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Optionen im Krim-Konflikt
Live-Brennpunkt: Druck und Gegendruck

Die EU-Außenminister setzen in Brüssel um, was sie Russland seit Tagen angedroht hatten: Sanktionen gegen Moskau. Konkret heißt das: Sperrung von Konten und Einreiseverbote für bestimmte Personen. Damit reagieren sie auf das pro-russische Krim-Referendum - und wollen Russlands Präsident Putin stoppen.

Mit Beiträgen von Jörg Münchenberg, Stefan Maas und Marcus Pindur | 17.03.2014
    Menschen mit Russland-Fahnen jubeln auf dem Lenin-Platz in Simferopol auf der Krim.
    Menschen mit Russland-Fahnen jubeln auf dem Lenin-Platz in Simferopol auf der Krim. (dpa / pa / Hannibal Hanschke)
    "Wir sind leider nicht so weit, dass wir das, was in den letzten Tagen und Wochen immer wieder beschrieben worden ist, die drohende Spaltung Europas, schon überwunden haben."
    Moderatorin Katrin Michaelsen: Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Was aber ist zu tun, um genau diese Spaltung Europas abzuwenden? Darüber haben die EU-Außenminister in Brüssel beraten und sie haben entschieden: Sie setzen um, was sie Russland seit Tagen angedroht haben, und das sind Sanktionen. Konkret heißt das: Sperrung von Konten und Einreiseverbote für bestimmte Personen. Damit wollen die Minister den russischen Präsidenten Wladimir Putin stoppen, damit reagieren sie auf das umstrittene pro-russische Referendum auf der Krim. Was bedeutet dieser Schritt nun für den Krim-Konflikt? Wie stark erhöht er den Druck, und welche Verhandlungsoptionen gibt es noch? Darum soll es in den kommenden 20 Minuten gehen. Am Mikrofon begrüßt Sie dazu Katrin Michaelsen. Und um die Geschehnisse einzuordnen, ist uns in Berlin Jörg Baberowski zugeschaltet, er ist Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität und der Autor zahlreicher Bücher zur Geschichte der Sowjetunion. Guten Tag, Herr Baberowski!
    Jörg Baberowski: Ja, guten Tag!
    Michaelsen: Herr Baberowksi, die EU beschließt Sanktionen gegen Russland. War das ein unvermeidlicher Schritt?
    Baberowksi: Ja, wenn man es an den Erwartungen misst, war es ein unvermeidlicher Schritt. Man kann ja nicht drohen und am Ende nichts tun. Die Frage ist nur am Ende: War es auch ein kluger Schritt? Und auf diese Frage würde ich antworten, ganz klar: Nein. Es war kein kluger Schritt, ganz abgesehen davon, dass Putin nun im Inneren Russlands genau darauf hinweisen kann, worauf er immer hingewiesen hat: dass der Westen ein Feind Russlands sei. Das stärkt seine Position eher, als dass es sie schwächt.
    Michaelsen: Wir werden darüber weiter im Laufe der Sendung sprechen. Jetzt gehen wir erst mal nach Brüssel. Es war nämlich ein Balanceakt, den die EU-Außenminister heute absolvieren mussten. Auf der einen Seite wollten sie ein starkes und unmissverständliches Signal Richtung Moskau senden, auf der anderen Seite aber war es ihr Ziel, alle diplomatischen Kanäle weiter offenzuhalten. Ob dieser Balanceakt gelungen ist und gegen wen genau sich die Sanktionen richten, dazu aus Brüssel Deutschlandfunk-Korrespondent Jörg Münchenberg.
    Beitrag Jörg Münchenberg:
    Am Ende ging es relativ schnell: Erwartungsgemäß haben die 28 EU-Außenminister heute weitere Sanktionen gegen Russland beschlossen, denn Europa betrachtet das Referendum auf der Krim für einen Beitritt zu Russland als illegal und Bruch der ukrainischen Verfassung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier:
    "Das ist ein Einschnitt, bei dem fast alle rund um den Tisch gesagt haben: Das ist ein Einschnitt, bei dem wir nicht ohne weiteres zur Tagesordnung übergehen können."
    Hatte die Union zunächst in einem ersten Schritt Visa-Erleichterungen für Russland auf Eis gelegt, hat sie heute nun in der zweiten Eskalationsstufe Konten gesperrt sowie Einreiseverbote ausgesprochen. Noch ist der Umfang der Namensliste eher überschaubar, sie kann aber jederzeit erweitert werden. Europa habe jetzt handeln müssen, betonte die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton.
