Donnerstag, 28. März 2024

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Oper "Sirenen"
Bildungsbürgerlich verschwurbeltes Libretto

In Frankfurt lassen leider weder Komponist Rolf Riehm noch sein Regisseur Tobias Heyder den Funken überspringen. Zu Beginn führen heftige Schlagwerk-Akzente ins Geschehen. Heyder ist sichtlich bemüht, die Figuren zwischen Mythos und Moderne anzusiedeln: Eine seltsame Mischform, undramatisch und oft auch unfreiwillig komisch agieren die Darsteller.

Von Jörn Florian Fuchs | 15.09.2014
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (Hessen), aufgenommen am 09.12.2013.
    Oper und Schauspiel in Frankfurt am Main (picture alliance / dpa / Daniel Reinhardt)
    Es hätte so schön werden können! Oder wenn vielleicht nicht schön, so zumindest intensiv, gegenwärtig, unter die Haut gehend. Der Stoff allein schon bürgt doch quasi für musiktheatrale Qualität. Odysseus, Sirenen, die einsame, rachsüchtige Zauberfrau Kirke, mit der der Held ein Kind zeugt. Telegonos heißt der Sohn, er verwundet - ungewollt - seinen Vater und reist mit ihm danach durch jenseitige Welten voller Schatten und singender Frauen...
    In Frankfurt schlagen leider weder Komponist Rolf Riehm noch sein Regisseur Tobias Heyder irgendwelche Funken aus der mythischen Geschichte. Zu Beginn führen heftige Schlagwerk-Akzente ins Geschehen, ein sehr trister Raum mit etwas Mobiliar und Treppen ist zu sehen, ein Treppenteil hängt vom Bühnenhimmel herab. Heyder ist sichtlich bemüht, die Figuren zwischen Mythos und Moderne anzusiedeln, mal bewegen sie sich eher künstlich, mal agieren sie sehr direkt.
    Seltsame Mischform führt zu unfreiwilliger Komik
    Doch rasch entsteht eine seltsame Mischform, eher undramatisch, oft auch unfreiwillig komisch. Eine Akrobatin rutscht an Tüchern herab und vollzieht allerlei tolle Verrenkungen, später fließt reichlich Blut und Männer wie Frauen leiden und stöhnen und räkeln sich auf der Treppe oder am Boden. Videoprojektionen lassen Kellerverliese erkennen, dazwischen sieht man Odysseus in Großaufnahme, dann wieder rückwärtslaufende Meereswellen. Die erotisch tödlichen Sirenen wirken in ihren weißen Kleidern eher wie Teilnehmer einer Massenhochzeit oder Mitglieder einer Sekte.
    Trockene Passagen
    Nach einiger Zeit ziehen sie sich auf offener Bühne - quälend langwierig - um und mutieren zu alten Frauen. Sehr betulich wirkt das alles, Hans Neuenfels oder Peter Konwitschny etwa hätten aus der einen oder anderen Szene vermutlich mehr rausholen können, wobei letztlich alle Mühe vergeblich ist. Denn Rolf Riehms unangenehm bildungsbürgerlich verschwurbeltes Libretto macht es jeder Regie sehr schwer. Neben den ziemlich trockenen deutschen Passagen gibt es noch englische und griechische Abschnitte, die Rolle des Odysseus wird auf einen Sänger und einen Schauspieler verteilt.
    Einige wirklich berührende Momente
    Das mag zwar als Idee nett sein, wirklich zwingend ist es nicht. Als Sprecher wirkt immerhin Michael Mendl, der seine Sache mit sattem Pathos erledigt. Der singende Odysseus wird vom fantastischen Countertenor Lawrence Zazzo interpretiert, ihm gelingen einige wirklich berührende Momente. Man spürt, dass Riehm bei dieser Rolle viel kompositorisches Herzblut investiert hat. Die wunderbare Frankfurter Hauskraft Tanja Ariane Baumgartner erscheint als Kirke etwas unter Wert besetzt, Schauspieler Dominic Betz überzeugt als Vatermörder (eine weitere Sprechpartie), das Sirenenensemble singt sauber und harmoniert auch mit der gelegentlich zu hörenden Elektronik.
    Rolf Riehm hat in seinen umfangreichen Baukasten nämlich viel Geräuschhaftes und elektroakustische Späße der 1980er Jahre gepackt. Riehms Partitur ist ziemlich "demokratisch" organisiert, oft spielen alle schön durcheinander, aber es dürfen auch Vertreter der meisten Instrumentengruppen solistisch tätig werden. Sogar zwei arg strapazierte Klaviere kommen zum Einsatz, ebenso ein heftig beanspruchtes Akkordeon.
    Singende Säge sorgt für Gelächter
    Auf der Bühne sorgt eine singende Säge für unfreiwilliges Gelächter beim Publikum, Pappkartons sowie unzählige andere Gegenstände werden als Schlagzeug benutzt. Leider fehlt es an Binnenspannung, an aufeinander bezogenen Strukturelementen und auch an dynamischen Übergängen der einzelnen Szenen. Oft steht nach einer Passage mit Gesang minutenlanges, auf der Stelle tretendes Orchestergeklingel. Immerhin hält Martyn Brabbins am Pult des Frankfurter Opernorchesters die Zügel straff in der Hand, allein was tut's?
    Um solch einen Stoff adäquat zu vertonen, braucht es am Ende doch mehr denn die Versatzstücke einer längst vergangenen Avantgarde.