Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Oper "Neda - der Ruf"
Manifest für die Selbstbestimmung

Unter dem Eindruck der Grünen Revolution 2009 schrieb der iranische Komponist Nader Mashayekhi die Oper "Neda - der Ruf". Das Werk dreht sich um den altpersischen Dichter Nizami und sein fortschrittliches Frauenbild. Damals als Auftragswerk am Theater in Osnabrück ist die Oper nun am Pfalztheater Kaiserslautern zu sehen.

Von Ursula Böhmer | 24.04.2017
    Monika Hügel (Apak), Damen des Chores
    Menschen, die für Meinungsfreiheit kämpfen und sterben, eine Stimme geben - das wollte der iranische Komponist Nader Mashayekhi mit seiner Oper. (Marco Piecuch.)
    "Neda", das heißt auf persisch so viel wie "der Ruf" oder "die Stimme". Neda – so hieß aber auch jene Studentin, deren Bild im Juni 2009 durch die ganze Welt ging: Denn sie war bei den Demonstrationen gegen den damaligen iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad erschossen worden. Während dieser sogenannten Grünen Revolution war der Komponist Nader Mashayekhi gerade dabei, eine Auftragsoper für das Theater Osnabrück zu schreiben – und benannte sein Werk als Hommage an die Ermordete kurzerhand in "Neda – der Ruf" um. Als Figur kommt Neda darin allerdings gar nicht vor – dafür tauchen allerlei andere Freiheitskämpferinnen auf: Lauter Frauenfiguren aus diversen Epen des altpersischen Dichters Nizami, erklärt Librettistin Angelika Messner:
    "Das Erstaunlichste ist wahrscheinlich, dass ein Dichter aus dem 11./12. Jahrhundert ein derartig fortschrittliches Frauenbild gepflegt hat und Frauenfiguren geschaffen hat, die unglaublich sind in ihrer Kraft, in ihrer Emanzipiertheit! Das ist wahrscheinlich das Markanteste, das uns auch zu diesem Thema geführt hat, über Nizami und die Frauen zu schreiben. Es war ja eigentlich umgekehrt. Der Auftrag aus Osnabrück war eigentlich damals, eine Oper über die Frauen des Islams zu schreiben – und wir sind dann über die Frauen eigentlich zu Nizami gekommen, weil er in einer derartigen Kraft mit diesen Figuren und dem Thema umgeht!"
    Im Pfalztheater Kaiserslautern steht der Dichter Nizami dann leibhaftig auf der Bühne und wird von einigen seiner Kopfgeburten belagert: Die wollen sich nicht länger als Belohnungsobjekte an die Männerwelt verschachern lassen. Amazonenkönigin Nuschabe will vielmehr einen Frauenstaat errichten. Prinzessin Turandot will sich sogar blutig an den Männern rächen - errate meine Rätsel, sonst Kopf ab! Die Sklavin Fitna wiederum sucht bei einem despotischen König lieber den Ausgleich: Durch das Tragen seiner Jagdtiere trainiert sie sich Muskeln an – um genauso stark zu sein wie er. Zu diesen erdichteten Freiheitskämpferinnen gesellt sich in Kaiserslautern kurz darauf noch eine vierte Frauenfigur - diesmal aus Nizamis "echtem" Leben.
    Die ungezähmte Widerspenstige
    Die Sklavin Apak, hier klangstark gesungen von Anne Ellersiek, wurde Nizami von einem Fürsten geschenkt – als Dreingabe für ein besonders schönes Gedicht. Das "Geschenk" entwickelt in Kaiserslautern jedoch einen starken Eigenwillen: Anfangs versteckt Apak ihr Gesicht noch sittsam hinter ihrer hexenroten, lockend langen Haarmähne – doch bald schon zieht sie die 60er-Jahre-Hosen an, läuft unverschleiert umher und ruft noch dazu alle Frauen zum Gebet auf! Nizami liebt sie dafür – andere Männer aber hassen sie und werden sie schließlich vergiften.
    Soweit der Plot der Oper "Neda – der Ruf". Ein Manifest für die Selbstbestimmung, insbesondere der Frau, in dem sich Dichtung und Wahrheit überlagern, gegenseitig aber auch befruchten. Das alles wird eingebettet in Nader Mashayekhis atmosphärische Klangwelt, die sich das Orchester des Pfalztheaters Kaiserslautern unter dem Spanier Rodrigo Tomillo sorgsam ergründet hat.
    "Das ganze Stück besteht auch aus persischer Musik: Diese Pedaltöne, die sich ständig in Viertelton-Bewegung abspielen, außerdem das ständige D – das ist tatsächlich typisch persisch, genauso wie das Dehnen der Töne! Und auf diese persische Stimmung wird dann die atonale westeuropäische Musik aufgebaut!"
    Nizami und Benno Ohnesorg
    Der großartige Wieland Satter singt Nizami im Pfalztheater – und spricht ihn: Denn zwischendurch rezitiert er Auszüge aus den Epen des Dichters und hält Zwiegespräche mit seinem Alter Ego – dem "anderen Nizami", der hier in Gestalt des syrischen Schauspielers und Flüchtlings Mohammad Alshathily auftritt. Eine Idee von Regisseur Holger Müller-Brandes, die den ohnehin komplexen Stoff aber noch zusätzlich überfrachtet. Zumal Brandes auch sonst mit kritischen Aktualitätsbezügen nicht spart: Zwischen den Gittern, die seine Bühne unterteilen, leuchten riesige "HAUPTBAHNHOF"-Buchstaben hervor – eine Reminiszenz an die Silvesternacht-Übergriffe in Köln 2015. Auf einer Leinwand erscheinen Fotos des frauenfeindlichen islamischen Revolutionsführers Chomeini, aber auch des Studenten Benno Ohnesorg: Er wurde 1967 in Berlin erschossen - während einer Demonstration gegen den Besuch des persischen Schahs. Alles Anlässe zum politischen Mit- und Umdenken, findet Holger Müller-Brandes:
    "Ich habe gelesen, dass beispielsweise unser ehemaliger Innenminister Schily gesagt hat, er habe angefangen umzudenken, als Benno Ohnesorg – ein eher unbeteiligter Teilnehmer der Demonstration gegen den Schah – umgekommen ist. Auch Neda Agha-Soltan war keine Frontfrau – genauso wie Benno Ohnesorg. Es war ein Ereignis, das aber durch verschiedene Zufälle zu einer Wichtigkeit gelangte. Und das kann einem passieren, dass man aus dem Fenster guckt und sagt: Jetzt ist die Welt doch anders geworden, wenn ich das wirklich mal innerlich hochkommen lasse!"
    Die Studentin Neda, Titelfigur der Oper, ist schon bei Komponist Nader Mashayekhi lediglich Projektionsfläche: Ursprünglich wollte er seine Oper "Nizami" betiteln – vom Inhalt her auch eigentlich die passendere Wahl. Regisseur Holger Müller-Brandes holt Neda in Kaiserslautern trotzdem noch auf die Bühne: Inmitten des Operngeschehens trägt der hervorragende Volkschor des Pfalztheaters grüne Tücher und Armbinden der "Grünen Revolution" – und hält Konterfeis der ermordeten Studentin in die Höhe. Das alles ist triftig und gut gemeint - am Ende aber buchstäblich zu viel des Guten. Weniger wäre entschieden mehr gewesen. Zumal der Dichter Nizami in der Oper bereits alle Kritik zusammenfasst, in dem Satz: "Die Liebe, was fehlt, ist die Liebe".