    "Da es bislang keine positiven Signale aus Russland gibt und nach den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs haben wir heute die zusätzlichen Maßnahmen beschlossen. Das betrifft 21 Personen aus Russland und der Ukraine, die für die Bedrohung der Unabhängigkeit der Ukraine mitverantwortlich sind. Die Namen der Betroffenen werden noch heute veröffentlich."
    Die Sanktionen betreffen vor allem Politiker der Krim sowie der russischen Duma, aber auch drei Militärs, darunter ist auch der Kommandeur der Schwarzmeerflotte. Die Strafmaßnahmen greifen mit der Veröffentlichung im "Amtsblatt" und sind dann zunächst auf sechs Monate beschränkt. Die Sanktionsliste steht beispielhaft für die bisherige außenpolitische Strategie der EU gegenüber Russland in der Ukraine-Krise: den Druck soweit notwendig erhöhen, gleichzeitig will man sich aber den außenpolitischen Handlungsspielraum soweit wie möglich erhalten. Frank-Walter Steinmeier:
    "Die Liste in der Qualität würde man verändern, wenn man jetzt tatsächlich sozusagen die obere Entscheidungsspitze in Russland mit auf die Liste gesetzt hätte. Das war aber nach Auffassung der Außenminister heute nicht der Zeitpunkt, darüber zu entscheiden. Wir müssen jetzt sehen, dass wir in den nächsten Stunden, in den nächsten wenigen Tagen mit anderen Instrumenten dazu kommen, die Eskalation in der Ukraine zu vermeiden."
    Denn es gibt nicht Wenige, die einen neuerlichen Kalten Krieg zwischen Russland und dem Westen befürchten, zumal dieser in letzter Konsequenz auch wirtschaftlich ausgetragen werden könnte durch gegenseitige Sanktionen und einen Lieferstopp von russischer Energie nach Europa. Auch deshalb sind schärfere Strafmaßnahmen in einigen Mitgliedsländern höchst umstritten, doch faktisch bleibt in der aktuellen Lage nicht mehr als ein Appell. Der Außenminister von Luxemburg Jean Asselborn:
    "Russland ist isoliert im Sicherheitsrat, Russland hat viel Kritik einstecken müssen, sogar von den eigenen Partnern wie Weißrussland, wie Armenien, wie Kasachstan. Der Rubel ist 20 Prozent gefallen. Man hat Angst vor Russland. Das ist schlecht für Investoren, das ist sehr, sehr schlecht für die Wirtschaft."
    Doch die EU muss sich vorbereiten, und so stand heute bei den Außenministern auch ein Gespräch mit Energiekommissar Günther Oettinger über die Energiediplomatie auf der Agenda. Immerhin bezieht allein Deutschland rund 30 Prozent seiner gesamten Öl- und Gasimporte aus Russland. Im Baltikum und einigen osteuropäischen Staaten liegt die Versorgungsquote sogar noch deutlich höher.
    Moderatorin Michaelsen: Die EU setzt Russland mit Sanktionen unter Druck, aus Brüssel berichtete Jörg Münchenberg. Auch die USA haben auf das russische Vorgehen auf der Krim reagiert: Sie haben mit der EU gleichgezogen und ranghohe russische und ukrainische Vertreter auf eine Sanktionsliste gesetzt. Aus Washington Marcus Pindur.
    Beitrag Marcus Pindur:
    Zwei Spitzenberater aus dem engeren Kreis um Wladimir Putin seien in der Gruppe von elf Personen, die mit Einreiseverboten und Kontensperrungen belegt würden, hieß es aus dem Weißen Haus. Diese Form der Sanktionen, gezielt gerichtet auf Personen, die unmittelbaren Anteil an der russischen Invasion auf der Krim haben, war bereits vor anderthalb Wochen angekündigt worden. Am Tag nach dem Referendum in der Ukraine, das die USA nicht anerkennen, zog Obama heute die Sanktionsschraube weiter an.
    Barack Obama:
    "Ich habe heute eine neue präsidenzielle Direktive unterschrieben, mit der diese Sanktionen ausgeweitet werden. Als ersten Schritt werden wir Funktionäre in der russischen Regierung und der russischen Waffenindustrie ins Visier nehmen und Personen, die russischen Regierungsbeamten materielle Unterstützung zukommen lassen."
    Falls Russland sich weiter in die ukrainischen Angelegenheiten einmischt, können diese Sanktionen noch ausgeweitet werden. Dies geschehe in enger Abstimmung mit der Europäischen Union. Vizepräsident Joe Biden wird auf eine Rückversicherungsmission nach Europa geschickt. Noch heute Nacht fliegt Biden zu Besuchen nach Polen, Estland, Lettland und Litauen. Obama selbst reist nächste Woche zum EU-USA-Gipfel nach Europa.


