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Opioid-Krise in den USA
"Was noch nicht bekannt ist, ist noch nicht illegal"

Wenn Schmerzmittel nicht mehr ausreichen, greifen viele medikamentenabhängige Menschen in den USA zu illegalen Alternativen. Jeden Tag sterben im Schnitt 91 Personen an einer Überdosis. Toxikologen beobachten, dass die Hersteller die chemische Zusammensetzung ihrer Substanzen ständig verändern.

Von Michael Stang | 21.02.2018
    Spritze, Löffel, Feuerzeug - Utensilien, die zum Heroinkonsum genutzt werden.
    Jedes Jahr gibt es zehntausende Opioid-Tote in den USA (picture alliance / dpa / Marcus Simaitis)
    "Aktuell haben wir umfassende Daten aus USA von 2016 vorliegen, wonach es 64.000 Opioid-Tote gegeben hat. Allein in unseren Laboren in Pennsylvania hatten wir innerhalb von 18 Monaten rund 17.000 Todesfälle, die mit dem Missbrauch des synthetischen Opioids Fentanyl zusammenhängen", sagt der forensische Toxikologe Barry Logan.
    Er ist Chefwissenschaftler der Labore des US-Gesundheitsdienstes NMS. Fentanyl wird in der Anästhesie und der Schmerztherapie eingesetzt. Auch die Opioide wie Oxycodon und Hydrocodon gehören zu den potenten Schmerzmitteln, die in den USA massenweise konsumiert werden – mit gravierenden Folgen. Die meisten Toten sind weiße Männer zwischen 45 und 55 Jahren.
    "Zwischen 2015 und 2016 hat sich die Zahl der Opioid-Toten in den USA mehr als verdoppelt. Im Jahr darauf hat sich der Anstieg verlangsamt. Unsere Daten deuten an, dass der Zuwachs nur noch bei 40 Prozent gegenüber den Todesfällen von 2016 liegt. Die Zahl nimmt nicht mehr so stark zu, aber es ist weiter eine Steigerung."
    Hersteller wechseln ständig ihre Rezepturen
    Das Problem, so Logan, sei die Dosis. Viele Menschen nehmen regelmäßig Schmerzmittel in Dosen von teilweise 80 Milligramm. Eine herkömmliche Einheit liege hingegen bei nur fünf Milligramm. Die Folge ist bei vielen ein Gewöhnungseffekt. Die Medikamente schlagen nicht mehr an. Daher suchen viele Abhängige nach Alternativen und beginnen Substanzen zu konsumieren, die stärker sind. Die meisten davon machen stark abhängig und sind illegal. In vielen Laboren werden synthetische Opioide hergestellt. Genau dort müssen sie ansetzen, meint der Toxikologe, damit sie überhaupt eine Chance gegen die Epidemie haben:
    "Aus Forschungssicht stellen wir fest, dass die Hersteller die chemische Zusammensetzung ihrer Substanzen ständig verändern. Denn: Was noch nicht bekannt ist, ist noch nicht illegal. Aus chemischer Sicht bedeutet das, dass wir die neuen Substanzen schnell identifizieren müssen und das heißt für die Politik, dass neue Wege gefunden müssen, um zeitnah darauf zu reagieren."
    Das bedeutet: Nur wenn die neuen Substanzen bekannt sind, können sie als illegal deklariert werden und erst dann hat die Strafverfolgung ein Mittel in der Hand. Wenn illegale Labore geschlossen werden, wird der Markt nicht mehr so stark geflutet. In den USA gebe es mittlerweile eine hohe Nachfrage an Schmerzmitteln und Opioiden. Das muss sich ändern – die Politik ist gefragt.
    Trump-Administration will Geld bereitstellen
    Mitte 2017 hatte der republikanische Gouverneur Chris Christie als Vorsitzender einer Expertenkommission einen Bericht veröffentlicht, in dem er die Ausrufung eines Gesundheitsnotstandes vorschlug. Donald Trump folgte dieser Empfehlung. Anfang 2018 verkündete der US-Präsent, dass seine Regierung sechs Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung der Opioid-Krise bereitstellen will. Ob es dazu kommt, steht aber noch in den Sternen, so Barry Logan.
    "Dass die Trump Administration Geld bereitstellen will, um sich dieses Problems anzunehmen, ist aber nur ein Anfang. Programme wie die Bereitstellung des Opioid-Antagonisten (*) Naloxon hat etwa viele Menschenleben gerettet. Gleichzeitig ist es aber auch ein Problem, wenn die Leute wissen, dass es dieses Mittel gibt und es als Absicherung für ihren Drogenmissbrauch nutzen."
    Solche Antagonisten setzen an den entsprechenden Rezeptoren an und verdrängen das Opioid. Das hat zur Folge, dass die Patienten meist schlagartig erwachen und starke Entzugserscheinungen verspüren. Das Problem: Manche Antagonisten wirken deutlich kürzer als die Opioide. Wenn ein Patient nach der Einnahme versucht, seine Entzugserscheinungen zu lindern und erneut zu einem Opioid greift, besteht die Gefahr einer Überdosierung. Eine Lösung, um die Epidemie zu beenden, sei daher so schnell nicht in Sicht, gibt sich der Wissenschaftler pessimistisch.
    "Ich sehe nicht, dass das Problem verschwindet. Was wir tun können ist: die Strafverfolgung stärken, um die Verfügbarkeit der neuen, meist noch potenteren Substanzen zu erschweren. Und dann müssen wir die Leute aufklären."
    (*) Anmerkung der Redaktion: Im ursprünglichen Beitrag wurde hier ein falsches Wort verwendet. Das Manuskript als auch der Beitrag wurden geändert.