Donnerstag, 28. März 2024

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Oper "Writing to Vermeer" in Heidelberg
Briefe zwischen Sehnsucht und Waschalltag

Er ist bekannt für Bilder wie „Das Mädchen mit dem Perlenohrgehänge“ oder „Ansicht von Delft“: Dem Barockmaler Jan Vermeer hat der Komponist Louis Andriessen 1999 eine Oper gewidmet. Das Theater Heidelberg hat „Writing to Vermeer“ nun in Deutscher Erstaufführung auf die Bühne geholt – in Anwesenheit des Komponisten.

Von Ursula Böhmer | 14.05.2018
    Irina Simmes (Saskia de Vries), Mitglieder des Kinderchors während der Klavierhauptprobe der Oper "Writing to Vermeer" im Theater Heidelberg
    Irina Simmes (Saskia de Vries) und Mitglieder des Kinderchors während der Hauptprobe (Theater Heidelberg / Sebastian Bühler)
    Leise Kratz-Geräusche durchziehen den Theatersaal in Heidelberg: Eine Schreibfeder auf Papier. Denn es geht um Briefe in Louis Andriessens Oper "Writing to Vermeer" – Briefe, die drei Frauen 1672 an den verreisten Barockmaler Jan, beziehungsweise Johannes Vermeer schreiben. Johannes von Matuschka ist der Regisseur der Deutschen Erstaufführung in Heidelberg.
    "Das ist einmal Catharina Bolnes, seine Ehefrau, mit der er immerhin elf Kinder hatte. Und dann ist es die zu Lebzeiten wohl strenge Schwiegermutter Maria Thins – von der weiß man interessanterweise biografisch am meisten. Man weiß, dass sie sehr reich war - sie hat auch Johannes Vermeer sehr stark mitfinanziert. Sie war eigentlich Leiterin des Haushalts. Sie wurde von ihrem eigenen Mann schwer misshandelt – das heißt, ihre Strenge kam wohl auch daher. Und die dritte Figur ist eine musikalisch sehr lebensfrohe, bejahende Figur - das ist Saskia de Fries"
    …die Magd im Hause Vermeer. Insgesamt sechs Briefe lässt der niederländische Komponist Louis Andriessen von den Frauen singend rezitieren, in seiner Oper "Writing to Vermeer": Berichte über die Tochter, die von Vermeers Poliermittel getrunken hat, Klagen über Schwangerschaftsbeschwerden, Fernweh nach dem Mann, Schwiegersohn und Meister.
    Kinder finden die Briefe
    Um Bezüge zum Hier und Jetzt zu schaffen, schickt Regisseur Johannes von Matuschka in Heidelberg ein paar Kinder in Sweatshirts und Sneakers auf die Bühne. Sie finden die Briefe der Frauen:
    "Und durch dieses Finden von Briefen eröffnet sich überhaupt ein Innenraum – vielleicht auch das Innere einer Camera Obscura, die Vermeer wohl schon damals verwendet haben soll. Und in diesem leeren Raum entdecken die Kinder eigentlich die Historie – auch die Kunsthistorie - und wachsen zu diesen Figuren heran und lernen die Kunstgeschichte auf eine ganz dreidimensionale Art kennen!"
    Elisabeth Auerbach (Maria Thins), Damenchor des Theater und Orchester Heidelberg, Mitglieder des Kinder- und Jugendchors des Theater und Orchester Heidelberg während der Hauptprobe der Oper "Writing to Vermeer" am Theater Heidelberg
    Elisabeth Auerbach und Mitglieder des Damenchors des Theaters während der Hauptprobe (Theater Heidelberg / Sebastian Bühler)