    Russlands Präsident Wladimir Putin und sein US-Kollege Barack Obama im Gespräch
    Putin und Obama: Beziehungen am Tiefpunkt (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
    Erstmals erwähnte Obama in einem Statement zur Ukraine auch die gegenseitige Beistandsverpflichtung der NATO-Länder. Als NATO-Verbündete seien die USA ernsthaft zur gemeinsamen Verteidigung verpflichtet. Besonders die osteuropäischen Staaten hatten in den vergangenen zwei Wochen Obama teilweise öffentlich um Signale der Unterstützung gebeten. Polen hatte in einem sehr ungewöhnlichen Schritt sogar NATO-Konsultationen nach Paragraf 4 des Bündnisvertrages einberufen, weil es sich in seiner Sicherheit bedroht sah. In der Frage weiterer Sanktionen, die über Einreiseverbote und Kontensperrungen hinausgehen, wird sich Washington eng mit den Europäern abstimmen müssen, denn nur diese verfügen über die nötigen wirtschaftspolitischen Hebel. Die USA bestreiten nur gut ein Prozent ihres Außenhandels mit Russland. Der ehemalige Sicherheitsberater Stephen Hadley weist darauf hin, dass Deutschland dagegen allein 40 Prozent seines Erdgases aus Russland bezieht.
    "Das heißt, dass Lieferunterbrechungen, Sanktionen ein Problem für die Europäer sind. Gleichzeitig wäre es aber ein Problem für Russland, weil Russlands Staatshaushalt zu 50 Prozent aus dem Verkauf von Öl und Gas finanziert wird."
    In Washington wurde mit Interesse zur Kenntnis genommen, dass Bundeskanzlerin Merkel sich öffentlich zu einer Verschärfung der Sanktionen bekannt hat für den Fall, dass es kein Einlenken von russischer Seite gibt. Eine diplomatische Lösung des Konfliktes sei immer noch möglich, so Obama heute nochmals. Das setze aber voraus, dass Russland seine Truppen in die Kasernen zurückführe, internationale Beobachter zulasse und einen politischen Dialog mit der ukrainischen Regierung beginne.
    Moderatorin Michaelsen: Der Ton wird schärfer, auch in Washington – das war Marcus Pindur. Lange hatte sich die Bundesregierung gegen harte Strafmaßnahmen gesperrt und sich dem Drängen der USA und vieler EU-Mitgliedsstaaten widersetzt. Sie wollte die Krise um die Krim durch Gespräche lösen und setzte auf eine internationale Kontaktgruppe. Nun fährt die Bundesregierung eine andere Strategie, und das gezwungenermaßen. Aus Berlin Stefan Maas.
    Beitrag Stefan Maas:
    Militärische Zurückhaltung – an diesem Kurs seines Vorgängers Guido Westerwelle werde er festhalten, hatte Außenminister Frank-Walter Steinmeier schon bei seiner Antrittsrede klargemacht, auch wenn es Westerwelle nicht nur Lob eingebracht habe, denn es gebe viele, auch in Deutschland, sagte Steinmeier, für die sei nur die Androhung von militärischer Gewalt der Lackmustest für außenpolitische Glaubwürdigkeit.
    Steinmeier:
    "Ich finde, daraus spricht dann manchmal nicht nur die Missachtung kluger Diplomatie, sondern es gerät auch in Vergessenheit, dass wir Deutsche auch eine besondere Verantwortung haben für Alternativen zu militärischen Lösungen."
    Die wirtschaftlichen Beziehungen: Schwachstelle und Druckmittel zugleich
    Das war nicht speziell auf die Ukraine gemünzt, und im Fall Russlands ist eine militärische Lösung ohnehin vollkommen ausgeschlossen. Doch welche Optionen hat die Bundesrepublik? Wo liegen die Grenzen kluger Diplomatie? Diplomatisch sieht es derzeit nicht so aus, als ob Moskau und Berlin einen gemeinsamen Weg finden könnten. Die Bundesrepublik will das Referendum auf der Krim nicht anerkennen und Russland hat bislang allen Bemühungen um eine gemeinsame Kontaktgruppe eine Abfuhr erteilt. Doch auf Dauer haben beide gemeinsame Interessen, vor allem wirtschaftlicher Art. Die starken deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen – sie sind für beide Partner Schwachstelle und Druckpunkt zugleich, und so sind wirtschaftliche Sanktionen, wie die EU-Außenminister sie heute verhängt haben, eine Option, stufenweise verschärfbar, um die Lage nicht weiter zu eskalieren. Darauf legt Deutschland großen Wert, sagt Gernot Erler, der Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland.
