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Opernraritäten in Meiningen und Altenburg-Gera
Regina und Rübezahl

Vergessene Opern gibt es nicht nur in der Barockmusik: Auch im 19. und frühen 20. Jahrhundert wurden zahlreiche musikdramatische Werke erfolgreich uraufgeführt und verschwanden dann in der Versenkung. Das Attribut "Zu Recht vergessen" trifft dabei nicht immer zu. Das gilt auch für Lortzings "Regina" und Rübezahl" von Hans Sommer.

Von Claus Fischer | 22.03.2016
    "Es tut so gut, ein neues Stück kennenzulernen", betont der Schweizer Laurent Wagner, Generalmusikdirektor am Theater Altenburg-Gera.
    "Ich bin seit über 30 Jahren im Beruf jetzt. Und man spielt "La Traviata" und "Carmen" und Aida, "Boheme" usw. Und mal ein ganz neues Stück kennenzulernen und dabei nicht enttäuscht zu sein, das ist die reinste Freude für einen Musiker!"
    "Es ist halt insofern interessant, als es da nicht wirklich so eine Interpretationsgeschichte gibt und keine festgefahrenen Vorstellungen", meint der gebürtige Berliner Lancelot Fuhry, Gastdirigent am Meininger Theater.
    "Sondern man ist dann halt etwas freier als sonst da seine Vorstellungen zu entwickeln, nich, weil alle anderen Beteiligten ja auch noch keine Vorstellung haben."
    Musik: Lortzing, Regina, Ouvertüre
    Die Ouvertüre zu Albert Lortzings Oper "Regina" ist kurz und wenig spektakulär. Dramatische Passagen wechseln sich ab mit lyrischen Melodien. Doch dann bricht die Musik unvermittelt ab – Generalpause. So artikuliert Lortzing seine Bestürzung über ein vollstrecktes Todesurteil, nämlich die Hinrichtung des Dichters, Politikers und Freiheitskämpfers Robert Blum. Die Oper entstand im Revolutionsjahr 1848. Die erste Szene zeigt Arbeiter in einer Fabrik, die sich gegen deren Besitzer auflehnen und einen Streik planen.
    Musik: Lortzing, Regina, Männerchor
    Zu dieser aufgeheizten Stimmung kommt – wie kann es anders sein – eine Liebesgeschichte. Regina, die Tochter des Fabrikbesitzers, liebt Richard, den Geschäftsführer des Betriebs und möchte ihn heiraten. Verliebt in Regina ist aber auch Werkmeister Stephan. Er sinnt auf Rache und hat sich einer Bande von Freischärlern angeschlossen, die das Land mit Gewalt und Zerstörung terrorisiert.
    Musik: Lortzing, Regina, Männerchor
    Mit der Oper "Regina" hat Albert Lortzing de facto das Ende seiner Karriere besiegelt, denn im Zuge der Restauration nach 1848 wollte kein Impressario das Wagnis mehr auf sich nehmen, dieses Stück auf die Bühne zu bringen. Das, so der Dirigent der Meininger Produktion Lancelot Fuhry hatte natürlich mit Lortzings selbst verfasstem Libretto zu tun und nicht mit der Musik.
    "So revolutionär ist jetzt die Partitur an sich nicht, das ist schon eine für Lortzing und der Musik des 19. Jahrhunderts angemessene Musiksprache. Für Lortzing insofern ungewöhnlich, als es doch bei Weitem dramatischer ist und bei Weitem weniger "biedermeierlich", wie ihm vorgeworfen wird, also diese Abschnitte sind doch zurückgedrängt. Auch weniger Komik ist im Grunde genommen drin in der ganzen Oper und auch im Vergleich zu seinen sonstigen Werken."
    Was "Regina" mit "Zar und Zimmermann" oder dem "Wildschütz" verbindet sind die melodiösen Arien, die zum Teil "Ohrwurmqualitäten haben. In seiner Inszenierung orientiert sich der Meininger Oberspielleiter Lars Wernecke deutlich an der Historie, Bühne und Kostüme scheinen dem Jahr 1848 zu entstammen. Durch die nicht optimale Personenführung des Regisseurs erinnert das Ganze bisweilen jedoch eher an eine Bühnenfassung von Otfried Preusslers Kinderbuch vom "Räuber Hotzenplotz" als an ein ernstes Revolutionsdrama. Die "Werktreue", mit der Lars Wernecke zu Werke ging, hat aber auch ein Gutes: man kann sich auf die Qualität der Musik konzentrieren.
