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Oper und Religion
Von Instrumentalisierung bis zu offener Feindschaft

In keinem anderen Werk der Opernliteratur steht religiöser Fanatismus so im Vordergrund wie in Meyerbeers "Hugenotten". Anlässlich der Neuinszenierung hat die Deutsche Oper Berlin die Geschichte des komplexen Wechselverhältnisses von Oper und Religion beleuchtet.

Von Dieter David Scholz | 14.11.2016
    Juan Diego Florez als Raoul von Nangis und Patrizia Ciofi als Marguerite von Valois in die "Die Hugenotten" von Giacomo Meyerbeer an der Deutschen Oper in Berlin
    Drama über religiösen Fanatismus: Meyerbeers "Hugenotten" (picture alliance / dpa / Bernd Settnik)
    Natürlich ging es in dem Symposion um religiöse Figuren auf der Opernbühne. Richard Wagners Auseinandersetzung mit der Religion, die auf der romantischen Idee der "Kunstreligion" aufbaute, kam zur Sprache, aber auch Richard Straussens "Salome" und Arnold Schönbergs "Moses und Aaron". Anselm Gerhard vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Bern entfaltete in seinem Vortrag über die religiösen Resonanzen in der Oper des 19. Jahrhunderts ein eindrucksvolles Panorama der Tabubrüche und Blasphemien auf der Musiktheaterbühne, von Donizetti über Verdi bis zu Wagner und Puccini. Er verwies auf die Zensur, die Kirchen- und Klosterszenen verbot. Man durfte Sakralbauten nur von außen zeigen. Und er thematisierte religiöse Begriffe, die in der Oper blasphemiert wurden. Als besonders anschauliches Beispiel wählte er Massenet "Manon":
    "'La mia bocca e un altare, dove il duo bacio e dio', 'Mein Mund ist ein Altar, auf dem Dein Kuss Gott ist.' Und das muß man in Beziehung setzten zur Tatsache, dass bis in die frühen 1890er Jahre das Küssen auf der Bühne selbstverständlich als unschicklich galt. Hier ist aber der Kuss der Gott auf einem Altar, nämlich auf dem Altar des sinnlichen Munds dieser Manon."
    Spannender Blick der Weltreligionen auf die Oper
    Am spannendsten in diesem Symposion waren die Seitenblicke auf die aktuelle gesellschaftliche Akzeptanz von Religion in der Oper. Marina Davydova, Festivalleiterin der Wiener Festwochen, sang ein Lied davon, wie massiv die Russisch Orthodoxe Kirche heute das Operngeschehen in Russland zensiert. Michael Ajzenstadt, Operndirektor der Israeli Opera, machte deutlich, dass die Traditionen der strenggläubigen Juden in Israel auch die Oper beeinflussen, zumal singende Frauen auf der Bühne und Zurschaustellung des weiblichen Körpers in der Öffentlichkeit ein Tabu darstellen, auf das jeder Spielplangestalter und jeder Regisseur bis heute Rücksicht zu nehmen hat.
    "Über Oper und Religion kann man endlos reden, aber wenn man über Oper und Religion in Israel nachdenkt, dann gibt es eigentlich keinen gemeinsamen Nenner.”
    Ahmed Milad Karimi vom Zentrum Islamischer Theologie der Universität Münster machte in seinem Vortrag über den Islam als offenes Kunstwerk deutlich, dass der Koran in seiner quasi musikalischen, bildhaft-ornamentalen Theatralik - und zwar in der Schrift wie in der Praxis der Ausübung - im Grunde opernhaft ist:
    "Die Weise, wie wir Zugang zu Gott haben als Muslime, ist Schönheit, denn er selbst als Wahrheit ist nicht anzutreffen. Die Religion des Islam ist ein äußerst ästhetisches Unterfangen. Nicht bloß die sinnliche Vermittlung der religiösen Riten, wie ich anfangs eingeführt habe, führt diesen Umstand vor Augen, vielmehr ist die Weise, wie sich Gott im Islam mitteilt, reine Sinnlichkeit, ja mehr noch Theatralik. Es ist inszeniert!"