    "Sie wissen, dass Deutschland zum Beispiel immer, was Sanktionen anging, sehr zurückhaltend war. Aber wir haben dann auch Kompromisse mit der EU gemacht, und ein Ergebnis davon ist auch dieser Drei-Stufen-Plan mit der ständigen Offenhaltung dieser Tür für eine politische Lösung."
    Auch Sanktionen würden Russland zwar nicht dazu bewegen, von seinen Plänen abzulassen, sagte der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger, aber:
    "Geschlossenheit der Europäischen Union und Geschlossenheit des Westens ist in dieser Lage in der Tat ein ganz wichtiger Wert in sich."
    Deutschland stimme sich mit seinen europäischen Partnern sehr genau ab, auch in der Frage der Sanktionen, ist Ischinger überzeugt. Hätte sie nur Deutschland zu vertreten gehabt, hätte Merkel wohl eine weichere Gangart eingeschlagen in den letzten Tagen.
    Ischinger:
    "Sie hat aber nach meinem Dafürhalten genau verstanden, dass, wenn sie Europa hier mit einer Stimme sprechen lassen möchte, dann muss sie auch für die Polen, die Letten, die Esten und andere sprechen, die große Angst haben."
    Deutschland als Taktgeber der Europäischen Union – ein Gedanke, an den sich nicht nur die Bundesregierung erst noch gewöhnen muss. Bundesregierung und EU hätten in den vergangenen Wochen schwere Fehler gemacht in ihrer Ukraine- und Russlandpolitik, erklärte der ehemalige Vizepräsident der EU-Kommission Günter Verheugen im WDR. Indem die Politik die neue ukrainische Regierung anerkannt habe, habe sie berechtigte Sicherheitsinteressen Russlands ignoriert und so die Lage verschärft.
    "Und bei uns wird die Frage gar nicht diskutiert, warum eigentlich. Das Problem liegt ja gar nicht allein in Moskau oder bei uns, das Problem liegt ja in Kiew, weil die beiden Lieblinge der deutschen Kanzlerin, Frau Timoschenko und Herr Klitschko, mit ihren Parteien schon vor einem Jahr ein Bündnis gemacht haben mit den Rechtsradikalen, den Faschisten unter der Überschrift "Ukraine, erhebe dich"."
    Verheugen wirft der Bundesregierung und ihren Partnern vor, dies zu ignorieren. Und tatsächlich muss sich Steinmeier fragen lassen, warum die Regierung in Berlin so still war, als in der Kiewer Rada die Einschränkung der Minderheitenrechte beschlossen wurde, die insbesondere den russischsprachigen und russischen Bevölkerungsteil in der Ukraine trifft.
    Moderatorin Michaelsen: Stefan Maas über Fehler und Optionen der deutschen Außenpolitik. Professor Jörg Baberowski von der Humboldt-Universität in Berlin: Bleiben wir zunächst noch bei der Fehleranalyse. War die Bundesregierung zu lange still und hat aus Ihrer Sicht zu lange auf Dialog gesetzt?
    Baberowksi: Also, was ich gerade von Herrn Verheugen gehört habe, würde ich sofort unterschreiben. Ich war ganz überrascht, dass ich aus Politikermund heute mal einmal etwas Vernünftiges über diese Situation höre. Die NATO sei zur Verteidigung verpflichtet, hört man aus dem Mund von Obama – ich frage mich, gegen wen muss sich die NATO verteidigen? Es geht erstmal um einen Konflikt zwischen Russland und der Ukraine und nicht um einen Konflikt zwischen der NATO und Russland. Und tatsächlich hat die Revolution in Kiew erstmal dazu geführt, dass eine Situation eingetreten ist, die in Russland als eine Situation der Erwartungsunsicherheit, der Ordnungsunsicherheit wahrgenommen worden ist. Niemand wusste mehr so genau: Was wird der Westen jetzt eigentlich tun? Was ist von einer zukünftigen ukrainischen Regierung zu erwarten? Und anstatt zu beschwichtigen, haben alle rhetorisch aufgerüstet, und in dieser Situation hätte die Bundesregierung eine Rolle der Beschwichtigung übernehmen können. Das hat sie aber nicht getan. Und jetzt stehen wir vor einem Scherbenhaufen und niemand ist bereit, noch rhetorisch abzurüsten. Russland kann jetzt nicht nachgeben und wird es auch gar nicht tun.
    Michaelsen: War es ein Fehler der EU, vor allem Polen allein die Vorbereitungen für die Anbindung der Ukrainer an die EU zu überlassen?
