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Opernfestival von Pesaro
"Armida" und "Aureliano in Palmira" feiern Premiere

Von Dieter David Scholz | 15.08.2014
    Ein Terzett für drei Tenöre konnte nur Rossini einfallen: Randall Bills, Dmitry Korchak und der herausragende Antonino Siragusa singen es in der Oper "Armida", mit der das Festival eröffnete. Rossini verlangt in diesem "Dramma per musica" nicht weniger als sechs Tenöre. Wo außer in Pesaro wagte man heute, diese Oper auf den Spielplan zu setzen. Zu schweigen von der Titelpartie, für die man eigentlich eine zweite Callas benötigte.
    Carmen Romeu ließ leider zu wünschen übrig. Dabei ist das Stück, frei nach Episoden aus dem Epos "Das befreite Jerusalem" von Torquato Tasso eine bühnenwirksame Zauberoper. Luca Ronconi, neben Giorgio Strehler der Altmeister unter den großen italienischen Regisseuren, hat den Konflikt zwischen Christen und Heiden, zwischen der Liebe der Zauberin Armida und dem Ritter Rinaldo als Hommage ans sizilianische Marionettentheater inszeniert.
    Die musikalische Lesart der 1817 im Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführten Oper von Dirigent Carlo Rizzi offenbart eindrucksvoll den Romantiker Rossini , der mit unerwarteten Delikatessen der Instrumentierung und enormem melodischen Einfallsreichtum aufwartet. Trotzdem ist es ein langer Abend! Es ist die erste Aufführung der soeben erschienenen historisch-kritischen Ausgabe des Werks durch die Fondatione Rossini in Pesaro. Künstlerischer Direktor des Festivals und die graue Eminenz in Sachen Rossini, Alberto Zedda:
    "Das bedeutet, dass wir die Oper komplett und strichlos aufführen, wie es bei diesem Festival üblich ist, auch wenn wir nicht unbedingt alle Längen der Partitur gutheißen."
    Die zweite Neuproduktion des Festivals ist eine halbszenische Aufführung des "Barbiere di Sivigla", die Studenten der Accademia di Belle Arti di Urbino verantworten, eine in ihrer schlingensieffhaften Projektions- und Kommentierungswut verwirrende Mischung aus Mittelmaß und Mätzchen.
    Giacomo Sagripanti immerhin gibt seinen vielversprechenden Einstand als Nachwuchsdirigent in Pesaro. Und ein junger Tenor namens Juan Francisco Gatell aus Buenos Aires als Conte d´Almaviva lässt aufhorchen. Dem künstlerischen Nachwuchs gilt denn auch das besondere Interesse des Rossini-Forschers und -dirigenten Alberto Zedda, der seit 1980 auch Leiter der Áccademia Rossiniana ist, der weltweit einzigartigen Ausbildungsstätte für Rossinigesang. Woher stammen die ungehörten Stimmen, die neuen Talente, die er alljährlich präsentiert?
    "Es ist kein Geheimnis. Ich lasse vorsingen und meine Erfahrung sagt mir sehr schnell, wer geeignet ist. Wenn die Sänger eine gute Technik haben und gute Musiker sind, dann kann ich sie in wenigen Wochen zu Rossini-Sängern entwickeln. Es ist bei Rossini doch wie beim Kochen: Kochen ist eine Art von Kreativität, bei der man aus einfachen Zutaten etwas Köstliches zaubert. Jeder kann Rossini singen! Er braucht nur Fantasie, Kreativität und einen theatralischen Sinn, Imagination, das ist es!"
    Auch in der dritten Neuproduktion des diesjährigen Festivals, im selten gespielten "Dramma serio" "Aureliano in Palmira", trumpft man in Pesaro mit einem großartigen Nachwuchstenor auf, mit dem US-amerikanischen Sänger Michael Spyres , der schon letztes Jahr in Pesaro debütierte, nun aber seine erste große Titelpartie singt, den römische Kaiser Aurelian. Und er stiehlt allen übrigen Sängern der Oper die Show.
    Der aus Neapol stammende Filmemacher und Regisseur Mario Martone zeigt das exotische Imperialistenstück über Liebe, Treue und Eifersucht als orientalisch-exotische Kostümparade in einem Labyrinth aus transparenten, nach und nach sich verflüchtigenden Schleierwänden.
    Vielleicht muss man diese Produktion gesehen haben, um zu wissen, dass man das musikalisch noch arg konventionelle Stück, das Rossini 1813 für die Mailänder Scala schrieb, einer seiner wenigen Misserfolge zu Lebzeiten, eigentlich nicht gesehen und gehört haben muss (obwohl Dirigent William Crutchfield ihm ordentlich Beine zu machen versuchte). Aber auch das gehört ja zu den Vorzügen des Rossini-Festivals in Pesaro, dass es den "ganzen" Rossini präsentiert, also auch diejenigen Stücke (es sind nicht viele), die keine "Meisterwerke" sind.