    Der protestantische Theologe Gerhard-Marcel Martin von der Philipps-Universität Marburg setzte sich schließlich mit Meyerbeers "Hugenotten" auseinander, allerdings aus Sicht des "Bibliodramas", also der spieltheatralen, spieltherapeutischen Auseinadersetzung mit religiösen Texten. In seinen kritischen Anmerkungen zu Meyerbeers Oper monierte er in ihr eine plakative Religionsdarstellung, aber auch groteske Widersprüche zwischen Lebens- und Todesbejahung. Er entdeckte Züge absurden Theaters in dem Werk und unterstellte ihm abgründigen Geschichtspessimismus.
    "Also ließe sich nach allem von einer weltgeschichtlich-göttlichen Komödie, allenfalls von einer Tragikomödie sprechen. Es ist die Tragödie der blindwütigen Eigendynamik destruktiver Kräfte, in der jegliches Individuum verloren geht."
    Musik: Meyerbeer, Hugenotten, Schwerterweihe
    Inszenierung zwischen Rampen- und Revuetheater
    In diesem Sinne hat denn auch David Alden, in den zurückliegenden Jahrzehnten als Repräsentant des quietschbunten "Britpop" auf der Opernbühne gefeiert wie verschrien, in seiner guckastenhaften Berliner Inszenierung der "Hugenotten" vor allem auf die Kontrastdramaturgie und den Collagencharakter Meyerbeers gesetzt, weshalb er das Stück auch nicht historisch eindeutig verortet, sondern Elemente verschiedener Epochen von der Renaissance bis heute zeigt, in einem Einheitsraum nach Art einer Turnhalle mit Kirchendachgebälk, in der Tischerücken und Bänkekippen das Äußerste an Dramatik sind. Zwischen Rampen- und Revuetheater läßt Alden die fünfaktige Grand Opéra fast komplett spielen. Der Abend dauert 5 Stunden und doch tritt er auf der Stelle. Mit seinen "Hugenotten" hat Meyerbeer eines der größten Massaker der europäischen Geschichte auf die Opernbühne gebracht: das Gemetzel der Bartholomäusnacht. David Alden hat es revuehaft verharmlost durch permanentes Schunkeln, Tänzeln und Tippeln. Die Aufführung wird schnell langweilig. Im Gegensatz zur Vorgängerinszenierung am Haus durch John Dew und Gottfried Pilz 1987 kommt keinerlei Ergriffenheit auf.
    Mäßige Interpretenleistung
    Auch sängerisch und musikalisch ist die Aufführung kein wirklich großer Abend. Außer dem fulminanten Marcel von Ante Jerkunica enttäuschen Patrizia Ciofi als Marguerite und die virtuose Olesya Golovneva als Valentine. Man hat diese Partien schon weitaus kultivierter gesungen gehört.
    Musik: Meyerbeer, Hugenotten, Arie des Raoul
    Juan Diego Florez, der Star des Abends, singt wie immer fulminant, aber man fragt sich, ob der konkurrenzlose Rossiniinterpret gut beraten ist, Meyerbeer zu singen. Zu weiß, zu eindimensional, zu schlank ist sein "tenore di grazia" für die Partie des Raoul. Schade, dass auch der Dirigent Michele Mariotti, ein ausgezeichneter Rossinidirigent beim Rossinifestival in Pesaro, nicht den rechten Ton findet für Meyerbeers pikante Musik der Stilbrüche und Gattungsvermischungen. Zu langsam, zu weich, zu harmlos dirigierte er die Grand Opéra. Wer Marc Minkowskis scharfe, analytisch zugespitzte Lesart der "Hugenotten" in Brüssel vor 5 Jahren gehört hat, wird von dieser neuen Berliner Aufführung enttäuscht sein.
    Musik: Meyerbeer, Hugenotten, Mörderchor