Freitag, 29. März 2024

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Oper "Mise en abyme"
Ein feinsinniges und sensibles Stück im Stück

"Mise en abyme" – Widerspiegelung – heißt das neue Opernwerk der italienischen Komponistin Lucia Ronchetti. Die Hauptfigur, der Librettist Pietro Metastasio, inszeniert darin ein Stück im Stück. Jetzt wurde "Mise en abyme" in der Dresdner Semperoper uraufgeführt - eine Zusammenführung der Musikwelten des Barock und des 21. Jahrhunderts.

Von Frieder Reininghaus | 23.02.2015
    Lucia Ronchetti meinte, man habe ein heiteres Werk von ihr erwartet, in dem die charmante Italianità der großen Zeit der neapolitanischen Oper nachhallt. Tatsächlich kontrapunktiert und kommentiert die feinsinnige und klangsensible neue Lineatur eine alte, die immer wieder aufscheint. Das seitwärts der Bühne postierte zehnköpfige Instrumentalensemble legt unter der präzisen und umsichtigen Leitung von Felice Venanzoni gegenüber dem ebenfalls zehnköpfigen Sänger-Ensemble die gebotene Zurückhaltung an den Tag. Es konzentriert sich auf die Akzentsetzung und die pointierte Farbbeimischung.
    Zusammen mit der Dramaturgin Anne Gerber stellte Ronchetti sich ein Libretto aus Brief- und Textstellen des großen Wiener Theaterdichters Pietro Metastasio zusammen. Der avancierte dann auch zur zentralen Figur – Roland Schubert verleiht ihm eine kraftvolle und durchsetzungsfähige Stimme sowie die Statur eines Mannes in den besten Jahren, dem das Leben und das Essen schmecken. Der historische Metastasio, wie sein Wiedergänger auf der Bühne Semper2, gehören zu jenen Autoren, die schon in relativ frühen Jahren davon ausgehen, dass sie "Klassiker" seien oder werden und in entsprechender Intonation ihr ernst gerichtetes Schaffen theoretisch untermauern.
    Im Prolog, einer ausladenden A-cappella-Szene, wird Kammersänger Professor Schubert bei der Arbeit am Libretto zu "Didone abbandonata" durch das unwiderstehliche Angebot eines offensichtlich finanzkräftigen und einflussreichen Großintendanten auf den fernen Kanaren abgelenkt und mit der Herausforderung konfrontiert, erstmals eine komische Oper zu texten. Ein vorzügliches Quartett seliger Geister umschwirrt den von Zweifeln und Selbstzweifeln gemarterten Kopf. Der hohe Solosoprangeist von Dorothea Wagner erweist sich dabei als helles Vergnügen.
    Zwischen Lustspiel und ernster Kunstbemühung
    Des Weiteren trifft der fistelnde Nibbio, der die Sopraintendanza für die schönen Künste auf den Kanarischen Inseln innehat, bei Metastasio ein. Seine Begehrlichkeiten verschränken sich mit der im Entstehen begriffenen Handlung von der verlassenen Dido und einer der klassischen Theaterintrigen: Zwei rivalisierende Sängerinnen durchkreuzen die höheren Intentionen der ernsten Kunstbemühung.
    Im Grunde waltet diese auch – trotz des Verweises auf den Lustspielcharakter des Intermezzos – bei Lucia Ronchetti. Der von ihr ins Feld geführte und auf einen altfranzösischen Begriff für 'unendlich' anspielende Titel "Mise en Abyme" zielt auf ein Bild, das sich selbst enthält: auf die unendliche Geschichte, die schon das Kinderlied kennt – das Lied vom Mops, der zum Eierdiebstahl in die Küche kommt.
    Axel Köhler hat in einer angemessen einfachen Ausstattung – Theaterkulissen von hinten – die raffiniert-heiter-ernste Geschichte sehr ansprechend inszeniert: genährt von der Erfahrung einer langen Theaterkarriere und eben auch dem Wissen um Intrigen und Sparzwänge. Wenn mit der gleichen Aufmerksamkeit in Dresden auch das Neue in größeren Formaten gepflegt würde, hätte die Semperoper auch wieder Chancen, zu den bedeutenden Pflegestätten des Musiktheaters aufzuschließen.