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Operninszenierungen auf Reisen
Tausche Troubadour gegen Carmen

Opernhäuser sind in der Regel stolz auf ihre eigenen Inszenierungen großer Werke. Es kommt aber auch vor, dass die Regiearbeit eines anderen Hauses übernommen wird - mit Bühnenbild, Kostümen und Choreographie. Ist das Etikettenschwindel? Oder legitime Strategie einer teuren und bedrängten Kunstform?

Von Franziska Stürz | 07.02.2018
    Anna Goryachova als Carmen am Royal Opera House in London
    Anna Goryachova als Carmen am Royal Opera House in London (Royal Opera House London, Foto: Bill Cooper)
    Premiere oder nicht Premiere? Das ist auch im Publikum die große Frage anlässlich der neuen Londoner Carmen: Die Dame zur Linken findet, es sei die wichtigste Premiere der gesamten Spielzeit. Der Herr zur Rechten winkt ab und nennt sie kalten Kaffee aus Frankfurt. Für die Opern-begeisterte Britin zählt jedoch das Geschehen im Ausland nicht, sondern das hier und jetzt. Es kommt also wieder einmal auf die Perspektive an. Eine komplett neue Besetzung ist in London aufgeboten: Der Bamberger Chef-Dirigent Jakub Hrůša präsentiert sich mit großer Feinfühligkeit erstmals am Royal Opera House, der italienische Tenor Francesco Meli glänzt als Don José, und es gibt zwei hervorragende Hausdebüts der Sängerinnen von Carmen und Micaela. Junge, erstklassige, internationale Künstler sind hier mit vollem Einsatz zu erleben in Barrie Koskys nach wie vor eigenwilliger, neu gestalteter Version von Bizets Opernklassiker.
    Weltreisende in Sachen Oper
    Nach dem großen Erfolg der Carmen an der Oper Frankfurt 2016 hatte das Londoner Opernhaus Interesse an einer Übernahme signalisiert und mit Frankfurt einen Tauschhandel abgeschlossen: David Böschs Londoner Troubadour-Inszenierung im Austausch für diese Kosky-Carmen. Das Bühnenbild geht bei einer Übernahme nur auf Reisen, wenn das Stück nicht im Repertoire des Stammhauses steht. Sonst wird alles samt Kostümen vor Ort neu angefertigt. Groß Kosten sparen kann dann ein Opernhaus nicht, und für den Regisseur ist es auch ein ziemlicher Aufwand, sein Konzept mit einer völlig neuen Truppe wieder zu erarbeiten und vielleicht auch nochmal zu überdenken. Ein Arbeitstier wie Barrie Kosky schreckt das nicht ab. Er sitzt bereits heute im Flieger nach Australien, wo er erneut seine Londoner Version von Schostakowitschs "Die Nase" herausbringt, bevor die Produktion im Juni in Deutschland an der Komischen Oper dann ihre dritte Premiere feiern wird.
    Mittlerweile haben sich Intendanten und Opernschaffende weltweit in Organisationen vernetzt und tauschen ihre Erfahrungen und Neuigkeiten in regelmäßigen Treffen aus. Das Netzwerk Opera Europa hat beispielsweise über einhundert Mitglieder. Vorsitzender dieser Organisation ist der ehemalige britische Intendant Nicholas Payne: 30 Jahre lang hat er Opernhäuser geleitet und viel daraus gelernt. Er setzt auf das Teilen von Erfahrungen, damit die Opernwelt besser für die Zukunft gewappnet ist, denn die Existenz der Oper sei durchaus bedroht, meint Payne:
    "Koproduktionen oder Übernahmen sind also nicht einfach eine Möglichkeit , etwas Zeit und Geld zu sparen. Es geht da wirklich um das Teilen guter Ideen. Wenn man eine Produktion eines äußerst gefragten Regisseurs wie Kosky oder Herheim im eigenen Haus haben möchte, ist eine Übernahme eben schneller zu bekommen"
    Marktplatz für Opernproduktionen
    Kosky sei ein großartiger Kommunikator, meint Payne - wie übrigens viele andere in dem Geschäft auch. Fünf Jahre im Voraus ist der Kalender solcher Regisseure voll. Mit einer angemessenen Probenzeit lässt sich jedoch eher mal ein Termin für eine Übernahmeproduktion finden. Es gibt bei der großen Jahreskonferenz von Opera Europa einen sogenannten Marktplatz für Opernproduktionen. Ansonsten geht es bei internationalen Koproduktionen vor allem um gemeinsame Investitionen für die Entstehung neuer, guter Werke und um Vielfalt. Diese sei durch politische Entscheidungen wie den Brexit jetzt in Großbritannien sehr gefährdet, sagt Nicholas Payne. Oper folge Darwins Gesetz: Sie könne nicht überleben, ohne sich zu verändern, und man müsse unbedingt zusammenarbeiten, um die Ängste der Leute vor dem Fremden zu überwinden.