schräg in den hohen Luftraum gestürzte Riesen-Baumkrone. In ihr träumt Daphne grün-alternative Träume. Selbstvergessen hängt sie ihrer Sehnsucht nach, dass die Sonn ohn' Unterlass scheine. Sie wartet keineswegs auf einen Prinzen. Eigentlich will sie nur in Ruhe gelassen werden. Auf das Partyleben ihrer Eltern hat sie nicht die geringste Lust.
    Immun gegen das Liebeswerben
    Die Sopranistin Sally Matthews gibt das junge Turnschuhgeschöpf rundweg überzeugend. Vom Refugium auf einem dicken Ast steigt sie an einer Strickleiter herunter ins zugige Treppenhaus der elterlichen Kommandogewalt. Sie bleibt aber gegenüber der Zappelphilipp- und Konsumwelt, in die sie integriert werden soll, ebenso immun wie gegenüber dem Liebeswerben von Leukippos. Diesem Freund ihrer Kindheitstage, mittlerweile zum Mann geworden, ist die Brüderchen-/Schwesterchen-Liebe nicht mehr genug. Matthews' anfängliche kleine Unsicherheiten der Stimme verfliegen. Als Eric Cutler, der hinsichtlich seines virilen Begehrens ebenfalls abgeblitzte Party-Star Apollo, ein veritables Gewitter über der Festgesellschaft hereinbrechen lässt und den Rivalen Leukippos erstacht, setzt Sally Matthews zu einer herzerweichenden Klage an, die in dramatischen Selbstvorwürfen gipfelt. Sie stellt jene großen Gefühle, die Richard Strauss nochmals in eine Partitur zwingen konnte, mit Virtuosität und Verve aus. Das selbe gilt für Lothar Koenigs und das Orchester symphonique de la Monnaie.
    Zu den Veränderungen der Gemütslagen ändert das Ästegeflecht des Mammutbaums die Farben und Struktur der Rinde – ein wahrhaft faszinierendes Mittel des Bühnenbildners Alfons Flores und des fürs Licht verantwortlichen Manfred Voss. Und zu den nicht enden wollenden musikalischen Schönheiten gesellt sich so ein wunderhübsches Schluss-Tableau: Daphne in den höchsten Wipfeln, sich verabschiedend mit einer Vokalise. Die hätte schon früher einsetzen und den ziemlich unsäglichen Text vergessen machen mögen. Zur Gnade des Vergessens bei den Erinnerungen an den großen deutschen Komponisten Richard Strauss gehört auch, wie er den Nazi-Alltag im heftig kriegsvorbereitenden Deutschland mit späten Schönheiten überwölbte und begrünte.