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Oper von Gregoretti
Clevere Oper mit genialem Fake

Das Festival Pergolesi Spontini in der italienischen Stadt Jesi widmet sich Fälschungen in der Musik. In diesem Jahr wurde die Oper "Il colore del sole" des Komponisten Lucio Gregoretti uraufgeführt. Sie erzählt eine spannende Geschichte um den Renaissance-Maler Caravaggio - ein genialer Fake.

Von Thomas Migge | 11.09.2017
    Rote Theaterstühle
    Der Komponist Lucio Gregoretti fühlt sich keiner tonalen Richtung verpflichtet (Symbolbild). (picture-alliance / dpa-ZB / Patrick Pleul)
    Die tiefe Bassstimme von Andrea Camilleri erfüllt das Teatro Pergolesi. Italiens berühmtester Krimiautor erzählt in einem Videoclip einem Journalisten von dem bis dato geheimen Tagebuch des Renaissancemalers Caravaggio aus dem Jahr 1607. Das sei ihm, verrät Camilleri, von einem stark nach Fischen stinkenden Fischer zugespielt worden. Der habe es durch einen mysteriösen Zufall erhalten. Dieses Tagebuch erkläre, so Camilleri, warum Caravaggio das sogenannte Chiaroscuro, die Hell-Dunkel-Malerei, entwickelt habe. Eine malerische Neuheit, die die gesamte europäische Malkunst nachhaltig beeinflusste. Doch es handelt sich bei der Hell-Dunkel-Malerei, so Andrea Camilleri, nicht um eine Erfindung des Künstlers, wie seit Jahrhunderten behauptet wird, sondern sie sei die Folge einer Augenkrankheit Caravaggios gewesen. Camilleros Roman "Il colore del sole" von 2007 erzählt die Geschichte um dieses Tagebuch und seine Enthüllungen. Der römische Komponist Lucio Gregoretti machte aus dem Bestseller eine Oper.
    Keine minimalistisch angehauchte neue Oper
    Doch in Gregorettis Oper "Il colore del sole", die in Jesi am vergangenen Freitag ihre Welturaufführung hatte, ist der Hauptdarsteller kein Sänger. Der Schauspieler Massimo Odierna interpretiert den Maler. Nicht singend, sondern im sizilianischen Dialekt deklamierend. Die übrigen Darsteller der Oper sind hingegen Sänger, viel versprechender Nachwuchs der "Accademia Lirica" im mittelitalienischen Osimo.
    "Il colore del sole" ist keine minimalistisch angehauchte neue Oper, wie man in den ersten Minuten nach der Ouvertüre vermuten könnte. Denn Lucio Gregoretti ist kein Post-Puccini-Epigone, wie viele seiner italienischen Kollegen und kein Verfechter neomelodischer Klanginventionen, um ja nicht in den Verdacht zu kommen, irgendwie atonal zu sein. Der 56-Jährige, unbestritten einer der interessanten Komponisten Italiens und leider viel zu wenig bekannt in Deutschland, fühlt sich keiner tonalen Richtung verpflichtet. Er vermischt klassisch-symphonische Elemente mit Kammer- und elektronischer Musik, arbeitet auch für das Kino und das Sprechtheater:
    "Wir Komponisten heute haben das ungemein große Glück, Musikarten zu nutzen, wie es uns gefällt. Noch vor 30 Jahren war es in Italien unmöglich, aus der dominierenden Avantgarde auszuscheren, ohne gleich als konservativ verunglimpft zu werden. Dank der Zerstörer der Traditionen, wie etwa Boulez und Stockhausen, können wir heute frei komponieren, ohne uns an Schulen oder musikdogmatische Vorgaben halten zu müssen. Wir können heute machen was wir wollen."