    Die sauber intonierenden Solisten vom Kinder- und Jugendchor stehen auf der Heidelberger Bühne dann tatsächlich auch in einer riesigen schwarzen Camera Obscura-Box. Immer wieder öffnet sich die Lichtlinse in der Rückwand, durch die Bildzitate aus Vermeers Oeuvre eingeblendet werden. Zu lebendigen Bildzitaten mutieren hier dann auch die Frauenfiguren selbst: Die Schwiegermutter hat zu tief ins Glas geschaut und ist auf einem Stuhl eingeschlafen – wie Vermeers "Schlafendes Mädchen". Die Magd rafft ihre blaue Schürze wie die "Dienstmagd mit Milchkrug". Die Hausfrau erinnert, himmelblaue Schwangerschaftsbluse zum gelben Rock, an die "Briefleserin in Blau".
    Spiegelungen
    Immer wieder waschen die Frauen hier Wäsche oder spielen zwischen trocknenden Laken Verstecken mit den Kindern. Immer wieder posieren sie selbstgefällig vor einem großen runden Spiegel – was korrespondiert mit den versteckten Spiegelungen in Lois Andriessens Musik:
    "Ich habe das Ganze in sechs Szenen unterteilt, die alle gleich lang sind – die Teile 4,5,6 spiegeln die Teile 1,2,3. Es ist ähnlich, wie es zum Beispiel Webern gemacht hat. Ganz so mache ich es allerdings nicht."
    Louis Andriessen spiegelt die Töne der ersten drei Szenen in den übrigen Szenen also in anderer Reihenfolge wieder. Entstanden sind lichtdurchflutete, farbenreiche Klänge. Ist er ein Synästhetiker, der hier Vermeers Farbtöne in Klangfarben übersetzt hat?
    "Das ist ein spannendes Thema, aber was mich an Farben interessiert – außer dass sie wunderschön sind und hier gut miteinander kombiniert wurden –, ist die Tatsache, dass sie allein deswegen, weil sie da sind, in eine Art Gespräch mit dem Betrachter treten. Ich bin kein Mann der Metaphern – obgleich das hier durchaus möglich wäre. Doch woran ich die ganze Zeit gedacht habe, ist eher, wie wunderschön Vermeers Bilder sind!"
    Zitate aus der Barockmusik
    Als Reminiszenz an die beschauliche Bilderwelt Vermeers flicht Lois Andriessen immer wieder Zitate aus der Barockmusik ein - darunter etwa Jean Baptiste Lullys Türkenmarsch aus Molières Theaterstück "Der Bürger als Edelmann".
    Ein Zitat, das Andriessen von seinem niederländischen Komponisten-Kollegen Michel van der Aa dann aber elektroakustisch verfremden lässt. Michel van der Aa sorgt in der Oper auch sonst für die bedrohlichen Zwischentöne, die 1672 in die beschauliche Frauenwelt eindringen: Denn 1672 ist als Katastrophenjahr in die niederländische Geschichte eingegangen.
    "Das Thema ist hier also nicht nur die liebenswerte Familie daheim. Sondern auch der Krieg – denn Holland war zu der Zeit im Krieg mit Frankreich, es gab viele Kämpfe und Sabotageakte. Und auf dieser Spannung basiert die Oper."
    Um den Einmarsch der Invasoren zu verhindern, waren damals ganze Landstriche absichtlich überflutet worden. Peter Greenaway, der das Libretto zu Andriessens Oper schuf und sie bei der Uraufführung 1999 in Amsterdam in Szene setzte, hat die Bühne damals durch entsprechende Videoprojektionen gewissermaßen "unter Wasser" gesetzt, außerdem die Traumata der Menschen gezeigt.
    In Heidelberg ist davon kaum etwas zu spüren. Einzig ein alter Kupferstich mit Kriegsszenen wird kurz auf die Bühne projiziert. Ohne Gegensätze aber dümpelt der Abend schon bald allzu harmlos im banalen Waschalltag der Frauen dahin. Das allerdings ist hier schön anzusehen - und anzuhören: Dank der Sängerinnen Hye-Sung Na, Irina Simmes und Elisabeth Auerbach sowie des Chors und Orchesters, die Dirigent Dietger Holm versiert durch Andriessens komplexe Klangwelt schleust.