    Baberowksi: Ja, das war unbedingt ein großer Fehler. Es war ein großer Fehler, dass man das Polen überlassen hat, und es ist auch ein großer Fehler, einfach zu ignorieren, dass die Ukraine eben in Russland nicht als Ausland gesehen wird und im Übrigen auch Russland in großen Teilen der Ukraine nicht als Ausland verstanden wird, und dass der Griff der NATO und der EU auf das ukrainische Territorium in Russland als Bedrohung wahrgenommen werden musste, ist völlig klar. Das hätte jedem klar sein müssen, dass das passieren würde. Und jetzt ist die Situation eskaliert, weil eine Regierung vom Westen legitimiert wird, die durch gar nichts legitimiert ist, die nicht durch Wahlen an die Macht gekommen ist und von der man nicht weiß, was sie in Zukunft tun wird.
    Michaelsen: Wie kommt man denn jetzt raus aus dieser verfahrenen Situation? Ist das, was heute passiert ist, die Verhängung von Sanktionen, Wie bewerten Sie das?
    Baberowksi: Also, ich finde das dumm mit diesen Sanktionen, weil es erst mal dazu führt, ich hatte es eingangs schon gesagt, dass Putin in Russland jetzt mit viel größerer Berechtigung sagen kann, dass der Westen immer schon ein Feind Russlands gewesen sei, dass der Westen seit 1991 alle Versprechen gebrochen habe, nämlich die Versprechen, dass sie die NATO und die EU nicht nach Osten ausweitet, dass man jetzt dem Westen überhaupt nicht mehr glauben könne. Deshalb denke ich: Wenn man Gespräche führen will, muss die westliche Seite nachgeben. Sie muss der russischen Seite entgegenkommen. Mit Sanktionen wird man keinen Schritt weiterkommen, und es wird nur Putin in die Hände spielen.
    Michaelsen: Die russische Regierung hat ja heute einen Vorschlag für eine internationale Unterstützergruppe unterbreitet. Ist das ein ernstgemeintes Angebot gewesen?
    "Die Krim ist unwiederbringlich verloren"
    Baberowksi: Ich glaube schon, aber dieses Angebot, das kann man natürlich nur von ... Es können nur ... Beide Seiten können dieses Angebot aufgreifen, wenn Putin sein Gesicht wahren kann, also wenn er nachgeben kann, ohne dass das als ein Eingeständnis der Niederlage wahrgenommen wird. Dann wird das funktionieren, sonst nicht.
    Michaelsen: Nun hat Bundesaußenminister Steinmeier diesen Vorschlag sofort zurückgewiesen.
    Baberowksi: Ja. Also ich glaube nicht, dass das klug ist, die Vorschläge zurückzuweisen. Die Krim ist verloren, da kann es noch so viele Sanktionen geben. Die Krim ist unwiederbringlich verloren, sie wird an Russland gehen. Und jetzt kann es doch nur noch darum gehen, wie man die territoriale Integrität der Ukraine bewahrt, in der Russland Interessen hat. Das mag man bedauerlich finden oder schön finden, was auch immer, man muss es aber einfach zur Kenntnis nehmen und kann nicht einfach mit Sanktionen diese Sache überspielen und so tun, als gäbe es dieses Problem überhaupt nicht.
    Michaelsen: Es wurde auch heute darüber gesprochen, dass eine Beobachtermission der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit, der OSZE, in der Ukraine ein erster Schritt wäre, um eine weitere Eskalation zu verhindern. Teilen Sie diese Annahme?
    Baberowksi: Ich weiß es nicht. Also ich bin ja, genauso wie Sie auch, auch nur ein Zeitungsleser und im Augenblick bin ich ... ich bin nicht in Russland gewesen jetzt, und ich kann Ihnen dazu auch keine Patentlösung anbieten. Ich weiß nicht, ob das die richtige Lösung ist. Ich glaube aber, dass, bevor man überhaupt zu Gesprächen kommt, die rhetorische Abrüstung an erster Stelle stehen muss, und diese Sanktionen sind das schlechteste Mittel, das sich die EU und der Westen überhaupt hat einfallen lassen können.
    Michaelsen: Vielen Dank, das war Jörg Baberowski, Professor für Geschichte Osteuropas von der Humboldt-Universität in Berlin. Wir im Deutschlandfunk halten Sie weiter über den Krim-Konflikt und seine Folgen auf dem Laufenden, gegen 23.10 Uhr mit ausführlichen Berichten in der Sendung "Das war der Tag". Weitere Informationen auch im Internet unter deutschlandfunk.de. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend und danke für Ihr Interesse. Am Mikrofon war Katrin Michaelsen.