    Sprech- und Musiktheater zusammen
    Ohne in ein tonales Wischiwaschi abzugleiten, gelingt es Gregoretti, die verschiedensten Stile, atonal und tonal, mit klassischen Instrumenten und elektronischen Klängen und einer Neuinterpretation frühbarocker Madrigalkunst perfekt in Einklang zu bringen. Sprech- und Musiktheater zusammen: ein Wagnis, das war Lucio Gregoretti klar:
    "Camilleris Text ist kein klassischer Roman, sondern eine Mischung aus Textfragmenten. So kam mir die Idee, keine Oper nur mit Sängern zu komponieren, sondern mit einem Schauspieler als Hauptdarsteller unter Sängern. Das stellte mich natürlich vor Probleme: Denn ein Schauspieler folgt keiner Partitur, hat sein eigenes Timing. Doch diese Lösung gibt mir die Möglichkeit, Camilleris Textfragmente, die ich in der Oper als Libretto nutze, auch in andere Sprachen übersetzen zu können."
    Sinnvoll für Aufführungen in anderen Ländern. Da vor allem der Text des Schauspielers die eigentliche Handlung erzählt, lässt sich diese Oper problemlos übersetzen: Der Text des Schauspielers in einer anderen Sprache erfordert keine rhythmische Anpassung der Musik an einen andersgearteten Sprachrhythmus. Ein cleverer Schachzug des Komponisten.
    Geschichte um die Augenkrankheit Caravaggios eine Erfindung Camilleris
    Clever ist die ganze Oper, denn natürlich ist die Geschichte um die Augenkrankheit Caravaggios eine Erfindung Camilleris, ein genialer Fake. Perfekt für die 17. Ausgabe des "Festival Pergolesi Spontini" in Jesi. Ein Festival, das dieses Jahr unter dem Motto "Fälschungen" steht. Festivaldirektor Vincenzo de Vivo:
    "Pergolesi war einer der am häufigsten kopierten Musiker der Musikgeschichte. Er starb mit nur 26 Jahren. Nach seinem Tod wurden viele Werke mit seinem Namen verbreitet. Allesamt Fakes, um Geld zu machen. Es zirkulierten schließlich mehr als 300 Kompositionen unter seinem Namen, dabei komponierte Pergolesi tatsächlich nur knapp 30."
    Was lag da also näher, als in der Geburtsstadt Pergolesis ein Festival ganz im Zeichen von Fälschungen zu organisieren. Bach, der bei Vivaldi abguckte, mittelalterliche Musik, die eigentlich für Gottesdienste komponiert, dann aber für schlüpfrig erotische Gesänge genutzt wurde, etc. Und eben, als Clou des Festivals, eine Oper nach dem Camilleri-Caravaggio-Fake.
    In Camilleris Roman und Gregorettis Oper vertraut sich der Maler Caravaggio, nach einem Duellmord in Rom auf der Flucht nach Malta, wo er für den Malteserorden ein berühmt gewordenes Bild schaffen sollte, der Prostituierten Celestina an. Sie verschaffte ihm eine Augentinktur, die ihn von seiner absoluten Lichtempfindlichkeit heilen sollte.
    Doch die Heilung führte auch dazu, dass Caravaggio fortan die Sonne schwarzsah. Der "Chiaroscuro"-Effekt hält Einzug in seine Malerei und macht den Maler berühmt.
    Faszinierende Bühnentechnik
    Die wechselvolle und dramatische Handlung zwischen Rom, Malta und Sizilien wird ausschließlich, ohne andere Bühnendekorationen, mit Hilfe von Licht- und Videoinstallationen des Event- und Theaterregisseurs Cristian Taraborrelli in Szene gesetzt. So gekonnt, dass die konkrete Bühnenhandlung und die filmischen Szenen in verschiedenen Momenten optisch eins zu werden scheinen.
    Eine faszinierende Bühnentechnik, die mit ihren illusorischen Effekten fast schon barock erscheint – also ganz im Stil von Caravaggios Epoche, seiner Malerei und den Opern seiner Zeit. Lucio Gregorettis neue Oper "Il colore del sole" ist sicherlich wegweisend für einen neuen, fantasiereichen und intellektuell anspruchsvollen Stil Oper auf die Bühne zu bringen.