    Musik: Sommer, Rübezahl, Ouvertüre
    Auch die Handlung von Hans Sommers Oper "Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße" kreist um Zustände wie Unterdrückung und Revolution. Die Bürger der schlesischen Stadt Neiße werden von Buko, einem tyrannischen Stadtvogt geknechtet und planen den Aufstand. An dessen Spitze stellt sich – mehr oder weniger freiwillig – Wido, ein Kunstmaler. Wie es das Schicksal will, verliebt er sich ausgerechnet in Getrud, die Tochter des Tyrannen. In seiner Not geht er in den Wald und ruft den sagenhaften Berggeist Rübezahl, meisterhaft verkörpert durch den jungen Baßbariton Magnus Piontek, um Hilfe.
    Musik: Sommer, Rübezahl
    Der Komponist Hans Sommer war das, was man gern einen "Spätberufenen" nennt. In seinem ersten Leben war er Professor für Physik und Mathematik in Braunschweig, machte unter anderem durch innovative Forschungsergebnisse in Sachen Krümmung von Linsen für Ferngläser von sich reden. Parallel dazu studierte er Musik und schloss Freundschaft mit Richard Strauss. Der dirigierte denn auch die Uraufführung der Rübezahl-Oper am Theater Braunschweig im Jahr 1904. Die Partitur, betont Laurent Wagner, Generalmusikdirektor am Theater Gera, ist, wie damals üblich, stark von der Tonsprache Richard Wagners beeinflusst.
    "Vor allem in den dramatischen Stellen, in manchen lyrischen Stellen auch. Sogar an den witzigen Stellen fühlt man sich an die "Meistersinger" erinnert. In der Orchestrierung aber ist er irgendwie differenzierter, feiner als Wagner. Man merkt da die Nähe zu Richard Strauss. Also ein Akkord ist nicht unbedingt jetzt für drei Posaunen und eine Tuba oder zwei Klarinetten und zwei Fagotte, das ist einmal eine zweite Klarinette, ein dritte Trompete, die zweiten Geigen und ein Horn – an vier verschiedenen Ecken vom Orchestergraben."
    Musik: Sommer, Rübezahl
    Nicht nur Wagner und Strauss, auch Robert Schumann war für Hans Sommer ein wichtiges kompositorisches Vorbild. So entnimmt er zum Beispiel das Leitmotiv für den Berggeist Rübezahl, der sich als Sackpfeifer, sprich Piccolo-Flötenspieler unter die Menschen mischt, Schumanns frühem Klavierzyklus "Papillons". Aber nicht nur das.
    "Ich denke an manche also harmonischen Vorgänge, die ganz, ganz klar von Schumann erfunden wurden, die man sogar in der Schule als Schumannsche Wendungen lernt. Es gibt viel von Liszt auch, man weiß ja, dass der Sommer bei Liszt studiert hat."
    Musik: Sommer, Rübezahl
    Im Vergleich zur Produktion von Lortzings "Regina" in Meiningen hatte die Inszenierung von Hans Sommers "Rübezahl"- Oper am Theater Gera bessere und poetischere Qualität. Regie führte der Intendant des Hauses Kay Kuntze. Er siedelte die Szenerie zum großen Teil auf der überdimensionierten Farbpalette eines Malers an, dem zentralen Attribut des Protagonisten Wido. Mit Hilfe der Drehbühne verwandelte sich diese Palette mal in ein Spielgerüst für die aufständischen Bauern oder in die Stube des Tyrannen Buko. Das Regiekonzept von Kay Kuntze hatte in gewissem Sinn einen christlich-religiösen Impetus.
    Da die Menschen mit ihren beschränkten Sinnen den Geist Rübezahl nicht zu erkennen in der Lage sind, zeigt er sich ihnen in unterschiedlicher Gestalt, unter anderem der des "Sackpfeifers". Am Ende, wenn durch seine Macht der Tyrann Buko besiegt ist und die beiden Liebenden Getrud und Wido zusammenkommen, sieht man ihn aber als verschwommene Lichtgestalt, als Erlöser nach oben, zum Himmel schweben.
    Musik: Sommer, Rübezahl
    Hans Sommers "Rübezahl und der Sackpfeifer von Neiße" geriet wahrscheinlich deshalb in Vergessenheit, weil der Komponist keinen Verleger finden konnte, der die Partitur herausbringen wollte. Aus heutiger Sicht ist das unverständlich; die Oper hat ebenso wie auch Albert Lortzings "Regina" in jedem Fall das Potenzial, zum Repertoirestück zu werden.