Billigkonsum

Bitte nicht noch mehr Ramsch!

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Personen vor einem Schaufenster mit der Aufschrift "Alles muss raus" in der Altstadt Luzern, fotografiert am Dienstag den 26. Juni 2018
"Alles muss raus": Das war nicht immer so, erinnert sich Arno Frank. © picture alliance / Keystone / Alexandra Wey
Ein Einwurf von Arno Frank    · 08.05.2019
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Dank Online-Schnäppchen-Boom: Immer mehr Läden in den Städten stehen leer - und da ziehen dann Billigmärkte ein, in denen genauso Waren verschleudert werden. Der Konsum für die Müllhalde werde zum Dauerzustand, klagt der Publizist Arno Frank.
Während alle Welt von der Gentrifizierung redet, fällt kaum jemals ein Wort über das umgekehrte Phänomen. Nicht die Veredelung, sondern die ästhetische wie ökonomische Verelendung weiter Teile unserer Städte. Dabei erlaubt auch diese Entwicklung Rückschlüsse auf den prekären Zustand, in dem die Bewohner entsprechender Viertel befangen sind. Im infrastrukturellen Nirgendwo, umzingelt von wertlosem Ramsch.

Jede sechste Internetbestellung geht retour

"Wer billig kauft", sagt der Volksmund, "kauft zweimal". Wer online kauft, könnte man hinzufügen, kauft noch billiger – und schickt es deshalb oft zurück. Nach aktuellen Zahlen geht jede sechste Bestellung im Internet wieder retour. Kostet ja nichts – jedenfalls nicht auf den ersten Blick.
Während draußen die Paketboten unter der Masse an Tand zu ersticken drohen, lassen wir uns zu Hause fernöstliche Entrümpelungstipps als Weisheit verkaufen. Weil wir spüren, dass toxischer Überfluss eine besondere Form von Elend bedeutet – ein schwaches Echo auf die elenden Zustände, unter denen unser Ramsch anderswo billigst produziert wird. Aber anderswo ist anderswo und schnell vergessen. Also "ramschen" wir weiter.

Die Ramschstrategie lautet: Alles muss raus!

"Ramschen" ist ein seltsames Wort. Als Verb bezeichnet es das gierige Zusammenraffen von Zeug, aber auch sein exaktes Gegenteil: das Verschleudern von minderwertiger Ware. Dabei darf Ramsch nicht Ramsch heißen, weil das weder dem Verkäufer noch dem Käufer schmeichelt. Dafür taucht er als vernichtender Kampfbegriff der Finanzwelt auf, wenn etwa die Staatsanleihen eines Landes für Investoren nicht mehr vertrauenswürdig sind. Dann sinkt die Türkei auf "Ramschniveau".
In der Konsumwelt wird lieber vom flotten "Discounter" gesprochen, vom pfiffigen "Ein-Euro-Shop" oder, im Buchhandel, ganz vornehm vom "modernen Antiquariat". Immer muss alles raus. Aber das war nicht immer so. Und deshalb sind Fernsehsendungen wie "Kunst und Krempel" oder "Bares für Rares" ein Publikumsrenner.
Sie leben von der Hoffnung, das Erbstück von Tante Elfriede sei vielleicht doch kein scheußlicher Tinnef. Sondern ein unerkannter Schatz, der finanziellen Gewinn verspricht. Die Vorstellung, dass ein Gegenstand – und sei er noch so billig oder zwecklos – einen ideellen Wert haben könnte, ist etwas für Kinder, oder die sentimentale Tante Elfriede.

Dauerkonsum-Verweigerer werden überlistet

Wir hingegen werden inzwischen eben häufiger als "Verbraucherinnen und Verbraucher" angesprochen, seltener als Bürgerinnen und Bürger. Und die Verbraucher müssen eben besinnungslos verbrauchen. Das verspricht kurzfristige Befriedigung und kommt wenn schon nicht dem Klima, so doch dem Konsumklima zugute. Und wer sich dem Dauerkonsum verweigern will, wird überlistet.
Denn kaufen wir keinen Schrott, helfen Hersteller bisweilen nach, um ihre Produkte schneller in Schrott zu verwandeln: Mit kleinkriminellen Tricks wie der sogenannten "geplanten Obsoleszenz", bei dem dieser Plastiknippel an der Qualitätswaschmaschine kurz nach Ablauf der Garantie den Geist aufgibt – und eine Reparatur, wie immer, sinnlos ist. Ein neues Produkt ist billiger. Wahlweise gibt es nach wenigen Jahren für das teure Smartphone kein Sicherheits-Update mehr – oder versteckte Funktionen mit dem einzigen Zweck, die Software so sehr abzubremsen, dass jetzt "echt mal ein neues" Gerät fällig wird. Auf diese Weise wird Edelramsch produziert und eben gekauft.
So wird mit stetig steigender Beschleunigung Blödes verkauft an Leute, die sich für blöd verkaufen lassen. Ramsch, könnte man meinen, scheint auch ein weit verbreiteter Geisteszustand zu sein. Immerhin dagegen ließe sich etwas tun.

Arno Frank, geboren 1971 in Kaiserslautern, ist Publizist. Von 1999 bis 2011 war er bei der Tageszeitung "taz" in verschiedenen Funktionen tätig – zuletzt als Ressortleiter des von ihm mitgegründeten Gesellschaftsteils. Seit 2012 schreibt er frei, unter anderem für den "Spiegel", "Spiegel Online", "Die Zeit", das Gesellschaftsmagazin "Dummy", den "Fluter" und nach wie vor für die "taz". Als Essayist und Schriftsteller veröffentliche er bisher "Meute mit Meinung – Versuch über die Schwarmdummheit" (Kein & Aber, Zürich 2013), "Mehr Musenküsse – Die täglichen Rituale berühmter Künstler" (mit Mason Currey, Los Angeles, Kein & Aber, Zürich 2015) sowie den Roman "So, und jetzt kommst du" (Klett-Cotta/Tropen, Stuttgart 2017).

Der Autor, Publizist und Journalist Arno Frank
© picture alliance / ROPI / Anna Weise
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