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Opernsterben im Zitronenland

Die gefeierte Mezzosopranistin Cecilia Bartoli ist auf den Bühnen ihres Heimatlands Italien nur selten zu erleben. Denn, so Bartoli, die Opernhäuser dort seien fast alle in einem schrecklichen Zustand. Oper sei in Italien ein Museum mit verstaubten Exponaten. In dieser Woche trat überraschend der Intendant des Napoletanischen Theaters, Gioacchino Lanza Tommasi zurück.

Von Thomas Migge | 15.09.2007
    " Das San Carlo genießt nach wie vor internationales Ansehen. Wenn die Politiker mir ihr Vertrauen entziehen, fehlt mir die wichtigste Unterstützung für mein ehrgeiziges Ziel, die Qualität dieses Theaters hoch zu halten. Seit einiger Zeit schon versucht die politische Szene dieses Theater an den Rand der Aufmerksamkeit zu drängen,"

    klagt Giacchino Lanza Tommasi. Der bekannte Opernexperte war bis vor wenigen Tagen Intendant des 1737 gegründeten Opernhauses von Neapel, eine der berühmtesten und ältesten Bühnen der Welt. Es ist Tradition, dass Neapels Bürgermeisterin und der Präsident der Region Kampanien bei der feierlichen Präsentation der jeweils kommenden Saison - die am 5. Dezember mit einem von Jeffrey Tate dirigierten "Parsifal" beginnen wird - anwesend sind. Lanza Tommasi verstand die illustre Abwesenheit als Wink mit dem Zaunpfahl - und trat zurück. Er ist davon überzeugt, dass die Politiker ihn bewusst meiden, weil sein Haus mit über 20 Millionen Euro verschuldet ist.

    Lanzas Tommasi Theaterpolitik wurde in den letzten Jahren immer wieder weltweit gewürdigt. Pro Saison bot er acht Neuproduktionen, sparte nie an der Besetzung. Ihm gelang es, große Dirigenten und bedeutende italienische wie internationale Künstler zu verpflichten, wie zum Beispiel Mimmo Paladino und Julian Schnadel, die Bühnenbilder und Kostüme schufen. Neben der Scala in Mailand gilt das San Carlo als wichtigstes italienisches Opernhaus. Giacchino Lanza Tommasi sparte an nichts, denn, erklärt er, Oper müsse man richtig machen oder gar nicht:

    " Es gibt drei Motive, um ein Opernhaus offen zu halten: Erstens muss es absolute Qualität bieten, zweitens auch unbekanntere Opern aufführen und drittens das moderne Regietheater berücksichtigen. Dieses Haus ist so wichtig, dass es mehr Geld benötigt, als es zur Verfügung hat. Das hier ist ein nationales Monument."

    Eine Einschätzung, die von Italiens Politikern nicht mehr geteilt wird. Im Zuge einer von der Kulturszene heftig kritisierten Sparaktion durch den italienischen Staat wurden die Finanzspritzen für alle italienischen Musiktheater im Vergleich zum letzten Jahr um rund 20 Prozent gekürzt. Tommasi Lanza ignorierte zunächst diese für ihn unverständliche Sparsamkeit und nahm weitere Schulden auf. Vor zwei Wochen präsentierte ihm Kulturminister Francesco Rutelli dafür die Rechnung: Rutelli nominierte einen hohen Mitarbeiter, Salvatore Nastasi, zum kommissarischen Verwalter des San Carlo. Nastasi, der sich bereits als Sanierer des ebenfalls verschuldeten Festivals "Maggio Fiorentino" in Florenz einen Namen machte, muss nun die fatalen Bilanzen wieder ins Gleichgewicht bringen. Programmstreichungen und die Entlassung eines Teils der 465 Mitarbeiter werden erwartet. Nicht ausgeschlossen ist, dass Nastasi das San Carlo komplett privatisieren will. Ein Unding für Elettra de Martini, Mitglied der Vereinigung "Freunde des San Carlo":

    " Es handelt sich bei dieser Maßnahme um einen der vielen Versuche, Kultur nur unter ökonomischen Gesichtspunkten zu sehen. Entweder machen wir qualitativ gutes Operntheater oder aber, so mein Vorschlag, wir schließen das Haus. Das muss klar gesagt werden."

    Einer der Auslöser für die finanziellen Probleme der staatlichen Opernhäuser war die Entscheidung der Regierung Berlusconi, die Theater in Stiftungen zu verwandeln. Diesen Stiftungen wurden die staatlichen Finanzmittel um bis zu 50 Prozent gekürzt - in der Hoffnung, dass private Sponsoren die Geldlücken schließen würden. Ein Traum, der sich nicht erfüllte. Mit verheerenden Folgen für die Häuser. Die Regierung Prodi änderte nichts an dieser Situation - obwohl sie es während des Wahlkampfes versprochen hatte. Jetzt drückt der Schuh nicht nur in Neapel. Das San Carlo könnte zu einem Fanal für weitere komissarische Verwaltungen werden, denn auch das La Fenice in Venedig, die Staatsoper in Rom und das Teatro Massimo in Palermo haben Schulden.

    Riccardo Muti ist neben Claudio Abbado einer der schärfsten Kritiker der staatlichen Sparmaßnahmen in punkto Musiktheater. Muti arbeitet seit seinem Weggang von der Scala primär als Operndirigent im Ausland. In Italien, meint er in Bezug auf den Fall des Teatro San Carlo, entstand das Genre Oper und deshalb müsse der Staat Geld in die Opernkultur investieren:

    " Die Italiener haben ihre Beziehungen zur Musik aufgegeben. Das liegt vor allem daran, dass die Politik nicht in die musikalische Erziehung investiert, Budgets für Opernhäuser radikal zusammenstreicht und ganz generell kein Interesse an der Opernkultur hat. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es so viele geschlossene Theater wie in Italien! ."